Hamburg. „Anne-Marie die Schönheit“: Robert Hunger-Bühler gastiert mit einem Monolog von Yasmina Reza am St. Pauli Theater.

Robert Hunger-Bühler ist eine Legende des deutschsprachigen Theaters. Der 68-jährige Schweizer spielte an allen großen Bühnen von Wien über Zürich und München bis Berlin und ist auch häufig im Kino und im Fernsehen zu sehen. In Hamburg gastiert er von Dienstag bis Donnerstag mit einer Inszenierung des Theaters Freiburg am St. Pauli Theater: Yasmina Rezas „Anne Marie die Schönheit“.

Hamburger Abendblatt: In „Anne-Marie die Schönheit“ spielen sie eine gealterte Schauspielerin. Im Stück wird das so beschrieben: „eine jener kleinen Schauspielerinnen, deren Namen in Vergessenheit geraten“. Wirklich charmant ist diese Rollenbeschreibung nicht.

Robert Hunger-Bühler: Man möchte natürlich etwas erfinden, was die Rolle glitzern lässt. Und auf den ersten Blick ist diese Rolle dabei nicht so nahrhaft wie Richard der Dritte. Aber wenn man in diese monologischen Dialoge von Yasmina Reza eintaucht, dann betritt man eine Welt, von der man nicht mehr gedacht hat, dass man die auf dem Theater überhaupt noch bringen kann, weil heute alles extrem laut und schreiend und grell vor sich geht. Der Regisseur Peter Carp hat mich in dieser Arbeit an der Intimität unterstützt, und das machte mich von Probe zu Probe immer neugieriger.

Sie sind ohnehin ein eher leiser Schauspieler.

Ich habe ja vorhin Richard den Dritten erwähnt. Selbst diese Figur kann mit großer Leisheit ausloten, und sie bleibt trotzdem brandgefährlich – wenn ein Schauspieler mit einer gut ausgebildeten Stimme ausgerüstet ist, muss er nicht bis zur Schreigrenze gehen.

St. Pauli Theater: Warum ein Mann eine Frau spielt

Die Autorin Yasmina Reza legt Wert darauf, dass die Titelrolle mit einem Mann besetzt wird. Weswegen eigentlich?

Ich habe sie in Paris getroffen und wollte genau das von ihr wissen. Bevor sie angefangen hat, zu schreiben, hat sie eine Schauspielkarriere begonnen, sie kennt diese Welt der Nebenfiguren sehr genau, und sie kennt auch den Leidensweg, den diese Figuren durchgehen, weil sie nie ganz richtig ins Licht treten und trotzdem eminent wichtig sind für das Theater. Eigentlich wollte sie das biografisch ausloten, hat dann aber gemerkt: Das ist ihr zu nahe an ihrer eigenen Biografie. Und erst als sie sich einen Mann in dieser Figur vorstellte, wurde die Feder flüssig. Viele Zuschauer sagen auch, dass es nach zehn Minuten völlig egal ist, ob da ein Mann oder eine Frau auf der Bühne steht.

Ich habe den Eindruck, dass die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenfiguren im deutschsprachigen Theater an Bedeutung verliert.

Ja, das ist sehr begrüßenswert. Vielleicht ist es einer der wenigen Fortschritte der Ensemblekultur im heutigen Theaterbetrieb, dass es nicht mehr die Protagonisten gibt, die pro Jahr zwei Hauptrollen bekommen, und die anderen spielen das Gemüse und die Garnierung. Aber eine Nebenfigur hat trotzdem einen ganz anderen Fokus. Die Gesellschaft ist eine Primärkultur, die will immer den Top-Mann oder die Top-Frau oder den Top-Day sehen.

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  • Apropos „Top-Mann“ – ich trete ihnen nicht zu nahe, wenn ich Sie als Theaterstar bezeichne. „Anne-Marie die Schönheit“ ist eine Produktion des Theaters Freiburg. Das ist ein gutes Theater, aber es ist klein. Wie hat sie der Intendant Peter Carp überzeugt, dort zu spielen?

    Das war umgekehrt: Ich bin an ihn herangetreten, weil ich das Gefühl hatte, dass ich Anne-Marie, die ja in einem ganz kleinen Theater angefangen hat, nicht im Burgtheater oder im Schauspielhaus spielen möchte. Dazu kam, dass ich in Freiburg als junger Schauspieler unter Friedrich Schirmer eine sehr gute Zeit erlebt habe. Ich fand es herrlich, dorthin zurückzukehren.

    Wie vermeidet man es eigentlich, so eine Rolle mit der eigenen Biografie anzureichern?

    Also, der Text ist ja nicht von mir, sondern von Yasmina Reza. Aber diese Situationen werden in dem Stück so genau beschrieben, da kann ich meine Biografie voll reinladen. Diese Mischung ergibt ein Bild meiner Mutter.

    Mir fiel auf, dass Sie die Rolle ganz leicht mit Ihrem Schweizer Zungenschlag spielen.

    Ja, aber ich bin auch sehr anfällig für Abfärbung. Jetzt sitze ich gerade in Adliswil, bald kommen die Schweizer Kühe vorbei, da bin ich schweizerischer als sonst. Aber ich glaube, diese Nähe zu der Figur wirft mich ein bisschen zurück in mein Helvetentum.

    „Anne-Marie die Schönheit“ 12. bis 14. April, 19.30 Uhr, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, Karten unter T. 47110666, www.st-pauli-theater.de