Hamburg. Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili bezieht Stellung zum Krieg gegen die Ukraine: “Jeder Kriegs-Tag ist ein verlorener Tag“.
Früher, da wurde Lisa Batiashvili manchmal nicht ganz ernst genommen, sobald sie mahnend darauf hinwies, was Putin schon verbrochen hatte. Was er, für alle klar erkennbar, auch ihrem Heimatland angetan hatte. Mehrfach. Alles klar, diese Geigerin aus Georgien schon wieder, hieß es dann wohl. Danach: Tagesordnung, Tagesgeschäft. Jetzt nicht mehr. Es ist unmöglich, seit russische Panzer Ende Februar auch über die Grenze in die Ukraine rollten.
Krieg gegen die Ukraine: Die gesamte Klassik-Szene ist in Aufruhr
Die gesamte Klassik-Szene ist in Aufruhr. Batiashvili mischt sich ein. Sie kann nicht anders, während sie schon wieder die Koffer packen muss, für die nächste Tournee. „Was sollten Künstler jetzt tun?“, holt sie, laut nachdenkend, zu einer Antwort auf die vielen quälenden Fragen aus, „aber die Hauptsache ist doch: Was sollten die Politiker tun? Das wissen wir auch noch nicht.“ Seit Kriegsbeginn könne sie sich kaum noch auf etwas anderes konzentrieren. „Ich habe fast das Gefühl, dass es meinem Land passiert. Georgien könnte als nächstes überfallen werden. Mit dieser Ungewissheit lebt jeder Georgier.“
Also: „Was wir als Musiker leisten können, und ebenso alle, die mit diesem Geschäft zu tun haben: eine ganz klare Wahrnehmung der Situation. Sie ist so heikel, weil es nicht nur Schwarz und Weiß ist. Es gibt in Europa zu viele Institutionen, die mit Putins System verbunden sind, die ignoriert haben, was wirklich dahintersteckt. Und es gibt leider immer noch einen sehr großen Teil Russlands, der ihn immer noch unterstützt, auch im Kulturbereich. Und das ist erschreckend. Auf einem sanften diplomatischen Wege kann man diese Probleme nicht mehr lösen. Jede Verbindung mit Finanzen, die aus dem Kreml kommen, muss unterbrochen werden. Wir müssen klar wissen, dass alles was wir tun, Konsequenzen hat – in der Politik wie in der Kultur.“
Krieg gegen die Ukraine: Wie weitermachen?
Aber wie dann weitermachen, wenn es ums Abwägen von moralischen Fragen geht, um Dinge wie Auftretenlassen oder Ausladenwollen? „In dieser Situation sterben auch viele Musiker in der Ukraine, weil sie zu Soldaten geworden sind. Sie halten nicht mehr ihre Geige, sondern ein MG und müssen sich vor dem Angriff schützen. Will man ihnen helfen, muss man sich in ihre Position hineinversetzen. Wir müssen sehr konsequent sein. Wir stehen zur Ukraine. Alle Menschen, die eine Bühne betreten, müssen dieses Bewusstsein haben. Und ich finde es völlig unakzeptabel, dass Menschen nicht den Mut haben, sich gegen den Krieg auszusprechen.“
Die Welt von Batiashvilis Musik ist gleichzeitig groß und doch klein, alle kennen viele. Die meisten Kontakte habe sie momentan mit ihren georgischen und ukrainischen Freunden. „Viele meiner russischen Freunde sind natürlich unserer Meinung. Sie sind entsetzt. Natürlich ist diese Situation für die friedlichen Menschen dort eine Katastrophe. Das wird für die nächsten Jahrzehnte nichts Gutes für sie bringen.“
„Ich fühle mich in meiner Musikwelt ziemlich alleine“, hatte Batiashvili, die mit ihrer Familie in München lebt, neulich dem BR gesagt. „Nach 2008 und 2014 habe ich sehr öffentlich darüber gesprochen – und wurde bemitleidet, viel mehr war das nicht. Doch jetzt merken wir: Das ist ganz nah. Die Zeit läuft uns weg. Wir reagieren zwar, aber jeder Kriegs-Tag ist ein verlorener Tag. Wir müssen das Schlimmste verhindern – und das bedeutet manchmal auch, sich selbst zu schaden. Energie, Gas, was alles gerade in der Politik besprochen wird: Wir haben nicht die Möglichkeit, diese Probleme in normalem Tempo zu bewältigen. Wir müssen jeden Tag nicht nur einen, sondern zehn Schritte machen.“
Batiasvhili: Je solidarischer wir mit der Ukraine sind, desto schwächer wird Putin
Mitte März hat Batiasvhili in der Berliner Philharmonie bei einem Benefiz-Konzert des DSO mitgewirkt, der NDR-Chefdirigent Alan Gilbert hat es geleitet, ihr Mann, der Oboist François Leleux, war auch dabei. Alles schön, anrührend, wichtig und gut. Aber: Putin wahrscheinlich egaler als egal? Einspruch Batiashvili. „Ich sehe das anders. Je solidarischer wir als Gesellschaft mit der Ukraine sind, desto schwächer wird Putin. Es ist ganz wichtig, dass die Unterstützung nicht nachlässt.“ Jeder auf der Bühne dort habe eine ganz klare Haltung gehabt. „Wenn Menschen von uns verlangen, dass wir Musiker unpolitisch sind, ist das für mich fast eine Beleidigung. Wir sollten uns nicht für die Zukunft unseres Landes interessieren, weil wir nur mit Kunst zu tun haben? Damit war ich noch nie einverstanden, und jetzt umso weniger.“
Eine schöne Geschichte, aus heutiger Sicht erst recht, schon einige Jahre her: Nach einem gemeinsamen Konzert in Rotterdam (für das sie, nach mehreren abgelehnten Angeboten, ganz bewusst zugesagt hatte) überraschte Batiashvili 2015 mit der Zugabe den Dirigenten des Abends. Valery Gergiev. Der war schon damals sehr öffentlicher Putin-Befürworter und -Nutznießer. Sie spielte das „Requiem für die Ukraine“, ein Geigen-Solo, für sie geschrieben vom ukrainischen Komponisten Igor Loboda. „Wir hatten außer bei der Probe wenig Kontakt gehabt. Und am Ende bekam ich standing ovations.“
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Ebendieser Gergiev war es gewesen, der 2008 ein Konzert in der von Russland ferngesteuerten georgischen Region Südossetien dirigiert hatte, „für die Opfer der georgischen Aggression“, ausgerechnet. „Seitdem haben wir nicht mehr miteinander gearbeitet“, sagt sie, und das klingt nun wirklich nicht nach Bedauern. „Böse war er damals nicht auf mich. Er hat mir nichts dazu gesagt. Ich habe ja auch nichts gegen ihn getan – sondern für die Menschen in der Ukraine.“
Das Volk leidet mit der Ukraine
Wie die Menschen zuhause in Georgien auf den jetzigen Krieg reagieren, beobachtet Batiashvili ständig. „Eine ganz schwierige Situation: Das Volk, sicher über 80 Prozent, leidet mit den Ukrainern, sind jeden Tag auf der Straße und wie Brüder. Die Regierung leider nicht. Die spielt ein doppeltes Spiel mit Europa und Russland. Politisch erhält die Ukraine nicht genügend Unterstützung. Von den Menschen in Georgien aber sehr wohl. Und natürlich ist Georgien nach der Ukraine das nächste gefährdete Land. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem sich die Weltordnung für die nächsten 50, 60 Jahre entscheidet.“
All das prasselt auf sie ein. Und dennoch soll sie gleichzeitig die Lisa Batiashvili sein, die strahlende, alleskönnende Virtuosin, bald in Rom, dann in Amsterdam, sie soll in den Konzerten von Saint-Saëns und Szymanowski brillieren. „Für mich wird das ganz schwierig“, sagt Batiashvili und seufzt, „es wird nun Teil unseres Lebens sein.“ Das Konto ihrer Stiftung hat sie zur Verfügung gestellt, um Menschen in der Ukraine zu helfen. Ein Orchester brauchte Geld für Lebensmittel, sie schickte zudem Medikamente und möchte einzelnen Musikern helfen, ein Hilfs-Netzwerk wurde geknüpft. „Das wird einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit beanspruchen. Ich muss aber auch versuchen, wieder in Form zu kommen.“
„Es geht gar nicht, dass man unpolitisch ist"
In diesem Durcheinander der Gefühle kann man sich fragen, ob Kultur komplett machtlos oder enorm stark ist. „Wichtig, auf jeden Fall“, antwortet die Geigerin, „die Kultur hat Kriege überlebt. Sie hat widerspiegeln können, was in der Realität passiert ist. Durch Kultur kann man zurück in die Geschichte schauen.“
Und man kann fragen, ob man Künstlern vorwerfen darf, dass sie heute unpolitisch bleiben wollen. „Es geht gar nicht, dass man unpolitisch ist. Es geht nicht um Politik, es geht um die Vernichtung von Menschen, um Krieg, um Essenzielles. Wenn sich ein Künstler dafür nicht interessiert, dann weiß ich nicht, wofür er sich interessiert.“