Hamburg. Hamburger Poesie-Magazin erscheint mit neuer Ausgabe. Mit dabei sind 13 Gedichte aus dem 20. Jahrhundert sowie zeitgenössische Werke.
„Ich möchte leben./ Ich möchte lachen und Lasten heben/ und möchte kämpfen und lieben und hassen/ und möchte den Himmel mit Händen fassen/ und möchte frei sein und atmen und schrein./ Ich will nicht sterben. Nein!“ Selma Merbaum ist in Czernowitz geboren. Damals, 1924, war das in Großrumänien, heute gehört es zur Ukraine, es liegt im Südwesten.
Man verharrt an dieser Stelle kurz, wenn man ihr „Poem“ liest, dass vor Lebenslust geradezu birst und eben dadurch so beklemmend ist. Weil wir wissen, wie grausam es ausging und weil die Zeilen zugleich so viel Gegenwart in sich tragen. Selma Merbaum schrieb sie mit nur 17 Jahren, ein Jahr darauf starb sie in einem deutschen Zwangsarbeitslager.
Neuerscheinung von Dieter Braun illustriert
Das „Poem“ ist eines der „dreizehn +13 Gedichte“, die der umtriebige Hamburger Magazin-Macher Oliver Wurm in der zweiten Ausgabe seiner so benannten Lyriksammlung neu herausgebracht hat, ergänzt um den feinen Strich des Hamburger Illustrators Dieter Braun. Sie lohnen die Lektüre nicht nur am heutigen Welttag der Poesie.
Die Schauspielerin und Autorin Katharina Pütter hat diesmal 13 Gedichte aus dem 20. Jahrhundert kuratiert, die Hamburger Literaturveranstalterin Barbara Heine 13 zeitgenössische Werke. „Die sorgsame Auswahl aller Werke zeigt, wie feinfühlig Gedichte auf Zeitströmungen, unsere Ängste, Sorgen und Hoffnungen hinweisen“, so schreibt es Oliver Wurm in seinem Editorial, das er mit einem „Slawa Ukrajini!“ enden lässt.
Neuerscheinung: Gedichte von Tucholsky
Die letzte Seite des blau und gelb gestalteten Magazins ist bewusst anzeigenfrei gehalten und stattdessen mit einer Friedenstaube aufgemacht. Ein QR-Code führt zu Adressen von Hilfsorganisationen und Spendenkonten. Dazwischen finden sich neben Kurt Tucholsky und Joachim Ringelnatz, Mascha Kaléko und Peter Rühmkorf („Bleib erschütterbar und widersteh“) auch Nora Gomringer, Elke Erb, Matthias Politycki und ein „Optimistisches Liedchen“ von Hans Magnus Enzensberger.
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Auch Nelly Sachs’ „Chor der Geretteten“, das die gebürtige Berlinerin 1946 in ihrem Stockholmer Exil schrieb, geht nahe in seinem unbedingten Wunsch „Lasst uns das Leben leise wieder lernen“, der doch in dem Bewusstsein mündet: „Wir Geretteten,/ Wir drücken eure Hand,/ Wir erkennen euer Auge –/ Aber zusammen hält uns nur noch der Abschied,/ Der Abschied im Staub/ Hält uns mit euch zusammen.“