Hamburg. Julia zieht es nach Schleswig-Holstein: In „Nebenan“, dem feinsinnigen Roman der Hamburger Schriftstellerin Kristine Bilkau.

Überschaubarkeit. Die Suche nach einem „kleinen Lebensradius, der so wenig Schaden anrichten würde wie möglich“. „Downsizing“ würde man das vermutlich zeitgeistig nennen, in Hamburg, das Julia allerdings hinter sich lässt, um weiter nördlich mit ihrem Freund ein altes Häuschen am Nord-Ostsee-Kanal herzurichten.

Für eine Zukunft mit Blumenkränzen, Blaubeerkuchen, himmelblauer Babybettwäsche und Sonnenstrahlen, wie in den allzu perfekten Instagram-Welten, durch die sie sich halb amüsiert, halb schwermütig wischt, während sie selbst nicht schwanger wird und ihre eigene kleine Welt sich trotz aller Mühen nicht zu etwas Bleibendem aufbauen lässt. Wackelig wie die hübsch klackernden Dominosteine, die sie an Online-Kunden verschickt, ihr bescheidener Verkaufsschlager. Julia, die Keramikerin, die mit ihrem Lädchen immerhin der verödeten Kleinstadt eine Art „Belebung“ verpasst.

Lesung: Julia sucht in „Nebenan“ nach Geborgenheit

„Nebenan“ hat die Hamburger Schriftstellerin Kristine Bilkau („Die Glücklichen“) ihren neuen Roman genannt. Und lässt ihn ebenda spielen: im benachbarten Schleswig-Holstein, wo sie jedoch keine Idylle vorfindet, sondern eine Verlorenheit, in der die Figuren sich selbst bei ihrer Suche nach Nähe beobachten, eher tastend als verzweifelt, während ihnen eine Geborgenheit dennoch zunehmend entgleitet und Entfremdung und Vereinzelung immer offener daliegen. Welten fallen zusammen, doch es ist „mehr ein Rutschen als ein Einstürzen“. Auch bei Astrid, der Allgemeinärztin, die bald ihre Praxis verkaufen will, sich um die alte Tante sorgt, verstörende Briefe erhält und den eigenen Lebensabend vorbereitet.

„Nebenan“ ist auch das, was all die Charaktere verbindet, theoretisch jedenfalls. Denn obwohl sie in unmittelbarer Nachbarschaft leben, sich dieselben Gedanken um den mysteriös verlassenen Gelbklinkerbau machen, aus dem eine ganze Familie verschwunden scheint, gibt es in diesem melancholischen, bisweilen fast geisterhaften Reigen nur flüchtige Berührungen. Nebenan ist nicht beieinander.

Kristine Bilkau liest im Literaturhaus Hamburg

Das Buch ist durchzogen von einem Gefühl, das Julia beschreibt, als sie ihren Freund beim Schwimmen beobachtet: ein Erstaunen, „über den Lauf der Dinge, über das Gute, das sich darin verbirgt“, während in der Unterströmung stets das Seltsame, Schmerzhafte, Verborgene treibt.

Kristine Bilkau: „Nebenan“, Luchterhand, 288 Seiten, 22 Euro.
Kristine Bilkau: „Nebenan“, Luchterhand, 288 Seiten, 22 Euro. © (c) Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München

„Nebenan“ ist ein Roman, der konkrete Lebenswelten aufschließt und doch vor allem durch Andeutungen mäandert, den Gedanken, Sehnsüchten und Erinnerungen der Frauen nachhängt. Einerseits detailreich, andererseits vage bleibend, unaufgelöst. Ein stilles, feinsinniges, gar nicht so überschaubares Buch, in dem die Figuren miteinander teilen, was schließlich auch der Leserin auf der letzten Seite schwerfällt: das Loslassenmüssen.

Kristine Bilkau liest Mi 9.3., 19.30, Literaturhaus, Karten: 12,-/8,- (Streamingticket 5,-) unter www.literaturhaus-hamburg.de