Hamburg. Es geht wieder was in Hamburg. Trotzdem herrschen gemischte Gefühle in der Livemusik-Szene – und Zurückhaltung beim Kartenkauf.
Licht an. Licht aus. Licht an. Licht aus. Das war in den vergangenen zwei Jahren der Rhythmus für die Lichtanlagen in den Hamburger Clubs, an den „Power“-LEDs der Verstärkeranlagen und Mischpulte. Ein sehr holpriger Rhythmus. Lange Lockdowns für die Live-Kultur wurden im Herbst 2020 und 2021 für kurze Zeitfenster für Clubkonzerte unter verschiedenen Corona-Regeln und -Maßnahmen unterbrochen.
Jetzt wird seit einigen Tagen wieder alles langsam hochgefahren: Ob bei den Picturebooks am vergangenen Sonntag im Nochtspeicher, Scotty McCreery am Mittwoch im Knust oder bei The Pineapple Thief am Mittwoch in der Fabrik: Es geht wieder was. Licht, Stromgitarren, keine Abstände.
Corona Hamburg: Clubs erwachen langsam
„Wir hatten gerade mal wieder seit Langem eine ausverkaufte Show, und die Euphorie im Raum war wirklich enorm. Ich glaube, da hat sich ganz viel angestaut, und wir merken wie beseelt die Menschen, die uns besuchen, nach Hause gehen. Ich denke, Clubs sind so wichtige Orte auch für unsere geistige Zufriedenheit und Gesundheit“, sagt Knust-Booker Tim Peterding. In den vergangenen Monaten war zwar auch Leben in dem Club an der Feldstraße, aber das waren Streaming-Shows ohne Publikum oder im Höchstfall sogenannte „Hybrid-Konzerte“ mit 100 Sitzplätzen. Konzepte für jede denkbare Vorschrift und pandemische Lage haben Hamburgs Clubs schon lange parat.
Auch Molotow-Betreiber Andi Schmidt schaut „im Großen und Ganzen positiv“ auf die ersten Konzerte zurück. „Einige sind noch vorsichtig, aber alle sind froh, dass es wieder Konzerte gibt“. Damit beschreibt Schmidt passend die Stimmung, die sowohl bei Clubbetreibenden, beim Personal und bei den Konzertfans herrscht: Angesichts weitersteigender Inzidenzzahlen bleibt trotz 2G-plus-Regeln ein mulmiges Gefühl auf und vor der Bühne, hinter dem Tresen, auf der Tanzfläche. „Ambivalent trifft es wohl am ehesten. Zum einen freuen wir uns wahnsinnig, dass es weitergeht, zum anderen beobachten wir natürlich die Inzidenzen sehr genau. Wir haben aber gelernt, flexibel auf jede Situation zu reagieren und sind daher vorsichtig optimistisch“, sagt Tim Peterding.
Corona: „Dieser letzte Lockdown war wirklich hart“
Seit dem 5. März können Clubs und Diskotheken wieder unter Volllast und ohne Maskenpflicht laufen – für Genesene und Geimpfte, die zusätzlich getestet sind. Eigentlich sollten am 20. März alle „tiefgreifenden“ Corona-Maßnahmen wegfallen, aber Hamburg und weitere Bundesländer wollen in einer sogenannten „Übergangsphase“ bis zum 2. April die aktuellen Regeln beibehalten und dynamisch auf die Lage reagieren.
Das kann alles bedeuten. Tim Peterding erinnert sich noch an die letzte Öffnungsphase im Herbst 2021: „Dieser letzte Lockdown war wirklich hart. Da lag so viel positive Stimmung in der Luft, als die ganze Branche Anfang Oktober wieder hochgefahren ist, in der Hoffnung, dass es nun weitergeht. Allerdings kam die Ernüchterung dann relativ schnell, dass wir das Ganze noch nicht überstanden haben.“
Infrastrukturelle Basis der Clubkultur ist erhalten
Thore Debor, Geschäftsführer des Hamburger Clubkombinats, hat einen guten Überblick über das Gesamtbild in den mehr als 100 Hamburger Musikspielstätten: „Es hat auf jeden Fall schon eine Art Routine eingesetzt, man hat sich daran gewöhnt, flexibel sein zu müssen. Allerdings ist es für manche Clubs auch nicht einfach, jetzt wieder zu öffnen, weil sich Teile des Personals beruflich mittlerweile neu orientiert haben.“ Der sogenannte „Braindrain“, die Abwanderung sowohl von zuverlässigen, seit Jahren bewährten Hilfskräften als auch ausgebildeten Technikerinnen und Technikern hat in der gesamten Musikbranche Spuren hinterlassen. In der Hamburger Clublandschaft sieht Debor „die Basis bislang erhalten. Bei einen weiteren Lockdown wächst aber die Gefahr für bedrohliche Substanzschäden.“
Dass noch Clubs da sind, die jetzt wieder öffnen können, ist auch der Hilfe aus Politik und aus der Gesellschaft zu verdanken. „Ohne die hätte die Hamburger Club-Szene nicht überleben können“, ist sich Andi Schmidt sicher. Instrumente wie Überbrückungshilfen, November- und Dezemberhilfen, Kurzarbeitergelder und der Hamburger Clubrettungsschirm standen zur Verfügung. Einige Förderzusagen sind bislang bis Ende dieses Jahres ausgelegt. Die Clubbetreibenden schlugen sich durch das Dickicht von Regeln, Formularen, Paragrafen, die „sogar einen guten Steuerberater Kopfzerbrechen bereiten“, wie Thore Debor es zusammenfasst.
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Bauchgrummeln in der Clubszene
Das Spendenaufkommen für private Initiativen hat aber abgenommen. Nach zwei Jahren Pandemie und mit einem Krieg in Europa hat sich der Fokus der Öffentlichkeit verlagert. Das ist auch im Vorverkauf für Konzerte zu spüren, nicht nur, weil durch die 2G-plus-Regel ein Teil des potenziellen Publikums ausgeschlossen wird. „Ich höre von großer Zurückhaltung beim Kartenkauf“, sagt Debor. Auch die uneinheitlichen Regeln in den verschiedenen Bundesländern schaden dem Tourbetrieb und sorgen für Bauchgrummeln in der Szene.
Dennoch gehen die Lichter wieder an, zum Beispiel für Mighty Oaks am 21. März in der Fabrik, Sleaford Mods am 24. März im Gruenspan, Leoniden am 25. März im Molotow, WellBad am 26. März im Nochtspeicher, Jeremias am 30. März im Uebel und Gefährlich sowie Jesper Munk am 1. April im Mojo Club. Wenn nichts mehr dazwischen kommt.