Henstedt-Ulzburg. Joey Claussen, Chef der Diskothek „Joy“ in Henstedt-Ulzburg über die Situation der Veranstaltungsszene nach zwei Jahren Pandemie

Seit zwei Wochenenden dürfen Diskotheken wieder öffnen. So wie das „Joy“ in Henstedt-Ulzburg. Betreiber Joey Claussen, der im Ort auch ein Bowling-Center führt, nimmt Stellung zu Corona-Ausbrüchen in Clubs, seinen Lehren aus den letzten Jahren und darüber, wie sich die Party-Kultur entwickeln könnte.

Herr Claussen, wenige Wochen vor der Neueröffnung sind zwei Menschen aus ihrem Team bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Wie gehen Sie damit um?

Joey Claussen: Wir bedauern den Verlust der Beiden sehr, weil sie in unserem Team sehr verwurzelt waren und auch eine hohe Hilfsbereitschaft an den Tag gelegt haben. Deshalb war das für uns umso schlimmer, dass es passiert ist und auch weil es ein hohes mediales Interesse an dem Unfall gab. Man hat auch anhand der Reaktion der Familien gemerkt, dass sie extrem damit zu kämpfen hatten. Teamintern haben wir für die Hinterbliebenen gesammelt und gespendet.

Am ersten Märzwochenende öffnete das „Joy“ wieder. Wissen Sie noch, der wievielte Neustart das war?

Das war jetzt der dritte Neustart nach dem Modellprojekt und der regulären Öffnung am 1. September des vergangenen Jahres.

Was war dieses Mal anders?

Wir haben während der gesamten Corona-Zeit auch diverse Zuschüsse vom Staat erhalten, unter anderem für die Digitalisierung. Grundsätzlich gab es im „Joy“ schon lange die Überlegung, die Bezahlmethoden zu ändern. Es ist als Betreiber interessant zu sagen, dass man diesen Schritt gehen will und versucht, dieses klassische „Bargeld-Thema“ aus dem Club rauszukriegen. Ziel ist, dass die Leute noch vernetzter und digitaler bezahlen. Das haben wir nie umgesetzt, weil wir immer Angst davor hatten, dass die Besucher das nicht annehmen.

Jetzt ist die Bereitschaft da?

Durch die Corona-Pandemie setzen die Menschen von selbst verstärkt auf Kartenzahlung. Nachdem wir beim ersten Modellprojekt die bargeldlose Zahlung ausprobiert haben, wurde jetzt ein RFID-Kartensystem neu integriert, bei dem die Leute ihre Tickets schon vorher im Internet gekauft haben und direkt in den Club reingehen können. Im Club bekommen die Besucher dann eine Karte, die sie gegen Bezahlung mit Geld aufladen und dann damit bezahlen können.

Sie haben auch weitere Investitionen getätigt, unter anderem in neue Klimaanlagen und Luftreiniger. Hat sich das rentiert?

Schön wär’s (lacht). Diese Maßnahmen waren auch staatlich gefördert über die Überbrückungshilfen. Letzten Endes bezahlt man als Geschäftsführer zehn Prozent selbst. Ich habe mit Bedacht versucht, diese Sachen einzukaufen. Da hatten wir aber wie gesagt schon länger den Eindruck, dass wir uns qualitativ nicht ganz auf dem Niveau bewegt haben, auf dem wir uns hätten bewegen können. Trotzdem hat es uns an Weihnachten bekanntermaßen erwischt. Daraus habe ich gelernt, dass noch so viel investiert werden kann, und man trotzdem nie vor einer Infektion geschützt ist. Deshalb appelliere ich an die Leute, bei kleinsten Symptomen zu Hause zu bleiben, auch wenn der Schnelltest negativ ist.

Lässt sich rückblickend sagen, was an Weihnachten schiefgelaufen ist?

Die Gerüchteküche ist immer noch präsent. Es war wohl so, dass ein Gast schon vor seinem Clubbesuch symptomatisch war, aber einen negativen Schnelltest gemacht hatte und deshalb trotz seiner Symptome feiern gegangen war. Ob dieser Gast dann der einzige Infektionsauslöser war, weiß ich nicht. Die Dunkelziffer an Infektionsherden war wahrscheinlich größer. Wir haben sowohl vom Gesundheitsamt als auch medial wenig Anerkennung dafür bekommen, dass wir 75 Prozent unserer Gäste mithilfe der Namensliste isolieren konnten, was mich wirklich ärgert. Jede andere Diskothek im Umkreis hat bei einem Ausbruch gar nichts gemacht und ist für zwei Wochen von der Bildfläche verschwunden. Wir hingegen haben uns bei der Kontaktverfolgung den Arsch aufgerissen und es wurde uns trotzdem nicht gedankt.

Wissen alle Gäste, wie die Regeln sind?

Schön zu sehen mit diesem Regelwirrwarr ist das hier im Bowling-Center. Dadurch, dass wir sechs Tage geöffnet haben und durch viele Perioden von Regelungsänderungen durchgegangen sind, ist es umso anstrengender, jedes Mal den Erklärer zu machen. Beim „Joy“ ist es tatsächlich so, dass die Besucher sich logischerweise mehr mit den Regeln auseinandersetzen. Jeder, der feiern gehen will, weiß um die Situation und macht sich dementsprechend schlau darüber, was gerade abgeht. Die wissen alle, dass sie momentan entweder doppelt geimpft sein müssen und einen tagesaktuellen Schnelltest vorzulegen haben oder dass sie geboostert sein müssen. Ich persönlich bevorzuge die erste Variante.

Warum?

Weil man auch mit drei Impfungen infiziert sein kann, und mir ist es lieber, wenn die Leute sich vorher einmal testen, bevor sie in den Club kommen. Natürlich wollte die Regierung mit der Booster-Impfung Anreize schaffen, damit man sich nicht mehr testen lassen muss, aber im Prinzip ist es der falsche Weg. Deshalb ist die Landesverordnung so wie sie ist, mit 3G hier und 2G+ in der Disco, das Stabilste, was man machen kann. Aber wir wissen alle, dass es manchmal trotzdem nicht reicht, und um dieses Risiko wissen viele Leute, die jetzt feiern gehen wollen. Insgesamt ist die Vorbereitung seit dem Modellprojekt aber deutlich besser geworden. Möglicherweise haben einige Gäste, die an Weihnachten hier gefeiert haben, auch momentan durch die vielen Infektionen ohnehin den Genesenen-Status (lacht).

Hat ein Umdenken stattgefunden?

Ich würde tatsächlich sagen, dass die Gäste sich verstärkt mit dem Thema Risikobewusstsein auseinandergesetzt haben. Die Gäste wissen auch, dass wir manchmal machtlos sind, wenn es kommt. Was den Spaß angeht, hat es der Sache denke ich keinen Abbruch getan. Die Leute sind immer noch heiß auf Feiern und genießen es auch dementsprechend, wenn sie es endlich in den Club reingeschafft haben. Das merkt man auch an der Stimmung, es wird viel schneller getanzt und viel mehr mitgebrüllt. Vom Trinkverhalten her sind die Umsätze schon besser geworden, keine Frage, aber die Leute gehen auch nicht mehr jedes Wochenende raus und wollen entsprechend was nachholen, wenn sie hier sind.

Wie planen Sie die nächsten Monate?

Die gesamte Discobranche guckt interessiert auf den Sommer. Durch Corona muss man als Betreiber gucken, dass man auf anderen Beinen steht, viel mehr in die Außenveranstaltungen geht, viel mehr Sommerevents mitnimmt, wo sonst Flaute wäre. Dafür muss man dann im Winter kalkulieren, dass auch mal wieder drei Monate zu ist. Es geht vielen Clubs so, dass sie feste Pachten haben, die sie bezahlen müssen. Es wäre schön, wenn man mal langfristig planen könnte und weiß, was nach der dritten Impfung auf uns zukommt. Wahrscheinlich wird es wieder neue Varianten geben und vielleicht eine vierte Impfung, wer weiß.

Welche Möglichkeiten haben Sie?

Wir haben mit dem Holi-Festival guten Kontakt zum Ohland-Park, hatten die PS-Parties auf dem Real-Parkplatz, das muss man jetzt wieder aufleben lassen. Eigentlich ist der Sommer eher die Entspannungszeit gewesen – jetzt dreht sich das ein bisschen. Als Betreiber wäre es wichtig, dass man sich auf eine feste Saison von März bis Oktober einstellen könnte, aber auch dafür gibt es keine Garantie.

Was würde denn passieren, wenn jetzt im Nachhinein bei Besuchern eine Infektion auftreten würde?

Aus der Erfahrung, die wir an Weihnachten gemacht haben, liegt es jetzt in der Eigenverantwortung, sich nach dem Discobesuch testen zu lassen, um einfach eine gewisse Kontrolle zu behalten. Trotzdem halte ich es für wahrscheinlich, dass es nochmal zu einem Ausbruch kommen wird, weil die Zahlen schon wieder steigen. Momentan muss ich sagen, dass wir es einfach laufen lassen und gegebenenfalls informieren. Aber deshalb gleich wieder 800 Leute einzusperren und die halbe Wirtschaft dadurch lahmzulegen, ist meiner Meinung nach nicht die Lösung. Es gibt viele Leute, die keine Nebenjobs mehr in Discos ausüben dürfen, weil der Hauptarbeitgeber große Bedenken hat, dass sie bei einem Ausbruch wieder 14 Tage in Quarantäne müssen.

Welche Vorkehrungen treffen Sie jetzt?

Unsere Leute arbeiten hinter Plexiglas oder mit Maske. Das ist auch etwas, das wir gelernt haben, weil auch einige aus unserem Betrieb sich an Weihnachten angesteckt hatten. Mein Kassierer beispielsweise hat nichts gekriegt, obwohl er fast jedem Gast nahe war und Geld getauscht hat. Natürlich ist da eine Scheibe zwischen, aber eine Scheibe ist da auch mit einem größeren Loch versehen, um die Leute hören zu können. Zwei meiner Serviceleute an der Bar haben sich auch infiziert, obwohl sie hinter Plexiglas gearbeitet haben. Ich bin durch meinen Laden gelaufen, habe mit dem Handy Fotos gemacht, und mich hat es auch erwischt.

Ist die Angst geringer geworden?

Ja, und ich glaube, das geht auch vielen Gästen so bei der Abwägung zwischen dem Risiko und Feiern gehen zu wollen. Ich habe von keinem Fall erfahren, bei dem jemand durch das „Joy“-Geschehen auf einer Intensivstation gelandet ist. Alle waren zuhause, manchen lief die Nase, andere hatten ein bisschen Fieber. Nach sieben Tagen war das Ding durch.

Sollten für Discos alle Beschränkungen fallen?

Nein. Man sollte, trotz dessen, dass wir Erfahrungen gesammelt haben, dass es schnell wieder eskalieren kann, wenn man gar keine Kontrollen macht. Ich bin kein Fan von 2G, 3G, finde es schwierig, Leute pauschal auszuschließen. Du wirst vom Gastronomen zum Türsteher. Aber was ich nicht ausschließen würde, wäre der Vortest, dass der ganz elementar weiterhin ist. Das ist der Schlüssel, egal, was für Varianten kommen.

Erwarten Sie, dass zumindest 3G eingeführt wird?

Ich denke nicht. Es wird wohl weiterhin beim 2G+ bleiben. Das finde ich auch nicht schlimm. Wir haben eine hohe Impfquote in Schleswig-Holstein. So wie es jetzt ist - ich beschwere mich nicht.

Das ist in der Branche aber umstritten, oder?

Ja, jede Disco ist anders. In meinem Hygienekonzept stehen maximal 500 Leute, die kann ich reinlassen, die kann ich verteilen. Aber hast du einen Laden für 2000 Personen, Fun Parc oder Atrium, das stört. Das hemmt die Gewinn-Marge - und die brauchen den Gewinn.

Der Ukraine-Krieg bestimmt unseren Alltag. Ist es okay, trotzdem Party zu machen?

Dieses Abschalten ist wichtig. Es ist nicht verwerflich. Die Disco ist ein coronafreier Raum, die Jugend möchte es auskosten. Wir sind alle im Joy sehr politisch interessiert. Aber ob das ein Jugendlicher mit 16 Jahren zwischen Deutschrap, Kebab und Tinder so mitbekommt? Ich habe nicht das Gefühl, dass die Leute gehemmt sind.

Wie reagieren Sie auf die steigenden Energiepreise?

Es sind zwei Stromsauger-Geschäfte im „Joy“ und beim Bowling. Unsere Lieferanten sagen: Unter 1000 Euro fahren wir aus Norderstedt gar nicht mehr hoch. Du kannst die Preise anpassen, um Fixkosten zu decken. Aber da die Nachfrage gut ist, die Leute zu uns kommen, ist genug Masse da. Die Frage ist, was im Sommer ist - und wenn ich meine erste Nebenkostenabrechnung bekomme. Aber das geht jedem Gastronomen so, der jetzt noch überlegt, ob er an der Preisschraube dreht – denn so unterstützt man ja das Inflationsgeschehen.

Was lässt Sie optimistisch in die Zukunft blicken, was motiviert Sie?

Jeder Öffnungstag, an dem ich Leute glücklich mache. Hier beim Bowling, wenn die Kinderaugen beim Geburtstag strahlen, und das ist beim „Joy“ nicht anders, nur die Gäste sind ein bisschen älter. Einfach weitermachen und hoffen, dass am Ende alles gut wird. Sich zurückzuziehen, hilft ja auch nicht. Man wird es nicht schaffen, der negativen Energie aus Krieg, Hass und Gewalt zu entkommen.