Hamburg. Er ist ein Genie, das seine Musik nicht streamen lässt. In Hamburg gibt es 14 Konzerte zwischen Jazz, Metal, Folkpop und Klassik.

Als John Zorn im März 2017 das erste Mal in der Elbphilharmonie auftrat, da dauerte der Abend fast fünf Stunden, und zum Schluss war nur noch ein gutes Drittel der ursprünglich 2100 Besucherinnen und Besucher anwesend. Alle anderen hatte irgendwann die Kraft verlassen. Damals war der US-amerikanische Komponist und Saxofonist mit diversen Ensembles angereist, die einige seine „Bagatelles“ spielten, eine Auswahl aus den 300 zwar relativ kurzen, aber häufig sehr komplexe Stücken, die Zorn im Jahre 2015 binnen drei Monaten geschrieben hatte. Das kann schlauchen.

Wer damals dabei war, weiß, wie unfassbar vielfältig das Œuvre dieser musikalischen Ausnahmeerscheinung ist. Jazz mit jüdisch-orientalischem Einschlag, brachialer Extrem-Metal, elektronische Experimente, sanfter Folkpop, klassische Kammermusik, atmosphärische Film-Soundtracks, harmonische New-Age-Klänge – und so ziemlich alles dazwischen: Für John Zorn existieren einfach keine musikalischen Grenzen, und schon gar nicht interessiert ihn die traditionelle Musikindustrie mit ihren kommerziellen Gesetzen. Weshalb er eine ganz eigene Veröffentlichungspolitik betreibt.

John Zorn bringt nur heraus, was ihm gefällt

Bereits vor 27 Jahren gründete der heute 68-Jährige mit Tzadik in New York sein eigenes Label, auf dem bislang etwa 800 Alben erschienen sind. Potenzielle Verkaufszahlen spielen dabei maximal eine Nebenrolle; Zorn bringt nur heraus, was ihm gefällt, auch wenn in Einzelfällen lediglich 500 Exemplare eines Titels verkauft werden. Wer die Musik hören will, der muss sie kaufen, denn auf Streamingplattformen wie Spotify oder Apple Music sind die Tzadik-Titel nicht zu finden. Selbst auf YouTube gibt es – abgesehen von einigen Konzertmitschnitten – so gut wie nichts. Auch in dieser Hinsicht mache er keine Kompromisse, sagt er und verweist in einem seiner seltenen Interviews darauf, dass er weder Rezensionsexemplare der Alben an Journalisten verschicke noch in Musikmagazinen Anzeigen schalte. Radikale Unabhängigkeit ist Zorns Credo – und das nicht nur im Umgang mit den Medien.

Sein Leben sei komplett der Musik gewidmet, da gebe es keinen Platz für etwas anderes, erklärt der Mann, der seit mehr als 40 Jahren in ein und demselben Appartement in New York wohnt, umgeben von seinen Platten und Büchern, die, so zeigt ein kurzes YouTube-Video, die Wände füllen. Er habe sich entschieden, sich nicht ablenken zu lassen, hat Zorn in einem Gespräch mit dem Magazin „Jazz Times“ gesagt. Deshalb schaue er nicht fern, lese keine Zeitungen – und habe natürlich auch keine Familie, die in seinem 24-Stunden-Arbeitstag („Ich bin auch kreativ, wenn ich schlafe“) unmöglich Platz finden könnte.

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Wie auch: Zorn komponiert nicht nur unablässig, nimmt CDs auf, gibt und organisiert Konzerte, er schreibt zudem musiktheoretische Abhandlungen und kuratiert eine Buchreihe zum Thema („Arcana“), für die Musikerinnen und Musiker wie Hilary Hahn, Brad Mehldau, Pat Metheny, Barbara Hannigan Fred Frith oder Dave Douglas Beiträge liefern. Ob er jemals Urlaub mache, wurde er einmal gefragt. Seine Antwort: „Ich habe mich entschieden zu arbeiten, an Urlaub habe ich kein Interesse.“

Für dieses Festival reisen Fans aus ganz Europa an

Die Elbphilharmonie widmet John Zorn nun, vom 17. bis zum 20. März, ein „Reflektor“-Festival, eine carte blanche, bei der der so Geehrte völlig frei in dem ist, was er dem Publikum präsentiert. Einem Publikum, das übrigens nicht nur aus Hamburg kommt, sondern das aus ganz Europa anreist, denn für die internationale Gemeinde der Zorn-Fans ist ein solches Festival der Jahreshöhepunkt. Mindestens.

Tatsächlich wird in der Elbphilharmonie an diesen vier Märztagen ein herausragendes Programm geboten, das viele (aber längst nicht alle!) Facetten des Zorn-Kosmos’ beleuchtet. So gibt es zum Auftakt am 17. März furiosen Jazzmetal mit dem Trio Simulacrum, anschließend locker an dem legendären Ornette Coleman orientierten Jazz mit dem Masada Quartet und dem New Masada Quartet. Einen Tag später dann reicht die Spannbreite von Piano-Etüden über geistliche Musik mit Vokalensem­ble bis zu feinen Songperlen, gesungen von Petra Haden, Tochter des Jazzbassisten Charlie Haden. Am Sonnabend gibt es Streichquartette, Fusionjazz, Gesangextremismus mit Sopranistin Barbara Hannigan und John Zorn solo an der Elbphilharmonie-Orgel und am Saxofon, inspiriert von zwei Edgar-Allan-Poe-Novellen.

Zum Abschluss am Sonntag spielt unter anderem ab mittags das Brian Marsella Trio Zorn-Kompositionen (da stehen die Zeichen auf vergleichsweise traditionellen Jazz), es gibt weitere Streichquartette und zum vermutlich mitreißenden Abschluss die Weltpremiere der All-Star-Band New Electric Masada mit den Gitarristen Bill Frisell und Julian Lage sowie Brian Marsella (Fender Rhodes), John Medeski (Keyboard), Ikue Mori (Electronics), Trevor Dunn (Bass), den Schlagzeugern Kenny Wollesen und Joey Baron, Perkussionist Cyro Baptista – und natürlich John Zorn am Saxofon.

Insgesamt 14 Konzerte, von denen jedes Ausgangspunkt sein kann, tief in die so übergroße wie faszinierende Welt dieses Musikers und Komponisten einzutauchen.

Reflektor John Zorn Do 17.3. bis So 20.3, Elbphilharmonie, Karten unter elbphilharmonie.de