Hamburg. Das Kunstspiel zum Mitmachen – jeden Montag im Abendblatt. Heute: Michelangelo „Studienblatt “. Über das Werk und den Künstler.
Was soll man noch über einen Künstler sagen, wenn Giorgio Vasari seinen Kollegen schon im 16. Jahrhundert als „der Göttliche“ beschrieben hat? Zunächst einmal zum Bild: Im Zentrum steht ein Mann mit einem aufwendigen Helm. Das Tier, das ihn krönt, könnte ein Drache sein, der auf einem Raubvogelschnabel sitzt. Über das Bild verteilt sind Studien eines Ohres, eines Kinns, der Stirn eines Mannes; ein weiterer blickt mit geöffnetem Mund nach oben, ein anderer schreitet und streckt dabei seine Hand vor.
Rechts sieht man ein gehendes Kind, das an einer schwer zu identifizierbaren Konstruktion zieht. Wörter und Schraffuren ergänzen die bildlichen Darstellungen. Kunsthistoriker haben außerdem nackte weibliche Körper entdeckt, die, anders als der Rest, nicht mit einer Feder, sondern mit Kreide gestaltet wurden.
Kunsthalle Hamburg: Bild wurde beschnitten
So prall voll wie das Bild ist auch sein Titel: „Studienblatt u. a. mit behelmtem Kopf, weiteren Kopfstudien und Schriftproben“. Es soll um 1504 entstanden sein. Die Hintergründe des Bildes lesen sich fast wie ein Krimi. Egal, ob man das Blatt für ein Werk des „größten Künstlers aller Zeiten“ und einem der neben Raffael und Leonardo da Vinci bedeutendsten Künstler der Hochrenaissance – Michelangelo Buonarroti (1475– 1564) – , oder einen „Schmierzettel“ hält, worauf sich unsere beiden erfahrenen Kunstexperten nicht ganz einigen konnten. Wenn zwei Experten aufeinandertreffen, kommt man schnell auf vier bis fünf unterschiedliche Meinungen.
Das Bild wurde beschnitten. Es sei daher „problematisch, definitive Rückschlüsse auf seine ursprüngliche Funktion zu ziehen“, schreibt die Kunsthalle in ihrem umfangreichen Sammlungstext. Gelobt werden aber die Qualität der einzelnen Studien, insbesondere ihre Plastizität und virtuose Leichtigkeit. „Die von dem Blatt ausgehende Faszination beruht auch auf der Gegensätzlichkeit zwischen aufgelockerten Skizzen und präzisen Studien.“
Michelangelo war ein Universalgenie
Aber ist es überhaupt von Michelangelo? Die Zuschreibung zu seinem Werk, dessen Name auf dem Rahmen steht, könnte womöglich erst im 19. Jahrhundert erfolgt sein. Die Fachleute streiten sich – was auch sonst? Einer legt sich fest: „Die gesamte Anlage des Blattes, die veritable Zeichentechnik und die Qualität der Details weisen Michelangelo als kreativen und zeichnerisch versierten Künstler aus.“ Und das Unfertige habe auch einen eigenen Charme.
Der Italiener selbst, der ursprünglich aus Florenz stammte, war ein Universalgenie, der nebenbei auch noch als Bildhauer, Dichter und Architekt arbeitete. Zu seinen Auftraggebern zählten die Familie Medici und mehrere Päpste. Michelangelo prägte mit seiner Kunst sowohl die Malerei und die Plastik als auch die Architektur.
Kunsthalle Hamburg: Auch Goethe erkannte das Talent
Die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle im päpstlichen Auftrag, in der er die biblische Schöpfungsgeschichte darstellt, zählt zu den Höhepunkten seines reichhaltigen schöpferischen Lebens. Johann Wolfgang von Goethe hat das früh erkannt, als er sagte: „Ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag.“ Sich selbst hat der Künstler in dem Bild „Jüngstes Gericht“ an der Altarwand der Kapelle als leere Hauthülle dargestellt.
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Ein Kunsthistoriker hat besonders die Plastizität der Körper in den Darstellungen des Ausnahmekünstlers herausgestellt. „Sie liefern Michelangelo die Ideen von Größe, Macht und Schönheit des Menschen, nicht im Sinne einer bloßen Imitation von Natur, sondern als substanzielles und existenzielles Verhältnis des Renaissance-Menschen zur Wirklichkeit.“ Michelangelo selbst kommentierte das so: „Weh jedem, der vermessen und verblendet, die Schönheit wieder zu den Sinnen reißt. Zum Himmel trägt sie den gesunden Geist.“