Hamburg. „Blitzsymbol & Schlangentanz“ im MARKK zeigt den Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg auch als aufdringlichen Touristen.

Ein „Gentlemen-Reisender“, stets adrett mit Anzug und Krawatte gekleidet, der bevorzugt in Luxushotels residierte und von internationalen Kontakten profitierte. Ein Forschender, den es in abgelegene Dörfer der Pueblos zog, um mit Menschen und fremden Kulturen in Kontakt zu kommen. Ein Historiker auf den Spuren der Antike, einer, der fast manisch schrieb und dokumentierte, was um ihn herum geschah, um zu begreifen.

Wer war Aby Warburg, was waren seine Interessen und wie ist der berühmte Kunsthistoriker aus heutiger Sicht zu bewerten? Dieses spannende Feld an Fragen bearbeitet die aktuelle Ausstellung „Blitzsymbol & Schlangentanz. Aby Warburg und die Pueblo-Kunst“ im MARKK, Museum am Rothenbaum.

Ausstellung Hamburg: Eine Reise steht im Vordergrund

Aby Warburg wurde am 13. Juni 1866 als Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie in Hamburg geboren und studierte nach dem Schulbesuch des Johanneums Kunstgeschichte und die Geschichte der Archäologie; er promovierte zu Botticellis „Geburt der Venus“ und „Frühling“ in Straßburg und absolvierte 1892/93 seinen Militärdienst in Karlsruhe. Anschließend zog er nach Florenz, wo er seine spätere Ehefrau Mary Hertz kennenlernte.

Im Zentrum der Ausstellung steht eine für Warburg prägende Reise in den Südwesten der USA 1895/96, bei der er die Kultur der Hopi in den Pueblos (Dörfern), der Navajo und Apache kennenlernte und die ihn als Tourist und Forscher gleichermaßen so faszinierte, dass er seine „amerikanische Sammlung“ dort begründete. Sie umfasst etwa einen gewebten Zierteppich aus Santa Fe, mit Tier- und Wolkenmotiven bemalte Schalen, sowie eine Rassel, die aus einem Schildkrötenpanzer gefertigt wurde.

100 Jahre war die Sammlung schon im MARKK

Katsina-Figur Sa’lakwmana (Sa’lakwmana tihu) der Hopi, Arizona, um 1890-1895.
Katsina-Figur Sa’lakwmana (Sa’lakwmana tihu) der Hopi, Arizona, um 1890-1895. © © MARKK Foto: Paul Schimweg

Auch für Hopi heilige oder gar belebte Objekte finden sich in der Sammlung, zum Beispiel die von Außenstehenden als „Masken“ bezeichneten Kopfbedeckungen der Katsina-Wesen. Diese „Freunde“ sind für die Hopi Subjekte mit eigener Persönlichkeit und Wirkmacht für Regen und Fruchtbarkeit. Für den Kunsthistoriker war der „Zusammenhang zwischen heidnisch-religiösen Vorstellungen und künstlerischer Thätigkeit nirgends besser erkennbar als bei den Pueblo-Indianern“, so Aby Warburg 1897.

Zwischen 1899 und 1902 vermachte er dem damaligen Museum für Völkerkunde, dem er zeitlebens sehr nahestand, schrittweise seine Sammlung. 100 Jahre „schlummerte“ sie in den Räumen an der Ro­thenbaumchaussee; nur einzelne Objekte wurden ausgestellt oder verliehen. In ihrer Vollständigkeit ist die Sammlung nun erstmals zu erleben, ergänzt durch Leihgaben aus dem Warburg Institute in London. Die Hamburger Sammlung ist eines der wenigen materiellen Zeugnisse, die in Warburgs Heimatstadt heute noch von seinem wissenschaftlichen Wirken erhalten sind.

Mischung aus Forscherdrang und Voyeurismus

Charles Fredric Lovato: „Of Beauty and Woman“.
Charles Fredric Lovato: „Of Beauty and Woman“. © Paul Schimweg/MARKK

Dies sei ein Grund zum Feiern, wenngleich der Moment dafür sehr eigenartig sei, sagte Direktorin Barbara Plankensteiner in ihrer Begrüßungsrede. „Denn wir alle sind gerade mit einem ganz anderen Thema befasst und mit unseren Gedanken in der Ukraine.“ Die Ausstellung dieser Sammlung sei seit ihrem Amtsantritt am MARKK eine „Herzensangelegenheit“, zeuge sie doch von Warburgs Bestreben einer kulturübergreifenden Kunstgeschichte, die heute für alle ethnologischen Museen relevant ist. Gleichzeitig seien „aus heutiger Sicht manche Verhaltensweisen des Kunstwissenschaftlers vor Ort bedenklich“, auch das greift die Ausstellung auf.

So fotografierte Warburg bei einem Frühlingszeremoniell der Hopi, setzte sich deren Masken auf und störte die Teilnehmer an ihren Ruheplätzen. Um eine Pueblo-Bewohnerin besser ablichten zu können, wurden ihr auf sehr bedrängende Weise von zwei Männern die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Auch eignete sich der Historiker vom Gouverneur eines Dorfes geheimes religiöses Wissen an. Diese Mischung aus Forscherdrang, Faszination am Exotischen und Voyeurismus ist es, die Warburg posthum zu einer problematischen Figur macht.

Ausstellung Hamburg: Die Reise prägte Warburg

Christine Chávez, Kuratorin der Amerika-Abteilung am MARKK: „Aby Warburg war von den Evolutionstheorien des 19. Jahrhunderts und dem damit verbundenen Gedankengut von europäischer Überlegenheit geprägt.“ Umso wichtiger sei es ihr bei der Ausstellungskonzeption gewesen, mit Partnern und zeitgenössischen Künstlern aus den Herkunftskulturen zusammenzuarbeiten, um deren Perspektive abzubilden.

„Es gibt einen frühen und einen späten Warburg“, sagt Uwe Fleckner, Warburg-Experte an der Universität Hamburg. Besonders durch die USA-Reise sei er reflektierter geworden und habe sogar seinen „Ekel vor der Ästhetisierung dieser Kulturen“ ausgedrückt. Seine Eindrücke und Forschungsergebnisse mündeten schließlich 1923 in den „Schlangentanz“-Vortrag im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen, wo er mehrere Jahre wegen einer Nervenkrankheit behandelt wurde. Und obgleich er nie einem solchen tänzerischen Ritual beigewohnt hatte, erlangten seine Forschungen zur Symbolik der Schlangen enorme Bedeutung und begründeten seinen Ruf als wegweisenden Kulturanthropologen. 1939, zehn Jahre nach Warburgs Tod, wurde sein berühmtester Text in mehrere Sprachen übersetzt.

„Blitzsymbol & Schlangentanz. Aby Warburg und die Pueblo-Kunst“ bis 8.1.2023, MARKK (U Hallerstraße), Rothenbaumchaussee 64, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00, Eintritt 8,50/4,50 (erm.), weitere Infos unter www.markk-hamburg.de.