Hamburg. Heute, sagt die fast 80-Jährige, wissen junge Regisseurinnen, was sie wert sind. Ein Gespräch über Karriere, Frauen und Missstände.
Margarethe von Trotta hat viel für das deutsche Kino getan. Immer wieder hat sie in ihren Filmen wichtige Frauen aus unserem Land porträtiert: Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin, Hildegard von Bingen, zuletzt Hannah Arendt. Ihre Anfänge als Regisseurin waren schwierig, im Ausland bekam sie noch mehr Anerkennung als im eigenen Land.
„Die bleierne Zeit“ gewann 1981 in Venedig den Goldenen Löwen. In dem von Studio Hamburg produzierten Dokumentarfilm „Margarethe von Trotta – Zeit der Frauen“ von Cuini Amelio Ortiz und Peter Altmann, den Arte am Montag zeigt, an ihrem 80. Geburtstag, kommen auch Weggefährtinnen wie Barbara Sukowa, Angela Winkler und Katja Riemann zu Wort.
Hamburger Abendblatt: Hätten Sie gedacht, als Sie 25 Jahre alt waren, dass Sie mit 80 noch Filme inszenieren?
Margarethe von Trotta: Nein, überhaupt nicht. Wenn man noch so jung ist, denkt man doch sowieso höchstens bis 40 oder 50. Ab 50 Jahren habe ich mir dann aber in Anlehnung an eine Erzählung von Brecht gedacht: Ich möchte gern eine unwürdige Greisin werden.
Wie und wann haben Sie gemerkt, dass Schauspielerei Ihnen nicht genug ist?
von Trotta: Von Anfang an. Ich wollte eigentlich auch gar keine Schauspielerin werden. Es war für mich nur ein Umweg, um überhaupt zum Film zu kommen und dort etwas zu lernen. Ich hätte nie das Geld gehabt, um auf eine Filmhochschule zu gehen, also musste ich irgendwie anders lernen, wie man Filme macht. Dazu gehörte auch, dass ich sehr viele von ihnen gesehen habe. Als ich damit in Paris im Quartier Latin begonnen habe, konnte man mit einer Eintrittskarte noch dreimal denselben Film schauen, musste aber nur einmal bezahlen. Das habe ich ausgiebig genutzt. Wenn ich selbst spielte, habe ich immer darauf geachtet: Wie machen es die anderen?
Stimmt es, dass Sie ursprünglich Trapezkünstlerin werden wollten?
von Trotta: Ja.
Hat Sie da nicht der Filmtitel von Alexander Kluge abgeschreckt, „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“?
von Trotta: Das passt doch. Trapezkünstlerin bin ich nie geworden, ratlos war ich sehr oft.
Im Dokumentarfilm erwähnen Sie Ihr von Rainer Maria Rilke abgeleitetes Motto: „Wer spricht vom Siegen? Überstehen ist alles.“ Mussten Sie sich das oft vor Augen führen?
von Trotta: Ja, denn bis ich selbst Filme machen konnte, musste ich relativ lange warten. Volker Schlöndorff, Louis Malle und die anderen jungen Cineasten aus Frankreich hatten doch alle schon mit 24, 25 ihre ersten Filme gemacht. Ich musste da noch sehr viel Geduld haben und immer wieder denken: überstehen, überstehen.
Aber das Warten hat sich doch gelohnt. Bei „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ haben Sie zusammen mit Schlöndorff, mit dem Sie lange verheiratet waren, das Drehbuch geschrieben, als Regisseur wird er oft allein genannt. Haben Sie da nicht auch zusammen inszeniert?
von Trotta: Ja. Aber der Verleih und die Produzenten wollten mich nicht nennen, weil sie dachten: Schlöndorff ist so ein toller Name, da kann nicht noch der einer Frau danebenstehen.
Konnte man sich dagegen nicht wehren?
von Trotta: Habe ich gemacht, aber es ist mir nicht so richtig gelungen. Im Film selbst bin ich mit erwähnt, aber weder auf dem Plakat noch auf den Ankündigungen. Als ich später schon Filme machte, hat sich ein Kritiker echauffiert, er wundere sich darüber, dass man mir immer noch Geld gebe, „nur weil sie keinen Schwanz hat“. Können Sie sich vorstellen, dass das heute noch jemand sagen würde?
Natürlich nicht, aber ich habe mich ohnehin über einige Kulturjournalisten gewundert, die in frühen Interviewausschnitten gezeigt werden. Was haben die Ihnen für unverschämte und dumme Fragen gestellt?
von Trotta: Unfassbar, oder? Das könnten sie sich heute alle nicht mehr erlauben.
Gab es keine guten Männer beim Film?
von Trotta: Doch, doch, aber nur wenig gute Kritiker.
Ihr Film aus dem Jahr 1981, „Die bleierne Zeit“ über die Ensslin-Schwestern, ist gut über die Jahre gekommen. Toll, wie Sie da die Unvereinbarkeit von Standpunkten und die Unzertrennlichkeit von Schwestern unter einen Hut bekommen haben.
von Trotta: Es ist immer so schrecklich, dass jemand als Lieblingsfilm einen angibt, den ich schon vor 40 Jahren gemacht habe. „Hannah Arendt“ aus dem Jahr 2012 fand ich zum Beispiel auch nicht schlecht. Der ist doch genauso gut.
Können männliche Regisseure keine guten Filme über wichtige Frauen machen?
von Trotta: Doch, das denke ich schon. Wenn sie es wollen. Oft suchen sie aber Filme aus, in denen es in erster Linie um Männer geht.
Man hat zu Beginn Ihrer Karriere oft darüber diskutiert, ob es eine „weibliche Form von Ästhetik“ gibt.
von Trotta: Zuerst habe ich das gedacht und behauptet. Frauen mussten damals noch schön, schlank, jung und sexy sein, um in den Filmen von Männern spielen zu können. Da haben wir ein anderes Auge auf unsere Darsteller gehabt. Wir Regisseurinnen wollten einfach Frauen als Menschen. Da hat sich aber einiges geändert. Obwohl, schauen Sie sich mal die französischen Schauspielerinnen an. Die sind alle geliftet. Das finde ich immer noch beklagenswert.
Ist denn überhaupt schon genug für Frauen in der Filmbranche getan worden? Es gibt ja auch die Pro-Quote-Bewegung.
von Trotta: Man muss immer wieder darauf hinweisen, sonst geraten wir in Vergessenheit. Das Ziel ist gesellschaftlich überhaupt noch nicht erreicht. Der Film ist da nur ein Abbild der Gesellschaft insgesamt.
Sie sind als junge Frau von Deutschland nach Paris gegangen. War das eine Art Offenbarung für Sie? Deutschland war damals ja noch ziemlich muffig.
von Trotta: Absolut. Ich war aber auch nicht die Einzige, die an die Seine gezogen ist. Es waren viele Frauen, die später beim Film angekommen sind. Wir haben uns da eine andere Art von Atmosphäre erhofft – und gefunden.
Sie haben in Paris auch Philosophie gelernt?
von Trotta: Ich hatte das Fach in der Schule nicht. Aber ich habe in Paris einen jungen Philosophiestudenten kennengelernt, meine erste große Liebe. Er war auch ein sehr guter Lehrer. Stundenlang sind wir an der Seine entlanggelaufen. Er hat mir dabei Spinoza, Kant und Platon erklärt.
Besser kann man das doch nicht lernen, oder?
von Trotta: In der Schule will man ja nicht immer, aber da wollte ich.
Werner Herzog hat Sie bei einer frühen Begegnung mal ein wenig desillusioniert, oder?
von Trotta: Als ich in Venedig den Goldenen Löwen für „Die bleierne Zeit“ gewonnen haben, hat er gesagt: Du wirst sehen, mit deinem nächsten Film wirst du in Deutschland getunkt. So ist es dann auch gekommen.
Warum?
von Trotta: Ich habe es zuerst nicht glauben wollen, aber ich bin von der Kritik richtig abgestraft worden. Der Theaterregisseur Peter Stein hat mir gesagt: Sobald man Erfolg hat, können die Leute es nicht ertragen.
Irgendwann sind Sie von der einen Traumstadt in die andere gewechselt und nach Rom gegangen. Was bedeutet Ihnen die Metropole heute?
von Trotta: Rom ist meine Lieblingsstadt geblieben.
Sie haben dort Marcello Mastroianni getroffen, der Ihnen sonderbare Geschichten erzählt hat ...
von Trotta: Wir waren miteinander befreundet, und er wollte mir immer beweisen, dass er auch Deutsch kann. Dann hat er mir einen dummen Spruch vorgetragen, den er für einen Film hatte lernen müssen, natürlich rein phonetisch. Das war so ein Witz nach dem Motto: Die Wirtin hatte auch einen ... Es wurde immer pornografischer. Ich habe zu ihm gesagt: Wenn du wüsstest, was du da für ein dummes Zeug redest. Aber er fing bei jedem Treffen wieder davon an. Vielleicht wollte er mich auch nur ärgern.
Sie stehen gerade kurz vor Drehbeginn Ihres neuen Films „Bachmann & Frisch“. Können Sie jetzt schon etwas darüber erzählen?
von Trotta: Ungern, denn ich bin abergläubig. Der italienische Regisseur Nanni Moretti hat mal zu mir gesagt: Du darfst nie über einen Film reden, den du noch nicht gemacht hat, sonst machst du ihn nicht.
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Gibt es unter den jungen deutschen Regisseurinnen welche, die Ihnen Hoffnung machen?
von Trotta: Jede Menge. Die kennen ihr Handwerk und wissen, was sie wert sind. Als ich angefangen habe, gab es zwar auch einige, aber die machen ja leider keine Filme mehr.
Wie haben Sie es geschafft, so lange so fit zu bleiben, dass Sie sich jetzt noch einmal in so ein Abenteuer stürzen?
von Trotta: Durch Nachdenken.
Filme: „Hannah Arendt“: So 23.55 Uhr, rbb, „Rosenstraße“: Mo 20.15 Uhr, Arte, „Margarethe v. Trotta – Zeit der Frauen“: Mo 22.25 Uhr, Arte Buch: Thilo Wydra, Margarethe von Trotta. „Gegenwärtig sein“. Kampa, 347 S., 24 Euro.