Köln/Hamburg. Der Filmemacher Heinrich Breloer feiert morgen seinen 80. Geburtstag. Was ihn antrieb: „Wie lebt man? Das war meine wichtigste Frage.“

Von der RAF bis zur Barschel-Affäre, von Brecht bis Thomas Mann: Den „Anthropologen der Bundesrepu­blik“ hat man ihn genannt. Ein Leben lang war Heinrich Breloer voller forschender Neugier auf die Wahrheit hinter Legenden und vermeintlich unverrückbaren Tatsachen. Am morgigen Donnerstag, 17. Februar, wird der große deutsche Filmemacher 80 Jahre alt. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen über eine prägende Kindheit, „suchendes Fernsehen“, die Faszination des Biografischen und das Rumbatanzen auf der Reeperbahn.

Sie haben 27 Jahre in Hamburg gelebt, Ihr Durchbruch kam mit „Das Beil von Wandsbek“. Was sind Ihre Erinnerungen an die Stadt?

Heinrich Breloer: Wissen Sie, dass ich mich lange geweigert habe, die Straßennamen von Köln zu lernen? So sehr hab ich Hamburg vermisst! Ich bin aus einer kleinen Welt in ein Fünfsternehotel gefallen, es war ein Felix-Krull-Gefühl. Aber die Stadt hat mich angenommen. Dafür bin ich bis heute dankbar. Ich sag immer: Ich bin hier als kleine katholische Tabernakellaus reingekommen, und als freier Mensch bin ich rausgegangen.

Woraus setzte sich diese Menschwerdung in Hamburg zusammen?

Heinrich Breloer: Aus Leuten, die ich hier treffen durfte. Aus der Großzügigkeit dieser Stadt. Aus einer geistigen Offenheit, die mir als einstigem Internatsschüler diesen Quatsch mit dem Glauben an die Hölle abzulegen half, diese böse sadistische Idee. Aus einem sehr langen Studium Generale: denken lernen, lesen lernen. Durch beglückende Stunden beim Drehen und im Kino. Durch Peymann am Studententheater ebenso wie durchs Rumbatanzen auf der Reeperbahn – in einem Lokal, in dem die Damen einen aufforderten.

Reisen wir weit zurück: Als Kind stürzt vieles auf Sie ein, was später Ihre Filme regiert. Das feine Hotel Ihrer Eltern am Rand des Ruhrgebiets ist erst der Ort, an dem hochdekorierte Nazis edle Weine trinken, 1945 wird die „Loemühle“ Hauptsitz der britischen Besatzer. Ein Kind sieht zu und fragt vielleicht: „Wer ist denn jetzt der Gute?“ War das eine frühe Erkenntnis: dass man sich nicht auf die Schilderung anderer verlassen darf?

Heinrich Breloer: Volltreffer! Ich habe früh, wenn auch kindlich naiv, das erlebt, was ich „doppelte Erzählung“ nennen würde. Zwischen den von Ihnen genannten Stationen liegt noch eine andere: Am Ende des Krieges ist unser Marler Hotel ein Lazarett. Jeden Tag kommt der Chefarzt, jeden Tag wird amputiert. Die abgesägten Arme und Beine werden im Garten vergraben. Meine Mutter hört nachts die Schreie, aber der Arzt sagt: „Frau Bre­loer, wir haben alle unter Morphium.“ Jahre später, als unsere Gäste – nur Meter über den Soldatengebeinen! – auf der Terrasse Kaffee und Kuchen genießen, besucht der Chefarzt meine Mutter. Und da sagt er: „Wir hatten damals überhaupt kein Morphium mehr!“ Das sind Erlebnisse, die mir ein gesundes Misstrauen gegen Geschichte und Geschichten eingepflanzt haben.

In Ihre filmische Arbeit übersetzt hieß das am Anfang: „Weg vom Behauptungsfernsehen“...

Heinrich Breloer: Alles war starr damals, selbst die Kameras, die komplett auf Schienen liefen, nichts Spontanes, Menschliches zuließen. Damit konnten wir brechen, nah an die Menschen als Zeitzeugen kommen, nah an ihre Empfindungen, ihre Erinnerungen. Wir wollten keine Superqualität von Bild und Ton, als wir anfingen; wir wollten Intensität ohne einschüchternde Apparate.

Sie haben auch vermeintliche Täter vor der Kamera nie
bedrängt ...

Heinrich Breloer: Weil es das Gegenteil von dem bringt, was manche sich davon versprechen. Jemand, den man sofort abstempelt, konfrontiert, der wird nie reden, der macht zu. Schweigen ist oft die beste Waffe, um sein Gegenüber zum Sprechen zu bringen. Auch auf einen Mörder gehe ich erst einmal zu und will ihn verstehen. Ich höre ihm zu, wie ein Therapeut einem kranken Menschen zuhört und ihn nicht verurteilt für das, was er war. Aber das ist hart: Ich bin danach immer fix und foxi.

Im Falle Albert Speers mussten Sie auch seiner Familie Illusionen nehmen ...

Heinrich Breloer: Das war ein Teil von dem, was ich als „suchendes Fernsehen“ begreife: Wir gehen mit Speers Kindern auf die Suche nach einem großen Verbrecher, den sie für einen liebenden Vater halten. Und wir sehen: Er hat sie so grundsätzlich belogen, wie er das ganze Land belogen hat. Was der Zuschauer sieht: Die Kinder waren genauso gefangen in der Legende wie wir. Ein Ansatz meiner Arbeit war immer, beim Betrachter eigene Erkenntnis zuzulassen, nichts drüberzustülpen.

Sie haben dem Zuschauer stets große Eigenverantwortung zugeschrieben.

Heinrich Breloer: Sicher, am Ende muss er ja die Wahrheit mit sich selbst abmachen. Über den Zuschauer wird viel zu selten geredet. Ohne ihn ist der Film alleine, der Darsteller und ich auch. Nur, wenn sie dabei sind, lebt das Genre. Man muss es mit Respekt machen. Leider sehen wir heute das Gegenteil – mit mehr Programm, als man sehen kann, obwohl doch die Zeit der Menschen begrenzt ist. Ich habe immer gedacht: Der Zuschauer schenkt dir ein Stück seiner Lebenszeit, darum musst du ihm etwas zurückgeben, du musst besonders gut und gründlich sein.

Sie gelten als Vater des Dokudramas. Fakten und Spielszenen haben Sie in einer Dimension legiert wie niemand vor Ihnen. Ist das nicht auch Behauptung?

Heinrich Breloer: Nein, es ist immer ein „So könnte es gewesen sein!“ Was ich sicher sagen kann: Ich recherchiere extrem genau. Alle Spielszenen fußen auf Fundstücken und Erkenntnissen, die meinen Dreharbeiten vorangegangen sind. Da bin ich ganz nah bei Thomas Mann: Wenn man sucht, stößt man auf dramatischere Sachen, als wenn man erfindet.

Wehner, Mann, Brecht, Speer: Biografien sind das Leitmotiv Ihrer Arbeit. Was ist der Grund?

Heinrich Breloer: Ich hab all das gemacht, weil ich nicht wusste, wie ich leben sollte. Ich war überhaupt nicht fürs Leben erzogen worden. Wie lebt man? Das war meine wichtigste Frage. Die Genannten gaben viele Antworten, natürlich auch darauf, wie man nicht leben will.

Und heute, mit 80, wie sehen Sie Ihre eigene Biografie, Herr Breloer?

Heinrich Breloer: Es gab in meinem Leben Türen, die ich öffnen durfte und konnte. Und ich denke, es waren, teils mit Glück, teils mit Talent, oft die richtigen. Mit 80 darf ich sagen: Ich bin einverstanden mit meinem Leben, mit all den Wegen, auch mit den Türen, durch die ich nicht gegangen bin.

Wagte jemand dereinst das Dokudrama „Breloer“, von wem sähen Sie sich gern gespielt?

Heinrich Breloer: Von „,meinem“ jungen Brecht: Tom Schilling.

Und wer spielt den reifen Breloer?

Daran habe ich noch nicht gedacht, dafür fehlt mir im Moment noch die Vorstellungskraft (lacht herzlich).