Hamburg. Das NDR Elbphilharmonie Orchester widmet sich einigen Werken einiger US-amerikanischer Komponisten. Viele Namen fehlen allerdings.

Kein Glass, kein Reich, kein Feldman, kein Riley. Noch nicht mal Gershwin, und etliche andere aus etlichen Jahrzehnten schillernd vielfältiger Musikgeschichte auch nicht. Das Etikett „Festival“ muss etwas fester verklebt werden, damit es an dem Sortiment hält, das NDR-Chefdirigent Alan Gilbert in diesem Februar zum Festival mit US-amerikanischer Musik in der Elbphilharmonie ausgerufen hat.

Kleines Trostpflaster: John Cage, immerhin, huscht in einem Avantgarde-Konzert der Reihe „das neue werk“ kurz durchs Bild; die NDR Big Band huldigt den Trompetern Miles Davis und Chet Baker. Es ist ein bisschen so, als würden die Bayreuther Festspiele einen „Ring“ ankündigen und dann aber nur den ersten „Walküre“-Akt bringen.

Elbphilharmonie: Einschränkungen wegen der Pandemie

„Das ganze Bild zeigen wir natürlich nicht“, räumt Gilbert unumwunden ein. „Geben Sie uns Zeit. Wir haben die programmlichen Entscheidungen innerhalb des Rahmens getroffen, der uns hier zur Verfügung steht und mussten uns pandemiebedingt dann noch einmal einschränken. Wir wollten nie amerikanische Musik in ihrer Gesamtheit zeigen, es sollte eher darum gehen, Musik aus einer Epoche amerikanischer Geschichte zu präsentieren, in der es viele Herausforderungen und Krisen gab.“ Als erste Ideen für dieses Festival gewälzt wurden, hieß der US-Präsident noch nicht Joe Biden, der leidend ironische Arbeitstitel sei „Remember America?“ gewesen, berichtet Gilbert.

Einen Teil der Mitschuld an der programmatischen Mangelerscheinung trägt natürlich die Pandemie. Denn inzwischen hat es – was Gilbert als Fan sehr schmerzt – mit der monumental aufwändigen 4. Sinfonie von Charles Ives auch ein absolutes Schlüsselwerk zum Verständnis von Klassik „made in the USA“ aus dem Programm des Eröffnungs-Konzerts gekegelt, das Schmuck-Stück der Setlist. Nachgeholt werden soll dieser Ives unbedingt, wann, ist allerdings noch unklar.

„Lincoln Portrait“: Rede mit Orchester-Pathos unterlegt

Übrig geblieben sind nun nur noch einige, sehr wenige bekannte Namen, verteilt auf zwei Programme an vier Orchester-Konzert-Abenden: Leonard Bernstein, aber Gott sei Dank nicht erwartbar mit seinem größten Hit „West Side Story“, sondern einem Ohrenöffner, der 2. Sinfonie, deren Untertitel „The Age of Anxiety“ dem Festivälchen seinen Titel gab. Aaron Copland, 1900 als Sohn eingewanderter Juden aus Litauen in New York geboren und in vielen seiner Werke so uramerikanisch auftretend wie Coca-Cola schmeckt, ist mit seiner 3. Sinfonie dabei, 1946 uraufgeführt, die nach Präriestaub und weitem, eher nicht wilden Westen klingt.

Und mit dem staatstragenden „Lincoln Portrait“, für das Redetexte dieses Präsidenten mit salbungsvollem Orchester-Pathos unterlegt wurden. „Gerade diese Dritte kann oberflächlich betrachtet etwas chauvinistisch wirken. Aber im Kontext eines Festivals namens ,Age of Anxiety‘ macht sie Sinn.“ Sie habe eben nichts „America first“-artiges, sondern steht für Optimismus und die Selbstverunsicherung, mit der die USA sich in jener Zeit zu beschäftigen hatte.

Korngold wurde als Filmmusik-Komponist weltbekannt

Samuel Barber, Weggefährte Cop­lands, bewegt sich mit seinen „Essays for Orchestra“ in spätestromantischen Sphären. Erich Wolfgang Korngold wurde in Europa berühmt und in den goldenen Jahren von Hollywood als Filmmusik-Komponist weltbekannt, sein süffiges Violinkonzert repräsentiert im Angebot das Leitmotiv des Landes der unbegrenzten Verwandlungsmöglichkeiten.

Als „American conductor“ habe er sich nie gesehen, betont der gebürtige New Yorker, jahrelang habe er sich sogar sehr darum bemüht, sich bei Engagements nicht reflexartig mit Musik aus seiner Heimat einlassen zu müssen. Einfach sei das nicht gewesen. Nun also ist es, wie es ist im Spielplan.

Elbphilharmonie: Gilbert möchte etwas beweisen

Auf die Frage, ob es möglichst bald einen zweiten Anlauf für ein erstes großes Panorama der US-Musikvielfalt gibt, antwortet Gilbert so diplomatisch wie ausweichend: „Wir haben viele Ideen dazu und in dieser Saison ja bereits in einige Programme Americana hineingestreut, in das Eröffnungsprogramm beispielsweise. Auf jeden Fall möchte ich die leicht herablassende Grundhaltung ändern, dass amerikanische Musik ganz nett sei, aber doch nicht auf Augenhöhe. Einiges aus Amerika – wie aus jedem anderen Land – ist vielleicht nicht so gut. Anderes aber ist wirklich großartig.“

Konzert-Infos: www.elbphilharmonie.de. Konzertstreams unter NDR.de/EO.
Hör-Empfehlungen:
Copland „Symphony No. 3“ u.a. New York Philharmonic, Leonard Bernstein (DG, Vinyl ca. 27 Euro). Copland „Appalachian Spring” u.a. Los AngeIes Philharmonic, Leonard Bernstein (DG, CD ca. 8 Euro). Ives „Complete Symphonies” Los Angeles Philharmonic, Gustavo Dudamel (DG, CD ca. 20 Euro). Price „Symphonies No. 1 & 3” Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin (DG, CD ca. 17 Euro). Bernstein „The Age of Anxiety” Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle, Krystian Zimerman (Klavier) (DG, CD ca. 10 Euro).