Hamburg. In der Galerie der Gegenwart wird ein Klangwechsel von „ORGAN²/ASLSP“ zu hören sein: Es ist der erste seit Jahren.

Zusammen sind sie 1139 Jahre, das dauert aber noch. Bogomir Eckers Tropfsteinmaschine (500 Jahre Lebensplanung) in der Hamburger Kunsthalle und die Orgel in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt (639 Jahre, seit 2001, bis zum Ende des Orgelstücks „ORGAN²/ASLSP“ von John Cage) haben es nicht direkt eilig mit ihrer Vollendung.

An diesem Sonnabend um 15 Uhr findet in Halberstadt ein mit Spannung erwarteter Klangwechsel statt; er wird von dort live in die „FUTURA“-Ausstellung in die Galerie der Gegenwart übertragen (Beginn: 14.30 Uhr). Die Moderation dort übernimmt Hamburgs frühere Kultursenatorin Christina Weiss. Grund genug für einige Fragen zu den „transepochalen Kunst-Projekten“ an Rainer O. Neugebauer, den Kuratoriumsvorsitzenden der John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt.

Hamburger Abendblatt: Was ist für Sie nach den ersten Momenten damit das Schönste an John Cages Idee, knapp sechseinhalb Jahrhunderte einem künstlerischen Vorgang zu widmen?

Rainer O. Neugebauer: In „ORGAN²/ASLSP“ steht als Tempoangabe ja nur „As SLow aS possible“, nicht die Dauer von 639 Jahren. Die Festlegung dieser Dauer war unsere Entscheidung in der Stiftung. Das Schönste ist wohl, etwas sehr Sinnfreies, ohne Hektik zu produzieren, das sich keiner der gängigen Leistungs- und Verwertungskriterien unterwirft: Klänge, nichts als Klänge, ganz ohne Bedeutung.

Wie extrem reagieren Besucher der Kirche auf die Begegnung mit dieser Musik und dieser Idee?

Neugebauer: Die Besucher reagieren von ,So etwas Verrücktes’, ,Was soll denn das?’ und ,Das ist doch keine Musik’ bis hin zu manchmal stundenlangem Lauschen, dem Nachspüren kleinster Tonschwankungen, Überlagerungen, Interferenzen und Brechungen in der Burchardi-Kirche und auch einige wenige Übernachtungen neben der Orgel und das fast immer verbunden mit dem Nachdenken über die Zeit und die Zukunft.

Die Noten liegen vor, der Ablauf ist bekannt, also zum Vormerken: Welchen Klangwechsel-Termin, idealerweise noch in diesem Jahrhundert, darf man auf keinen Fall verpassen und warum?

Neugebauer: Das ganze Jahrhundert können wir noch gar nicht überblicken, denn nur der erste Teil ist von uns berechnet worden ist, also nur die ersten 71 Jahre. Die Reihenfolge der anderen sieben Teile und der einen Wiederholung ist noch offen. Schließlich sollen spätere Generationen auch noch etwas zu tun haben. Cage war kein Freund von Hierarchien, aber wenn ich mich für einen zukünftigen Klangwechsel entscheiden sollte, den ich gern noch miterleben möchte, dann den 63. am 5. März 2071, weil dann die Basspfeife des’ nach 59 Jahren und 8 Monaten verstummt und nur noch ein h’ erklingt.

Wie geht es Ihrer Orgel jetzt? Mussten schon Verschleißreparaturen durchgeführt werden oder ist sie noch wie neu?

Neugebauer: Die Orgel und der Blasebalg halten sich erstaunlich gut, die Pfeifen, die schon seit fast zehn Jahren erklingen, sehen nicht mehr ganz so glänzend aus, wie die Pfeifen, die erst beim letzten Klangwechsel vor 15 Monaten dazu kamen und natürlich brauchen die elektrischen Windmotoren ab und zu paar Tropfen Öl.

Haben Sie in Halberstadt schon Ideen für ein Nachfolgeprojekt?

Neugebauer: Nein, aber schon genügend Anfragen und Angebote von Künstlern, die unbedingt jetzt in der Burchardi-Kirche musizieren, performen oder ausstellen wollen. Wir vertrösten Sie auf den 5. September 2640, dann ist unsere Cage-Aufführung zu Ende. Wie es auf einer Spendertafel heißt: „Ewig heißt ja nicht, dass das nie vorbei ist.“ Die Kirche ist dann wieder frei und kann gebucht werden.

Weitere Informationen: www.aslsp.org, www.hamburger-kunsthalle.de