Hamburg. „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – jeden Montag im Abendblatt. Heute: „Die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff“ (1905).

Man erkennt es sofort: Dies ist ein Bild von Paula Modersohn-Becker (1876–1907). Sie hat ihren charakteristischen Pinselstrich in ihr Markenzeichen verwandeln können. Die leider viel zu früh verstorbene Expressionistin hat hier die Malerin und Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff im Bild festgehalten. Sie blickt aus dem Bild heraus, trägt ein weißes Kleid und hält eine Rose in der Hand. Ihre Mundwinkel wölben sich skeptisch nach unten.

Der Farbauftrag wirkt pastos, fast schon reliefartig. Trotzdem ist dies zweifellos das Bild einer schönen Frau, gemalt von einer Künstlerin, die nicht nur Kollegin, sondern auch Freundin war. In den Jahren 1905 und 1906 malte Modersohn-Becker eine Reihe von „Freundschaftsbildern“. In einem Brief an ihre Eltern schrieb die Malerin: „Sie sieht sehr schön aus, und ich hoffe, dass ich ein wenig von ihr hineinbekomme. Sie ist mir trotzdem von allen noch die Liebste.“

Rilke-Westhoff: Auf dem Tummelplatz für Chauvinisten

Da wir vor einigen Wochen schon ausführlich auf das Leben von Modersohn-Becker eingegangen sind, hier vielleicht ein paar Worte über Rilke-Westhoff (1878–1954). Die in Bremen Geborene konnte zwar schon früh, mit 21 Jahren, ihre Werke in der Bremer Kunsthalle ausstellen. Aber der Kunstbetrieb war damals ein Tummelplatz für Chauvinisten.

Ein bekannter Bremer Kunstkritiker schrieb damals über sie: „Die Künstlerin ist, wie wir hören, eine noch sehr junge Dame; dafür scheint ihre Kunst schon ein bisschen reichlich dreist. Dreistigkeit steht nur ganz kleinen Kindern wohl, hernach, und namentlich junge Mädchen, kleidet eine zarte Schüchternheit viel anmutiger, bis dann, in reiferen Jahren die kindliche Dreistigkeit als jugendliche Kühnheit wieder hervortreten und alle Herzen bezaubern mag.“

Paula Modersohn-Becker (1876–1907), Titel: „Die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff (1905)“, Maße 52 x 36,8 cm, Material/Technik: Öl auf Leinwand.
Paula Modersohn-Becker (1876–1907), Titel: „Die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff (1905)“, Maße 52 x 36,8 cm, Material/Technik: Öl auf Leinwand. © Hamburger Kunsthalle / bpk Elke Walford 

Im Schatten von Rainer Maria Wilke

Als die Ehepartner Otto Modersohn und Rainer Maria Rilke dazukamen, wurde es kühler in der Freundschaft zwischen den Frauen in der kleinen Künstlergemeinde Worpswede. Rilke-Westhoff ging nach Paris an die Bildhauerschule von Auguste Rodin. Fritz Mackensen hatte sie dazu gedrängt, Bildhauerin zu werden. Damals wurden Frauen allenfalls Malerinnen. Bildhauerei galt für Frauen als „zu anstrengend“. In Deutschland durften Frauen damals auch nicht am Anatomieunterricht teilnehmen.

Rilke-Westhoffs Arbeiten wurden gelobt für ihren „ruhigen Ausdruck, elegante Formen, ein perfektes Gespür für die Fragilität von Körpern und die Eigenheit von Gesichtern“. Und doch verhalf ihr das nicht zum Durchbruch, denn: „Das große Interesse an ihrem Ehemann Rainer Maria Rilke ließ die Bildhauerin komplett hinter dem Dichter und seinem Leben voller schöner, interessanter Frauen verschwinden.

1899 schuf sie eine Bronzebüste ihrer Freundin Paula, die man heute in den Bremer Wallanlagen sehen kann. Sie gilt als eine der Pionierinnen der Bildhauerei in Deutschland.