Hamburg. Statt teure Blockbuster-Schauen zu zeigen, wollen Museen grüne Wohlfühlorte sein. Das steckt hinter der neuen Strategie.
Dichtes Gedränge vor den Bildern des US-Kunststars Mark Rothko 2009 in der Kunsthalle, Schlangestehen für den Besuch der „Tutanchamun“-Schau 2008 in der Oberpostdirektion, „Horizon Field“ von Antony Gormley 2012, die bislang erfolgreichste Ausstellung der Deichtorhallen. Nicht nur pandemiebedingt kommt einem die Zeit, in der mit großen Namen gepunktet wurde, Lichtjahre her vor.
Tatsächlich scheint eine neue Ära angebrochen. „Blockbuster-Ausstellungen sind nicht meine Politik“, sagt Kunsthallen-Direktor Alexander Klar. „Wobei ,Klasse Gesellschaft‘, wenn sie weiterhin so gut läuft, eine 100.000-Besucher-Schau sein wird, und das qualifiziert ganz sicher für den Begriff Blockbuster.“
Ausstellungen: Neue Strategie bei Hamburger Museen
Die aber noch lange nicht in einer Liga mit der Neuen Nationalgalerie Berlin spielt, die etwa 2004 das MoMA New York zu Gast hatte und damit rund 1,2 Millionen Besucherinnen und Besucher anlockte. Solch ein Projekt würde man „nicht einfach aus dem Boden stampfen, sonst würde es ja jeder machen“, so Klar. Dahinter stecke eine riesige Maschinerie, die solche Projekte ganz gezielt plant, um große Besuchermengen zu generieren. „So etwas gelingt einem schon vom Aufwand her nur alle drei bis fünf Jahre.“
Eine Maschinerie, die viel Geld kostet: Personal, Transport- und Versicherungskosten, Leihgebühren. Die als neuer Trend propagierte Strategie, nicht nur an der Kunsthalle, auch am MARKK und in den historischen Museen verstärkt mit eigenen Sammlungsbeständen Ausstellungen zu bestücken, ist zwar ganz sicher nachhaltig, aber im Grunde eine Sparmaßnahme. Schon 2010, als die Galerie der Gegenwart wegen Unterfinanzierung kurzfristig schließen musste, warnte Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner davor, dass sein Haus „in die Provinzialität abrutsche“.
Auch kleinere Schauen in der Kunsthalle
Je kleinteiliger das Ausstellungsgeschäft, desto größer in der Tat die Gefahr, dass das Profil des Hauses verwässert. Aktuell laufen neben den großen Ausstellungen „Klasse Gesellschaft“ und „Toyen“ noch fünf weitere, kleinere Schauen und Präsentationen, nämlich „Von Menzel bis Monet“, Emil Noldes Maltechnik, die Skulpturenschau „Von Mischwesen“, „Making History“ im Hans-Makart-Saal sowie die neue Impressionismus-Hängung. Hinzu kommen „Futura“ und eine weitere Eröffnung im Februar in der Galerie der Gegenwart.
Gelegenheiten für den „großen Wurf“ hätte es in der jüngsten Vergangenheit schon gegeben: Das Raffael-Jubiläum 2021 feierte man zwar mit einer Raffael-Schau, stellte den Superstar der Renaissance aber ganz bescheiden und leider wenig publikumswirksam lediglich als Vorbild für andere, nachfolgende Maler vor. Den 500. Todestag von Leonardo da Vinci, der 2019 von Ausstellungshäusern in ganz Europa gewürdigt wurde, hätte man fast ganz verschlafen, rettete sich dann aber doch noch mit einer Mini-Präsentation eigener Druckgrafiken. In Erinnerung bleibt dagegen die Ausstellung „Entfesselte Natur – die Bilder der Katastrophe seit 1600“, die 2018 mit mehr als 200 Werken gezeigt wurde.
Wegkommen von „monolithischen Ausstellungen"
Mit „Femme Fatale“ Ende dieses Jahres und Caspar David Friedrich 2023/24, die, ebenso wie die Beckmann-Schau, bis nach Konstanz beworben werden und auch ein Publikum anziehen sollen, das vielleicht noch nie in der Kunsthalle war, wolle man auch weiterhin „hochkarätige und thematisch aufregende Ausstellungen“ geben. „Aus Nachhaltigkeitsgründen werden wir die großen Schauen auf bis zu vier Monate Länge programmieren, damit unser ökologischer Fußabdruck erträglich bleibt“, so Klar.
Doch grundsätzlich wolle man wegkommen von „monolithischen Ausstellungen, hin zu einem Mosaik vieler Dinge. Ich arbeite darauf hin, dass die Hamburger regelmäßig in die Kunsthalle kommen, alleine, zu zweit, mit Gästen, mit Freunden. Ich möchte, dass die Hamburger fast schon reflexhaft sagen: ,Lass uns in die Kunsthalle gehen – egal was gerade läuft, das ist immer interessant.‘“ Kunstgenuss im Vorbeigehen, sozusagen. Ohne Schlangestehen. Ohne viel Aufregung. Am Ende wolle er das Haus so führen, dass „alle ein unvergessliches Erlebnis haben. Und dass die Instagram-Posts ähnlich wie im Louvre signalisieren: ,Ich war da!‘ Nur statt ,Ich war im Louvre‘ mit der Botschaft: ,Ich war in der Kunsthalle.‘“
Kunsthalle soll zur Begegnungsstätte werden
Neben Inhalten setzt der Direktor darauf, als Museum Haltung zu zeigen: Klar erwähnt die Kontroverse um ein angebliches Plagiat des Malers Werner Büttner in dessen Ausstellung in der Kunsthalle und das Außenbanner, das sich gegenwärtig an die vor der Kunsthalle demonstrierenden Impfgegner wendet. Die Kunsthalle solle ein Ort sein, an dem man diskutieren und sich reiben kann, und „das alles im Angesicht von künstlerischen Spitzenwerken der Menschheitsgeschichte“.
Mit dem Angebot „freier Eintritt bis einschließlich 25 Jahre“, das im Jubiläumsjahr der Galerie der Gegenwart gilt, will Klar gezielt auf die Tatsache eingehen, dass Menschen bis 25 in der Regel noch kein Einkommen haben. Kommen sollen sie nicht wegen des einen Bildungserlebnisses, sondern um sich mit Freunden zu treffen, um plaudernd durch die Räume zu laufen, sich darin zu fotografieren. „Ich möchte, dass die Kunsthalle ein Lebensgefühl ausstrahlt, dass sie ein Ort der Inspiration und Unterhaltung ist. Wir sind auch ein idealer Treffpunkt für Leute, die hier ihr erstes Date haben.“
Auch am MK&G wird Strategie hinterfragt
Auch am Museum für Kunst & Gewerbe (MK&G) wird das bisherige Ausstellungsgeschäft kräftig hinterfragt. „Otto“ oder „Udo Lindenberg“, unter der Ägide von Vorgängerin Sabine Schulze absolute Gewinnerausstellungen, was die Besucherzahlen angeht, wird es mit Tulga Beyerle nicht mehr geben.
„Mein Anspruch an das MK&G richtet sich nicht nur nach den zu erwartenden Besucherzahlen einer Ausstellung, sondern es interessiert mich, Besucherinnen und Besucher für Gestaltung und die damit verbundene gesellschaftliche Relevanz, die uns alle angeht, zu begeistern. Ebenso mit der Ausstellung ,Heimaten‘ wie mit Janosch, der ein prägender Gestalter, Illustrator ist.“ Oder die „Sesamstraße“, zu der die Direktorin 2023 eine große Schau plant.
Feel-good-Ausstellungen müsste es natürlich auch weiterhin geben, mit einer Laufzeit über sechs Monate. Die Tendenz, Ausstellungen „zu strecken“, gebe es derzeit in vielen Museen. Um dem Publikum möglichst lange die Inhalte zu bieten, aber auch, um nachhaltig zu wirtschaften. An „grünen Kriterien“ möchte Beyerle künftig lieber gemessen werden als an Besucherzahlen. Man sei mit der Stadt in Gesprächen, sagt sie.
Betrieb soll umweltschonender laufen
Inhaltlich hat die Wienerin ihr Haus bereits erfolgreich positioniert. Aber auch der gesamte Betrieb, vom Transport bis zum Energiekonzept, soll bewusster, umweltschonender laufen. Tendenziell denkt die Direktorin über alternative Formate nach, ergänzend zu klassischen Ausstellungen, um in intensiveren Austausch mit den Besucherinnen und Besuchern zu kommen, diese sollen partizipieren statt nur rezipieren. Formate wie der Freiraum oder Design Dialog seien allerdings auch immer mit einem höheren personellen Aufwand verbunden.
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- Die neue Strategie Hamburger Museen: Pro und Kontra
Jeden Monat eine Eröf fnung – der Eindruck, als Besucher bekomme man neben den großen Schauen „einen Kessel Buntes“ in Form von Flurausstellungen, Präsentationen und Kooperationsprojekten, ist zum einen der Vielfältigkeit der Sammlung und zum anderen der Lebendigkeit, den Interessen und dem Ehrgeiz, nicht nur der Direktorin, sondern auch der Kolleginnen und Kollegen, geschuldet. Mit Sonderausstellungen könne man einerseits Themen spielen, die in der Luft liegen, und andererseits zum Beispiel Modeliebhaberinnen beglücken wie etwa mit der Ausstellung „Dressed“, die demnächst eröffnen wird, so Beyerle.
Ausstellungen: Museen in Hamburg setzen auf Vielfalt
Spezielle Zielgruppen bedienen statt Massen anlocken, Vielfalt in kleineren Ausstellungen statt teure und aufwendige Blockbuster-Ausstellungen zeigen, grüne Wohlfühloase statt elitärer Bildungstempel sein – vielleicht ist das der Weg, mit dem sich Museen in der Zukunft behaupten werden.