Das jüngste Werk von Starregisseur Paul Thomas Anderson, kommt ganz entspannt daher. Das liegt auch an den Hauptdarstellern.
Für den jungen Mann ist völlig klar: „Ich hab’ meine zukünftige Frau getroffen.“ Auch wenn die Angebetete da nur schmunzeln kann. Denn Gary (Cooper Hoffman) ist gerade mal 15 Jahre alt und geht noch zur Schule. Alana (Alana Haim) ist ganze zehn Jahre älter. Und lernt ihn nur kennen, weil sie für einen Fotografen arbeitet, der die Schüler an der Highschool fürs Jahrbuch ablichtet.
Aber irgendwie ist Alana von Garys forschem Auftreten auch beeindruckt. Und sie will mal sehen, wie er sie von seinem Taschengeld zum Essen ausführen will. Bald indes muss sie erkennen, dass Gary als Teenie-Darsteller einer TV-Serie ganz gut verdient und auch sonst klare Vorstellungen vom Leben hat. Während sie noch immer nicht weiß, was sie mal werden will. Aber eine Freundschaft mit ihm, Liebe gar?
Alana Haim und Cooper Hoffman sind mit Abstand das schrägste Kinopaar der letzten Jahre. Ein eigentlich unmögliches Liebespaar. Und das nicht nur wegen des gravierenden Altersunterschiedes. Coopers Gary ist pickelig, pummelig und pubertär: die drei schlimmen Ps der Jugend. Und Alana hat ein ausdrucksstarkes Gesicht, attraktiv würde man sie aber nicht nennen. Umso charmanter aber, dass ein Liebesfilm mal von zwei Darstellern besetzt ist, die keinem Schönheitsideal entsprechen, aber mit dem sich der Durchschnittszuschauer umso mehr identifizieren kann.
„Licorice Pizza“: Ein Film, der sich treiben lässt
„Licorice Pizza“ ist der jüngste Streich von Paul Thomas Anderson, von dem so großartige Filme wie „Magnolia“, „There Will Be Blood“ oder zuletzt „Der seidene Faden“ stammen. Allesamt Meisterwerke, denen man ihre Anstrengung aber auch immer anmerkte. Umso überraschender, dass das jüngste Werk des akribischen Tüftlers – das von Teilen der US-Filmkritik schon zum „Besten Film des Jahres“ ausgerufen wurde – mal ganz entspannt und locker daherkommt. Keine Haute Cuisine diesmal, dafür lecker Pizza.
Ein Film, der sich treiben lässt. Und seine Figuren auch. Die kommen sich ständig nahe und stoßen sich wieder ab. Die flirten auch mal mit anderen, aber nur, um sich eifersüchtig zu machen. Und dann rennen sie immer wieder, ein echter Running Gag, aufeinander zu.
- Eine Beerdigung läuft total aus dem Ruder
- „Fucking Åmål“: Ein Film wird zur Oper mit fetten Sounds
- „Nightmare Alley“: Und jeder hat eine Leiche im Keller
Die Geschichte spielt Anfang der 70er-Jahre, und das sieht man dem Film in jeder Pore an. Mit all den Frisuren, Schlaghosen und breiten Hemdkragen. Gary verkauft auch mal Wasserbetten, der letzte mobiliare Schrei der Seventies. Und das Paar bleibt in den Straßen von Los Angeles stecken, wegen der Ölkrise ’73 und all den Staus zur nächsten Tankstelle. Vor allem aber sieht der Film selber aus wie aus den 70-ern, so genau imitiert er die Ästhetik der Zeit.
„Licorice Pizza“: Story lebt vor allem von Charisma seiner Hauptdarsteller
Eigentlich passiert nicht viel in den zweieinviertel Stunden. Aber doch hat die Story ihren Lauf. Wird immer wieder angetrieben. Und lebt vor allem von dem unverbrauchten Charisma seiner Hauptdarsteller. Die sind keine Stars, auch keine Nachwuchsstars aus TV-Serien. Als Gary gibt Cooper Hoffman sein Filmdebüt, der Sohn von Philip Seymour Hoffman, mit dem Anderson „The Master“ drehte. Und Alana Haim ist eigentlich Musikerin und sielt mit ihren Geschwistern in der Gruppe Haim, für deren Songs Anderson bereits Videoclips gedreht hat.
Ein bisschen erzählt „Licorice Pizza“ auch vom Showbiz jener Jahre. Die Figur des Gary basiert locker auf Gary Goetzman, der als Kinderstar begann und später Erfolge wie „Mamma Mia!“ produzierte. Sean Penn spielt eine Gastrolle als selbstgefälliger Filmstar William Holden, und Bradley Cooper gibt einen durchgeknallten Jon Peters, den Filmproduzenten und damaligen Barbra-Streisand-Geliebten. Doch die alten, namhaften Herren sind hier nur schmierige Typen, während der Film (und die Welt) ganz den jungen Menschen gehört. Das Happy End gibt’s selbstredend vor einem Kino. Aber dort läuft kein Liebesfilm, sondern James Bond. Wäre sonst ja auch zu kitschig.
„Licorice Pizza“, Drama USA, 130 min., läuft im Savoy, Abaton, Studio und Zeise