Hamburg. Die einen lehnten sie als „Mahnmal für Großmannssucht“ ab, andere sorgten sich, vom Konzerthaus an den Rand gedrängt zu werden.

Die Elbphilharmonie: Längst das Wahrzeichen der Stadt, Touristenmagnet, Stolz der (meisten) Hamburgerinnen und Hamburger, millionenfach besucht und auch international gefeiert. Doch das war nicht immer so. Ob explodierender Baukosten, die von ursprünglich avisierten 50 Millionen Euro schließlich auf 860 Millionen Euro stiegen, war die die Kritik in den Jahren vor der Eröffnung im Januar 2017 groß.

Von einem „Prestigeobjekt für Besserverdienende“ war die Rede, von einem „Denkmal“, das sich der bis 2010 amtierende Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ohne Rücksicht auf finanzielle Verluste hinstellen lasse. Es gab sogar den Vorschlag, den Bau gar nicht zu beenden, sondern unfertig als Mahnmal für Großmannssucht stehen zu lassen. Der Protest fand sich auch bei zahlreichen Aktionen und auf Postern wieder, die im Stadtgebiet auftauchten. Mal wurde gefordert „Hafencity beleben – Ikea auf die Elbphilharmonie“, mal rief eine fiktive „Stiftung BürgerInnen bluten“ zu Blutspenden zur Finanzierung der Elbphilharmonie auf.

Elbphilharmonie: Kamerun hält an Kritik fest

Auch Schorsch Kamerun, Mitglied der Punkband Die Goldenen Zitronen, Betreiber des Pudel Clubs, Theaterregisseur und Autor, gehörte damals zu den Kritikern des Projekts, bei dem er vor allem die aus seiner Sicht völlig unzureichende Beteiligung der Hamburger Bevölkerung bemängelte. Dass die Elbphilharmonie wie versprochen ein „Haus für alle“ werden würde, hielt er für fraglich und den gesamten Bau für ein Beispiel einer „gescheiterten bürgerabgewandten Leuchtturm-Stadtpolitik“. Und heute, nach fünf Jahren Konzertbetrieb?

An seiner grundsätzlichen Kritik hält Kamerun fest: „Ich glaube eigentlich noch stärker als jemals dar an, dass es unerlässlich ist, die Bewohnerinnen und Bewohner einer Siedlungs-Gemeinschaft bei anstehenden Veränderungen – angenehmen oder unbequemen – von Beginn an mitzunehmen.“ Niemand möge ungefragt etwas vorgesetzt bekommen, auch kein „Megakonzerthaus“.

Kritik auch von Konzertveranstaltern

Schorsch Kamerun hält an grundsätzlicher Kritik fest.
Schorsch Kamerun hält an grundsätzlicher Kritik fest. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene

Allerdings halte er es heute für „nicht verwerflich, in einem Kulturhaus stattzufinden oder als Gast dort hinzugehen. Nun, wo es existiert, gehört es auch heftig genutzt von der Stadtgesellschaft, die es schließlich erst ermöglicht hat.“ Er selbst allerdings sei er bisher nur selten dort gewesen, mal wegen des Konzertes eines Freundes, mal, um die schöne Aussicht von der Plaza zu genießen – ein regelmäßiger Elbphilharmonie-Gänger dürfte aus ihm aber wohl nicht mehr werden.

Doch nicht nur in Sachen Kostenexplosion und fehlende Bürgerbeteiligung gab es vor der Eröffnung Kritik, auch alt eingesessene Konzertveranstalter gingen auf die Barrikaden. Weil neben der Elbphilharmonie Betriebsgesellschaft auch die HamburgMusik gGmbH als Konzertagentur gegründet wurde.

VDKD reichte Klage beim Landgericht ein

Die Angst ging um, dass durch sie eine übermächtige Konkurrenz entstehen könnte, die Weltstars abwirbt und den Hamburger Konzertmarkt dominiert – im Gegensatz zu privaten Veranstaltern subventioniert von der öffentlichen Hand. 2011 strengte der Verband der Deutschen Konzertdirektionen (VDKD) deshalb eine Klage vor dem Hamburger Landgericht an. Der Vorwurf: unlauterer Wettbewerb, HamburgMusik biete Konzertkarten zu Preisen an, die die Kosten gar nicht decken und schädige damit die Konkurrenz.

Dahinter steckte auch die Sorge, dass der Markt für Klassikkonzerte im Prinzip gesättigt sei. „Wir haben damals alle nicht vorhergesehen, dass sich die Nachfrage nach Konzertkarten durch die Elbphilharmonie so massiv erhöhen würde“, sagt Pascal Funke, Geschäftsführer der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette und Präsident des VDKD-Nachfolgerverbandes BDKV, heute. Fast verdreifacht habe sich die Zahl der Konzertgängerinnen und Konzertgänger im Vergleich zu der Zeit, als es nur die Laeisz­halle als Spielort gab.

„Wir gehen sehr respektvoll miteinander um“

„Deshalb können wir jetzt manche Künstler und Ensembles mehrmals im Jahr in Hamburg präsentieren.“ Etwa einen Star wie Khatia Buniatishvili, die binnen einer Saison mal in der ProArte-Konzertreihe „Meisterpianisten“ zu hören ist, aber auch bei einem Konzert der Symphoniker Hamburg und als Teil des von HamburgMusik gebuchten Elbphilharmonie-Programms – jedes Mal vor vollem Saal.

Von den atmosphärischen Störungen aus der Zeit vor der Eröffnung sei nichts geblieben, sagt Funke. „Wir gehen sehr respektvoll miteinander um.“ Dass die Klage des VDKD damals abgewiesen wurde: Schnee von gestern. Es ist genug Platz für alle da, und mehr als das. Hamburg ist durch die Elbphilharmonie zu einer der weltweit ersten Adressen für die ganz großen Stars wie Anna Netrebko, Lang Lang oder die Wiener Philharmoniker geworden, die nur zu gern immer wieder kommen.

„Wir haben damals 20 Prozent unseres Publikums verloren"

Hierher locken muss sie längst niemand mehr. Auch nicht den Pianisten Igor Levit, der in den vergangenen Jahren zu einem Stammgast geworden ist. Obwohl er 2020 bereits mehrfach in der Elbphilharmonie aufgetreten war, gelang es der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette für ein sehr kurzfristig angesetztes weiteres Konzert trotz Corona binnen vier Tagen weitere 1200 Karten zu verkaufen. „So etwas war früher völlig undenkbar“, sagt Pascal Funke.

Nicht ganz so gut entwickelte sich die Lage nach der Elbphilharmonie-Eröffnung zunächst für die Theater von Axel Schneider. Der Intendant der Kammerspiele, des Altonaer und Harburger Theaters sowie des Bergedorfer Haus im Park hatte 2017 bei der Eröffnung der Hamburger Privattheatertage beklagt, (nicht nur) seine Häuser würden massiv unter dem Run auf die Elbphilharmonie leiden. „Wir haben damals 20 Prozent unseres Publikums verloren und gerieten in eine finanzielle Schieflage, aus der wir erst nach zwei Jahren wieder herauskamen“, erinnert sich Schneider.

Elbphilharmonie ist eine Bereicherung für die Stadt

Er sei nie ein Gegner der Elbphilharmonie gewesen, halte sie für eine Bereicherung der Stadt, doch „der Hype um das neue Konzerthaus“ habe dem Kartenverkauf in seinen Häusern schwer zugesetzt. Selbst Menschen aus seinem Bekanntenkreis, die vorher regelmäßig in seinen Häusern zu Gast waren, kamen plötzlich seltener – weil sie nun ein Elbphilharmonie-Abo hatten und Zeit und Geld eben begrenzt sind. Manche Medien hätten sich komplett auf die Elbphilharmonie fixiert, sagt Schneider.

„Die Theater und die weitere Kulturszene kamen kaum noch vor, das hat uns sehr geschadet.“ Mittlerweile habe sich die Lage aber normalisiert. „Viele Hamburgerinnen und Hamburger hatten ihren Erstbesuch irgendwann hinter sich gebracht und waren wieder offen für andere Kulturangebote.“ Feindbild Elbphilharmonie? Wer den Kampflinien, Konflikten und Sorgen von damals heute nachgeht, stellt fest: Von all dem ist wenig geblieben.