Hamburg. Erstes abgebrochenes Konzert in Geschichte des Konzerthauses ging nun über die Bühne. So war „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“.

„Dreimal ist Bremer Recht“, lautet eine historische Redensart in Hamburgs kleiner hanseatischer Schwester. „Denn dort an der Elbe, da wartet mein Glück“, hieß vor zwei Jahren das Motto des Konzerts „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“, das als Novum in die Annalen des inzwischen knapp fünf Jahre alten Hamburger Konzerthauses einging: Erstmals musste am 2. Januar 2020 eine Veranstaltung im Großen Saal abgebrochen werden. Ein technischer Defekt an einem angemieteten Ton-Mischpult hatte eine reibungslose Durchführung verhindert – im Nachhinein der Auftakt des ersten Seuchen-Jahres.

Im vierten Versuch nun konnte am Montag nach drei coronabedingten Verlegungen dieses etwas andere Neujahrskonzert in Hamburg endlich über die Bühne gehen. Und das gleich zweimal: Außer mit dem wiederholten und ausverkauften Abendkonzert für die vor zwei Jahren nach Hause geschickten 2100 Gäste gab es eine programmatisch identische Zusatz-Show am Nachmittag im zu gut drei Viertel besetzten Saal.

Elbphilharmonie: Neujahrskonzert mit zweijähriger Verspätung

Alles unter 2G-Bedingungen und mit Maskenpflicht am Platz. Indes: Thomas Collien und Ulrich Waller, die Leiter des St. Paulis Theaters, mussten als Veranstalter ihr nach dem Ton-Desaster 2020 angeschafftes Megafon zur Erheiterung der Besucher nur probeweise einsetzen. Und das zu Sicherheit bereitgestellte Havarie-Pult für die Technik blieb unangetastet.

Umso mehr bedankten sich Collien und Waller, „dass Sie sich getraut haben herzukommen“ und „dass Sie uns so lange die Treue gehalten haben“. Und nach mehr als drei Stunden (inklusive Pause) wusste Waller mit gesetzten Worten, an wen es noch zu denken galt: „Wir widmen dieses Konzert dem unvergessenen Volker Lechtenbrink.“ Der im November im Alter von 77 Jahren gestorbene populäre Hamburger Schauspieler und Sänger war am 2. Januar 2020 in der Elbphilharmonie als erster auftretender Gesangskünstler von den Tonproblemen betroffen gewesen.

„St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ mit Tim Fischer als Zarah Leander

An seiner Stelle machte nach der Begrüßung durch Moderatorin und Kabarettistin Gerburg Jahnke diesmal Chanson-Star Tim Fischer den Anfang. Und bot in seiner Rolle als Diva Zarah Leander (mit roter Perücke und langem schwarzen Abendkleid)´beste Werbung für sein Programm „Zarah auf Probe“, das er im Februar noch mal im St. Pauli geben wird. Vom schwedischen „Vem kan segla“ bis zur Zugabe „Sag mir nicht Adieu“ sang Fischer gleich sieben Lieder. Am klangvollsten „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, im Großen Saal als kunstvoll hingehauchte jazzige Version mit vierköpfiger Combo.

Von Katie Freudenschuss, frisch prämierte Gewinnerin des Deutschen Kleinkunstpreises 2022 in der Sparte Musik/Lied, hätte man gern noch mehr gehört als ihr altbekanntes Bekenntnis „Ich bin Wurstsängerin“ zum etwas triefenden „Bratmaxe-Song“ und ihre improvisierte Hamburger „Hoffnungs-Hymne 2022“ zu vier Melodien von „New York, New York“ bis „Highway To Hell“. Die Abfrage der (zu vielen) Hamburg-Begriffe im Publikum dauerte länger als das Lied der versierten Hamburger Klavier-Komikerin. Da war das spätere Duett „der lebenden Musik-Box“, so Gerburg Jahnke anerkennend über Freudenschuss, mit der Moderatorin bloß ein unzureichender Ersatz.

Gitte Haenning als schüchterne Halbgöttin in Weiß

Gitte Haenning konnte immerhin vier Songs singen. Die Dänin, in ihren hellen Gewändern eine recht schüchterne Halbgöttin in Weiß, changierte einmal mehr zwischen Schlager und Jazz. Ihre Ballade „Freu dich bloß nicht zu früh“ kam jedoch sehr getragen daher. Erst mit dem finalen „Ich will alles“, mit mehr Druck ihrer Band und mithilfe des Publikums sang sich die 75 Jahre alte Grande Dame frei.

Der Damenlikörchor in der Elbphilharmonie.
Der Damenlikörchor in der Elbphilharmonie. © Thorsten Baering

Das gelang im zweiten Teil dem Hamburger Damenlikör schneller. Der in der langen Corona-Zwangspause von 30 auf 21 Sängerinnen abgespeckte Chor bot unter dem neuen Leiter Mathias Weibrich von „Barmbek“ bis „Tanz die Arthrose“ bewährte Lied-Interpretationen und erheiterte insbesondere wieder mal mit der„Ode an die Brust“ Männlein und Weiblein. Schon unter dem präsenten Ex-Leiter Dietmar Loeffler hatte der Damenlikörchor vor zwei Jahren in der Elbphilharmonie a cappella allen Mikrofonausfällen getrotzt.

Damals konnte Robert Kreis (72) gar nicht erst die Bühne betreten. Diesmal genoss es der holländische Chanson-Grandseigneur, das Publikum mit seinen Conférencen und Couplets in traditioneller 1920er-Jahre-Manier rundum zu bespaßen, ohne großartig Neues zu bieten. Sein „Lachfoxtrott“ (inklusive Seitenhiebe auf Blankenese) durfte da nicht fehlen.

Elbphilharmonie: Stefan Gwildis erinnerte sich an wildere Zeiten

Hamburgs in Ehren ergrauter Soul-Man Stefan Gwildis holte das Publikum schließlich mit einem musikalischen Sixpack in die Gegenwart und an den Hafen zurück. Erinnerte sich an seine früheren Jobs bei einem Schiffsausrüster am Baumwall und als Lkw-Fahrer am Schuppen 51 sowie an die wilderen Zeiten: Von „Wir tanzen über Kiez“, seiner schmissigen Version von „Dancing In The Streets“, bis zu Joe Cockers eingedeutschtem „Lass ma’ ruhig den Hut auf“.

Passend zum Elb-Thema interpretierte Gwildis mit Band Wolfgang Borcherts Gedicht „Ich bin der Nebel“. Marvin Gayes und Tammi Terrells Soul-Klassiker „Ain’t No Mountain High Enough“ geriet im Verbund mit Damenlikörchor, Gerburg Jahnke und Katie Freudenschuss dann als „Wir haben doch jeden Berg geschafft“ zur gefeierten Schlussnummer.

Schluss soll mit „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ aber noch lange nicht sein. Für den 4. Januar 2023 ist das nächste Neujahrskonzert geplant. Dann hoffentlich ohne Maskenpflicht.