Hamburg. Philipp Hochmair spielt zu Jahresbeginn gleich an zwei Hamburger Bühnen – und zelebriert dabei Grenzüberschreitung und feine Zurückhaltung.

Der ehemalige Thalia-Schauspieler Philipp Hochmair, zuletzt häufiger im TV als auf der Theaterbühne im Norden zu sehen, kehrt nun gleich doppelt mit „Jedermann Reloaded“ und dem „Schiller Balladen Rave“ nach Hamburg zurück, demnächst ist er zudem in „Die Wannseekonferenz“ im ZDF zu sehen. Ein Gespräch über totale Verausgabung und minimalistisches Spiel.

Hamburger Abendblatt: Die nach einer Thalia-Produktion in Eigenregie entstandene Arbeit „Jedermann Reloaded“ nach Hugo von Hofmannsthal, die nun erneut im Thalia Theater zu sehen ist, spielen Sie seit fast neun Jahren. Wie hat sie sich verändert?

Philipp Hochmair: Das Ganze hat sich vergrößert und ist viel gereist. Wir sind in unterschiedlichsten Formationen aufgetreten. Unter anderem auch mit einem großen Orchester. Es ist ein work in progress, und somit nie fertig. Das reizt mich an diesem Projekt. Im Thalia Theater hatte es damals ja eine geschlossene Form. Nun gibt es das Stück in unterschiedlichen Varianten und Instrumentierungen.

Auch an der Produktion „Schiller Balladen Rave“, die am 4. Februar auf Kampnagel zu sehen ist, arbeiten Sie schon länger. Warum zieht es Sie zu Schillerschem Pathos? Ist das heute überhaupt noch vermittelbar?

Hochmair: Mich zieht es da hin, weil diese Sprache und diese Kraft in unserer Zeit verloren gehen. Schiller hat mit diesen Dramoletten klare Diamanten geschaffen, die ich gerne neu aufpolieren will. Ich möchte mit diesen Balladen eine Art Schiller-Rausch heraufbeschwören und zelebrieren. Das hat sich mit meiner Band, der Elektrohand Gottes, wunderbar hergestellt. „Schiller Balladen Rave“ ist mehr Happening als Theaterstück.

Wie schwer ist es, „Die Glocke“ oder „Der Taucher“ in den Kopf zu bekommen?

Hochmair: Es geht eher darum, das ganz persönlich und heutig in den Körper, ins Herz zu kriegen. Ich muss ja ein physisches und emotionales Erlebnis schaffen. Das funktioniert dank der elektronischen Beats der Band. Auch dieses Baustellen-Setting, das Suchen, das Graben nach einem Ausdruck für Schiller ist das Leitbild.

Der „Schiller Balladen Rave“ ist noch etwas roher, die Musik um einiges radikaler als bei „Jedermann Reloaded“. Muss man sich an dem Inhalt härter abschleifen?

Hochmair: Genau. Als Zuschauer wie auch als Performer. Schiller ist nicht nur ein Gips-Kopf, den man aus dem Bücherregal kennt. Das ist pure Energie. Kraft, Rausch, Wahnsinn, Freude, Wildheit, Zähmung...alles!

In der Pandemie herrschte monatelanger Stillstand. Wie hält ein Spielsüchtiger wie Sie das aus?

Hochmair: Die Pause war auch gut. Aber es war hart, neu zu starten. Das bereits erkämpfte wieder neu erkämpfen zu müssen. Aber wir haben auch erkannt, dass Theater nicht ersetzbar ist... So viele Streaming-Dienste und Sender kann ich gar nicht haben, um das zu bekommen, was ein gelungener Live-Act bietet.

Ihre beiden Programme verlangen nichts weniger als eine Verausgabung auf der Bühne. Auf der anderen Seite spielen Sie einen melancholischen Kommissar in „Blind ermittelt“ und am 24. Januar im ZDF in „Die Wannseekonferenz“. Wie gehen diese Grenzüberschreitung und diese feine Zurückhaltung zusammen?

Hochmair: Das ist genau das, was mich umtreibt und interessiert. Einerseits verausgabend und explosiv, andererseits das Zurückhaltende, Reduzierte. Kranfahrer und Uhrmacher gleichzeitig. Dass ich als Kranfahrer große Lasten tragen und gleichzeitig ganz feine Schrauben drehen kann, ist die ständige Herausforderung.

„Die „Wannseekonferenz“ von Matti Geschonneck ist die Verfilmung eines erschütternden Zeitdokuments. Sie spielen Richard Heydrich, der am 20. Januar 1942 führende Vertreter des NS-Regimes in einer Villa in Berlin-Wannsee versammelt, um die sogenannte ‚Endlösung der Judenfrage’ zu besprechen und zu planen. Wie verkörpert man das Böse?

Hochmair: Ja... wie sieht das Böse aus? Oder sieht man das überhaupt von außen? Heydrich und das Böse waren ein böses, böses Abenteuer, ein Horrortrip! Ich habe mich da einem gestörten Menschen gewidmet, der so viel Macht hat und gleichzeitig wie im Rausch gegen jede Vernunft und Moral handelt. Das war eine sehr bizarre Selbsterfahrung.

Die Texte folgen einem von Adolf Eichmann aufgezeichneten Besprechungsprotokoll. Sie sagen an einer Stelle, man dürfe ‚die Visionen des Führers nicht runterstutzen zu einer Zimmerpflanze’. Was war dieser Heydrich für ein Typ?

Hochmair: Erst einmal ist er ein Blender. Die perfekte Oberfläche ist ihm das wichtigste. Er ist kein politischer Mensch, oder gar Idealist. Er will Macht und geht über Leichen, im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt diesen Satz im Film, ‚Es genügt der Eindruck von Genauigkeit’. So etwas kennen wir ja auch von Donald Trump, oder anderen Machtmenschen. Die Wahrheit spielt da zunächst keine große Rolle.

Auf der Konferenz ist die Rede von ‚Zerstörungskeimen’, einem ‚Parasiten, der sich ausbreite’, einem ‚faulen Schimmel, der sich auf die Kulturen gesunder Völker’ lege. Wie reproduziert man diese entmenschte Sprache und was macht das mit einem Schauspieler?

Hochmair: Das verfolgt einen, das verstört. Die Reizwörter sind ja alle verklausuliert, getarnt. Niemand spricht den brutalen unfassbaren Völkermord aus. Eine völlige Perversion unserer Werte und Moral. Ich habe fast mehr Zeit gebraucht, um das wieder aus dem Kopf zu löschen, als für die Vorbereitung. Wie gesagt, eine Art Horrortrip.

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  • Warum ist es wichtig, einen solchen Film, der kaum visuelle Werte offenbart, sondern eine Männerrunde mit Sekretärin wie ein Kammerspiel an einem Ort vorführt, im Fernsehen zu zeigen?

    Hochmair: Weil es ein grauenhafter Moment, ein Tiefpunkt unserer Kultur war, der sich nie wieder wiederholen darf. Um sich zu erinnern, was für ein Alptraum das ist, überhaupt solche Pläne zu schmieden. Es ist auch eine Art Lehrstück in Macht und Kommunikation.

    „Jedermann Reloaded“ 6. Januar 2022, 20 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44, www.thalia-theater.de

    „Schiller Balladen Rave“
    4. Februar 2022, 20.15 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de

    „Die Wannseekonferenz“
    24.1., 20.15, ZDF