Hamburg. Für den Tragödien-Film hat Regisseur Joel Coen erstmals ein Drehbuch ohne seinen Bruder geschrieben und setzt auf absolute Reduktion.
Anfangs, bei der ersten Hexenprophezeiung, ist es schwarz. Dann gleißend weiß. Dann flattern Aasvögel durch den hellen Himmel und über eine neblige Schneelandschaft, aus der sich langsam ein Schlachtfeld voller Leichen abzeichnet. Erst schwarz, dann weiß: Das ist wie eine Programmansage für die „Macbeth“-Verfilmung von Joel Coen, die in großartigen Schwarz-Weiß-Bildern gedreht wurde. Die Ansage gilt sogar für die betont diverse Besetzung: mit Denzel Washington als Macbeth, der seinen König mordet, um selbst auf den Thron zu gelangen, und Frances McDormand als Lady Macbeth, die ihn dazu antreibt.
„The Tragedy of Macbeth“, Shakespeares immergültige Parabel auf Tyrannei und brutale Machtgelüste, ist nicht nur auf der Bühne eines der meistgespielten Stücke, es wurde auch schon viele Male verfilmt. Man denke nur an Orson Welles’ expressive Verfilmung aus dem Jahr 1948, Akira Kurosawas kühne Übertragung ins Japanische („Das Schloss im Spinnwebwald“ von 1957) oder Roman Polanskis Schlachtenepos von 1971, bei dem der schottische Hof, um den da gemordet und gemetzelt wird, nur ein schlammiger, dreckiger Flecken war.
Kino in Hamburg: Joel Coen nahm sich „Macbeth“ vor
Die letzte Verfilmung mit Michael Fassbender und Marion Cotillard ist erst sechs Jahre her. In der drängte der australische Nachwuchsregisseur Justin Kurzel Shakespeares berühmte Knittelverse weit zurück und erzählte mehr über grandiose Bilder von kargen, rauen Landschaften und ausgemergelten, zerfurchten Gesichtern.
Nun hat sich Joel Coen abermals an den Stoff gemacht. Er und sein Bruder Ethan sind berühmt für ihre gallig-schwarzhumorigen Komödien wie „Fargo“, „The Big Lebowski“ oder „No Country for Old Men“ mit ihren skurrilen, immer etwas einfältigen Figuren. Dramen (wie etwa „A Serious Man“) drehen sie eher selten, die schreiben sie als Drehbuchautoren mehr für andere (wie Angelina Jolies „Unbroken“ oder Steven Spielbergs „Bridge of Spies“). Eine echte Tragödie aber, eine Bühnen-Adaption war noch nie darunter.
„Macbeth“ – Teamwork eines kongenialen Künstlerpaares
Und das ist nicht das einzige Novum: Erstmals hat Joel Coen dabei ein Drehbuch ohne den Bruder geschrieben. Aber erneut hat er mit seiner Frau, der Schauspielerin Frances McDormand, zusammengearbeitet. Von „Blood Simple“ (1984) an, dem Debüt der Coen-Brüder, hat sie immer wieder in deren Filmen mitgewirkt.
Und sie hat ihren Mann zu seinem späten Alleingang angestoßen:Lady Macbeth hat sie 2016 schon am Theater von Berkely gespielt – und damals den Gatten gefragt, ob er nicht Regie führen wolle. Er hat sich das lange überlegt, dann aber abgesagt, weil er kein Mann der Bühne sei. Sollte sie eine Verfilmung in Betracht ziehen, meinte er, könne er sich das eher vorstellen. „Macbeth“: die Tragödie über ein mörderisches Paar, das sich in Machtgelüsten verliert, als geglücktes Teamwork eines kongenialen Künstlerpaares.
Coen setzt auf absolute Reduktion
In seiner Verfilmung packt Coen die Tragödie in einen sichtlich engen Rahmen und setzt auf absolute Reduktion. Keine Massenszenen wie bei Polanski, wenige Gefolgsleute bilden den Königshof, um den hier gemordet wird. Und auch der besteht nur aus einem riesigen Saal und langen Gängen, in dem sich die Protagonisten verlieren. Das Bildformat ist klaustrophobisch eng, fast quadratisch wie zu Stummfilmzeiten. Auch in der Bildersprache haben sich Coen und sein virtuoser Kameramann Bruno Delbonnel vom expressionistischen Stummfilm des deutschen Kinos inspirieren lassen, vor allem von Fritz Langs ebenso streng choreografierten „Nibelungen“.
Coen und Delbonnel setzen auf stilisierte Bilder, strenge Perspektiven und starke Hell-Dunkel-Kontraste. Schräge Zinnen schneiden sich aus dem Nebel, steile Stiegen werfen bedrohliche Schatten, lichtdurchflutete Gänge werden von Spitzbögen scharf umrissen, die Figuren auf diese Art immer wieder ahnungsvoll umschattet. Einmal wird einfach ein greller Spot ins Dunkel geworfen, in den – klein wie unterm Brennglas – Macbeth tritt. Die düstere, doppeldeutige Prophezeiung der Hexen (hier nur eine, die sich in einer Lache zweifach spiegelt) wirft von Anfang an ihre Schatten voraus.
Auf großer Leinwand entfaltet „Macbeth“ seine ganze Wucht
Die größte Neuerung aber: Dieser Macbeth ist deutlich älter als sonst. Denzel Washington ist bereits 67 Jahre alt und wird als Macbeth sogar auf noch älter getrimmt. Und auch Frances McDormand könnte mit 64 locker die Mutter aller bisherigen Macbeth-Filmladys sein. Macbeth ist also einmal kein aufstrebender Recke, der es ganz nach oben schaffen will. Sondern ein alter Kämpe, der schon alle Schlachten geschlagen hat, aber immer zu kurz kam und hier die letzte Chance beim Schopfe packen muss, will er noch Macht erlangen.
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Auch deshalb wohl überwiegt die betont auf alt stilisierte, auf Retro getrimmte Bildästhetik: Sie unterstreicht einen Machtwillen und -wahn um jeden Preis, der sich längst überlebt hat. Eine toxische Männlichkeit, die nicht versteht, dass ihre Herrschaft überwunden ist. Man könnte diese Version auch als #MeToo-„Macbeth“ sehen. Joel Coen überrascht dabei mit einem ganz neuen, ernsten Ton. Und einem Bilderrausch und -sog. Auch wenn die düstere Apple-TV-Produktion jetzt nur für kurze Zeit in ausgewählten Kinos zu sehen ist und vom 14. Januar an dann auf der Streamingplattform abrufbar: Man muss diesen atemberaubenden „Macbeth“ unbedingt auf der großen Leinwand sehen. Nur da entfaltet er seine ganze Wucht.
„Macbeth“ 105 Min., ab 12 J., läuft im Zeise