Hamburg. Eko Fresh sammelte mit Revolverheld, Antje Schomaker und vielen weiteren Stars Spenden für die notleidende Branche.

„Moment, wir gehen gleich rein, wir warten nur noch auf unsere Barhocker“, sagt Lotto King Karl am Dienstag vor dem Künstlereingang der Barclays Arena. Die Tresenklette braucht das Kneipengestühl allerdings nicht zum gemütlichen Abhängen, sondern für seinen Auftritt beim Benefizkonzert „All Hands On Deck“, das Spenden für Künstlerinnen und Künstler, Livecrews und andere in Not geratene Musikmenschen sammelt.

Bereits im Mai bei der ersten „All Hands On Deck“-Sause auf dem Hausboot von Olli Schulz und Fynn Kliemann erspielten 50 Sängerinnen, Sänger, Hip-Hop-MCs und Bands über 130.000 Euro, und die Lage ist seitdem nicht besser geworden. Um für jede tagesaktuelle Corona-Lage gerüstet zu sein, gilt überall in der Barclays Arena maximale Risikominimierung: Die Show wird über den Twitch-Kanal von Amazon Music kostenlos gestreamt, in der Halle sind nur etwa 300 eingeladene Fans über die Sitzreihen verteilt. Es gilt 2G+ und Maskenpflicht, auf dem Parkplatz vor der Halle gibt es eine Teststation.

Corona Hamburg: All Hands on Deck sammelt Spenden für die Musikbranche

Trotz aller Einschränkungen herrscht an diesem Abend, den das Organisationsteam um die Musikmanagerinnen Salome Agyekum und Illy Korda in wenigen Wochen auf die Beine stellte, geradezu ESC-Atmosphäre – mit viel besserer Musik. Im „On Stage“-Restaurant warten Pohlmann, Deine Cousine, Eko Fresh, Lotto King Karl, Faye Montana und Nessi auf ihre Auftritte.

Die meisten musikalischen Gäste spielen begleitet von der achtköpfigen „All Hands On Deck“-Liveband, die von Chris Rodriguez und Felix Gerlach geleitet und von Selig-Trommler Stoppel Eggert angetrieben wird. Wie gut das Ensemble über 100 Songs der teilnehmenden Stars arrangiert und eingeübt hat, bringt Cassandra Steen nach ihrem fantastischen Beitrag „Stadt“ auf den Punkt: „Was für ‘ne Wahnsinnsband“. Auch Rapper Eko Fresh würde die Musiker gern „einpacken und mitnehmen“.

Mehrere Zehntausend Zuschauerinnen und Zuschauer sind im Stream und im angeschlossenen Chat dabei. Verdient hätte das Konzert auch vor Ort eigentlich 12.000 Fans, Licht und Ton sind prima, die Übergänge flott und kleine Fehler eben live, das ist der sympathische Charakter dieser kurzfristig auf die Beine gestellten Show. Zwar hatte der Benefiz-Jam im Mai auf dem Hausboot einen ganz eigenen Charme, dafür sind die Bedingungen für Produktionsleiter Olli Wintprechtinger in der für jeden Anlass gut ausgestatteten Arena einfacher.

All Hands on Deck: Pop, Hip-Hop, Rock oder ein Chor, alles ist dabei

Das Musikprogramm ist maximal abwechslungsreich. Innerhalb weniger Minuten wechselt man vom Stadionkurven-Chor der Hamburger Goldkehlchen mit „Mandy“ zu Pop mit Leonys „Faded Love“, dann weiter zu Lotto King Karl und „Hamburg, meine Perle“ und zu Straßenrap mit Benzko und „Tanz im Bando“.

In den Pausen holt das Moderationstrio mit Alisha Morgenstern, Steven Gätjen und Wincent Weiss weitere Gäste ans Mikro. So erinnern Rapper Afrob und auch Arena-Geschäftsführer Steve Schwenkglenks daran, dass die großen Stars durchaus gut durch die Krise kommen, aber der Nachwuchs, die kleinen Clubs und die vielen Menschen, die in diesem Mikrokosmos arbeiten, nach zwei Jahren Pandemie in großer Not sind, sich beruflich neu orientieren und für die Musik verloren gehen.

"Ich bin jung und brauche das Geld", rappt Eko Fresh

„Ich bin jung und brauche das Geld“, rappt Eko Fresh sinnbildlich für den derzeitigen Zustand der Pop-Subkulturen. Dort werden die Netzwerke gebildet, die im kleinen genauso funktionieren wie „All Hands On Deck“ in der Barclays Arena. Kontakte verknüpfen sich, irgendjemand kennt immer jemanden für Licht- und Tontechnik, Plakatgestaltung, Sponsorensuche, Pressearbeit, Merchandise, Musikerinnen und Musiker. Hand in Hand.

Im „On Stage“ trifft sich die Szene zum Austauschen, Kennenlernen, Quatschen – zumindest bis der Goldkehlchen-Chor backstage einfällt und „Eine Muh, eine Mäh“ und Pohlmanns „Wenn jetzt Sommer wär’“ schmettert. Manche ziehen sich in ruhigere Bereiche zurück, Alex Diehl und Max Giesinger hingegen scheinen den Alarm zu genießen. Giesinger überlegt sogar später auf der Bühne scherzhaft, mit den Goldkehlchen noch die Thai Oase – Hamburgs berüchtigter Karaokeschuppen – zu stürmen.

Antje Schomaker macht Schau mit „Ich muss gar nichts“

Es geht auf Mitternacht und das Finale zu. Antje Schomaker macht Schau mit „Ich muss gar nichts“, Max Giesinger singt „Wenn sie tanzt“, Revolverheld präsentiert „Neu erzählen“ und Jupiter Jones berührt mit „Still“. Sängerinnen, Sänger und Bands, die vor Jahren klein angefangen haben und jetzt auf der großen Bühne für die spielen, die gerade klein anfangen haben. Die in die Traversen klettern und Kabel verlegen, Barhocker schleppen oder Club-Kühlschränke füllen. Nacht acht Stunden beschließt DJ Alle Farben den Abend: „Lasst uns mal Vollgas geben“. Das Publikum des Livestreams hat Vollgas gegeben und schon mehr als 100.000 Euro für die Initiativen #coronakuenstlerhilfe, #handforahand, 1st Class Session e.V. und Ohne Kunst und Kultur wird’s still e.V. gespendet.

Ein kleines Licht in dunkler Zeit, so wie es Revolverheld singt: „Ich lass’ für dich das Licht an“. Eigentlich geht der Text mit „ich schaue mir Bands an, die ich nicht mag“ weiter, aber an diesem Abend sind alle Bands toll.

All Hands On Deck Spendenlink unter allhandsondeck.hamburg