Hamburg. Reihenweise werden Konzerte und Tourneen abgesagt. Die Veranstaltungsbranche reagiert so enttäuscht wie pragmatisch.
Es war ein kurzer Moment der Hoffnung und des Aufatmens, als im vergangenen September alle Einschränkungen für unter 2G-Regeln laufende Konzert- und Clubveranstaltungen fielen. Beispielhaft war das in Hamburg im Kiez-Club Molotow zu erleben: Während die letzten Besucherinnen und Besucher des Reeperbahn Festivals den 3G-bedingt kaum gefüllten Club verließen, strömten die Massen in den Hinterhof zur inoffiziellen 2G-Aftershow-Party.
Tanzen, Berühren, Trinken, Drängeln, keine Maske. Es schien, als wollten die Menschen nach so langer Corona-Zwangspause das alles umso mehr genießen. Schließlich wusste niemand, was Herbst und Winter bringen würden.
Und tatsächlich: Was die Folgen der Corona-Pandemie für den nationalen und internationalen Konzert- und Tourneebetrieb angeht, sind wir mittlerweile wieder in einer Situation angekommen, die der vom März 2020 sehr ähnelt. Viele Bundesländer in Deutschland und Staaten in Europa schränken angesichts hoher Inzidenzen die Möglichkeiten für Konzerte teilweise oder komplett ein.
Corona Hamburg: Konzerte verschoben und abgesagt
Auch in Hamburgs Musiklandschaft bestimmen derzeit wieder Verlegungen und endgültige Absagen das Bild: In der Barclays Arena, wo Anfang Oktober noch Roland Kaiser vor 10.000 Fans sang, wurde gerade die Show von Matthias Reim am 29. Dezember vom Veranstalter gestrichen, die Tour wird in den Sommer verschoben.
Clueso, bereits seit November 2020 mehrfach verlegt, sollte im Februar 2022 spielen, nun wohl im September. Und nicht nur die große Arena, auch die Clubs müssen am Terminkarussell drehen. „Verschoben“ und „Abgesagt“ dominieren auf dem Terminkalender des Mojo Clubs, Nochtspeichers und Molotows. „Die Musikclubs stehen nach fast zwei Jahren ähnlich unsicher da, wie zu Beginn der Pandemie im März 2020“, fasst Clubkombinat-Vorstand Anna Lafrentz die Lage zusammen.
Omikron in Hamburg: Fans verunsichert
Aber unabhängig davon, was tagesaktuell noch erlaubt wäre, haben die Debatten um 3G, 2G und 2G-Plus sowie um die Impfquoten, die fehlende Einheitlichkeit der Maßnahmen in den Bundesländern, das Aufkommen der vierten Welle und der Omikron-Variante das Publikum verunsichert.
Bereits im Sommer und Herbst waren viele Konzerte, die einst als Selbstläufer galten, bei Weitem nicht ausverkauft. Und für die Megastars des kommenden Jahres wie Herbert Grönemeyer (6. Juni im Volksparkstadion) sind auch noch viele Tickets zu haben.
„Man fühlt sich unweigerlich an die Ausgangslage für unsere Branche im März 2020 oder auch im Herbst 2020 erinnert und blickt inzwischen mit einem Potpourri der Gefühle aus Unverständnis, Trauer, Wut und inzwischen gelerntem Pragmatismus auf die neusten Entwicklungen“, sagt Ben Mitha, Geschäftsführer der Karsten Jahnke Konzertdirektion.
Hamburger Konzertveranstalter: Maximale Flexibilität
Trotz der Einschränkungen hat der Hamburger Konzertveranstalter in diesem Jahr 27 deutschlandweite Tourneen mit 300 pandemiegerechten Konzerten und mehr als 200.000 Besucherinnen und Besuchern durchgeführt. Dennoch rechnet er damit, nach Verlusten in Höhe von 50 Millionen Euro im Jahr 2020 diese Saison mit einem ähnlich großen Loch in der Kasse abzuschließen. Trotz allem wird weiter geplant, von Rücklagen und staatlichen Förderwerkzeugen gelebt – und auf Sicht gefahren.
„Wir erleben derzeit wieder den Föderalismus in Reinkultur, bei der derzeitigen Genehmigungslage eine deutschlandweite Konzerttournee zu spielen, braucht viel Geduld, finanzielle Rücklagen und maximale Flexibilität von allen Beteiligten.“ Die Unsicherheit, ob ein geplantes Konzert auch tatsächlich stattfinden könne, sei sehr groß, sagt Mitha.
Seine Agentur, aber auch andere Veranstaltungsfirmen setzen derzeit hauptsächlich auf deutsche Künstlerinnen und Künstler, internationale Touren sind „für alle eine sehr nervenaufreibende Angelegenheit und einem internationalen Act mit globaler Reise- und Produktionslogistik fast nicht zumutbar, geschweige denn, dass es wirtschaftlich darstellbar ist“.
„Für den Neustart und nicht ein ewiges Hin und Her“
Wer einen Blick auf das wirft, was in den Sommermonaten 2020 und 2021 machbar war und derzeit für 2022 plant, kommt vielleicht zu dem Schluss, dass sich Konzerte und Tourneen nur in der „Wohnwagensaison“ von Mai bis Oktober lohnen: „Wenn sich die Lage so weiterentwickelt und sich die Mechanismen nicht ändern, dann kann dies wirklich irgendwann Realität werden. Ich denke, ein halbes Jahr ohne Indoor-Veranstaltungen und -Konzerte möchte sich aber niemand vorstellen, sodass es jetzt eine gemeinsame und gezielte Kraftanstrengung von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft braucht, damit ein solches Szenario nie Realität wird“, sagt Mitha.
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Aber an gezielten Kraftanstrengungen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft fehlt es in vielen Bereichen, nicht nur in der Kultur. Trotzdem: „Die Branche braucht jetzt endlich bundesweit klare Normen für den Neustart und nicht ein ewiges Hin und Her von widersprüchlichen Maßnahmen“, forderte Marek Lieberberg, Geschäftsführer von Live Nation, bereits im November in der „Rheinischen Post“.
Nicht weniger Fragezeichen als vor einem Jahr
Ben Mitha wünscht sich „weniger Bürokratie und weniger politisches Geplänkel und dafür mehr konkrete Taten und Maßnahmen und effektives Krisenmanagement.“ Mitha, aber auch viele weitere aus der Branche vermissen „ein grundsätzliches Verständnis dafür, dass Veranstaltungen sicher sind. Unter 2G oder 2G-Plus gibt es kein sichereres Umfeld als eine Veranstaltung mit entsprechendem Hygienekonzept.“
Vor der Konzert- und Festivalsaison 2022 stehen jedenfalls nicht weniger Fragezeichen als vor einem Jahr, als man noch die Hoffnung auf eine schnelle Durchimpfung der Bevölkerung hegte. Marek Lieberberg sah noch vor einem Monat die bisherigen Einschränkungen bis spätestens Frühjahr 2022 einheitlich fallen. Daraus dürfte nichts werden.