Hamburg. Hamburg verliert mit Jan Bierschenk einen Ausnahme-Goldschmied – behält aber eine besondere Erinnerung an seine Fertigkeiten.
Die Kronjuwelen der Queen nachbauen? „Würde ich mir zutrauen“, sagt Jan Bierschenk. Der Hamburger Goldschmied übernimmt am liebsten Arbeiten, die ihn technisch und handwerklich herausfordern. Er ist Spezialist für besonders heikle Aufgaben, viel gefragt, wenn es um makellosen Schmuck, um historische Restaurierungen oder ausgefallene Wünsche geht. Und nicht zuletzt ist er gesuchter Ratgeber und Problemlöser für Kollegen, die dringend Hilfe brauchen.
All diese Kunden werden künftig ohne seine Fertigkeiten auskommen müssen, denn Bierschenk hat zum 30. November seine Werkstatt in Lurup geschlossen, nach 36 Jahren Selbstständigkeit. Er erfüllt sich mit 63 Jahren einen Lebenstraum: Gemeinsam mit seiner Ehefrau wandert er in die Karibik aus. Hamburg verliert einen Ausnahme-Goldschmied, behält aber eine besondere Erinnerung an seine Fertigkeiten. Denn vor 30 Jahren hat Bierschenk bewiesen, wie selbst eine unlösbar scheinende Aufgabe bewältigt werden kann.
Damals hatte Peter Tamm, Verleger und Experte für Maritimes mit der weltweit größten privaten Sammlung zur Schiffahrts- und Marinegeschichte, den Juwelier Renatus Wilm dazu angeregt, zwei Jahrestage – die Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren und den 225. Geburtstag der 1767 gegründeten Firma Wilm – zum Anlass für ein ambitioniertes Projekt zu nehmen, nämlich ein Modell der „Santa Maria“ in Gold zu bauen – eine Miniatur jenes Schiffes also, mit dem Columbus 1492 in Amerika gelandet war.
Goldschmied Jan Bierschenk: „Gutes Handwerk braucht Zeit“
Wilm fand bei seiner weltweiten Suche niemanden, der sich auf das Abenteuer einlassen wollte – entdeckte aber zu seiner Überraschung, dass er die Idealbesetzung bereits kannte. Sein ehemaliger stellvertretender Werkstattleiter Jan Bierschenk, der sich gerade selbstständig gemacht hatte, brachte drei wesentliche Voraussetzungen mit: ein exzellenter Handwerker, der als langjähriger Segler und jugendlicher Hobby-Modellbauer viel von Bootsbau versteht und darüber hinaus den notwendigen Mut für eine solche Entdeckungsreise auf unbekanntes Terrain hat.
Das Modell sollte im Maßstab 1:100 aus 18-karätigem Gold detailgetreu nachgebaut werden, nicht in großen Stücken, sondern wie das Vorbild: Spant für Spant und Planke für Planke. „Das erschien technisch unmöglich, denn es ist extrem schwierig, dünne und stärkere Goldelemente miteinander zu verlöten, weil es ein enges Temperaturfenster von nur 80 Grad zwischen dem Schmelzen des Lots und dem des Golds gibt“, sagt Bierschenk. „Ich habe den Auftrag dennoch angenommen, weil ein neues Lötgerät auf den Markt gekommen war, das punktgenaues Erhitzen ermöglichte.“
Bevor die Arbeit begann, recherchierte Wilm unter anderem in spanischen Archiven zur „Santa Maria“. In Zusammenarbeit mit einem professionellen Modellbauer wurden eine Zeichnung und Rohmodelle angefertigt. Die eigentliche Arbeit am Objekt beschäftigte Bierschenk – gemeinsam mit Gesellin und Lehrling – etwa ein Dreivierteljahr lang. Nach mehr als 3000 Arbeitsstunden war die „Santa Maria“ vollendet – eine Woche vor der Deadline am 12. Oktober 1992, dem Jahrestag der Entdeckung Amerikas. Das kostbare Modell aus 3,8 Kilo 750er-Gold, das heute in Peter Tamms Maritimem Museum Hamburg zu bewundern ist, erscheint noch kunstvoller, wenn man weiß, dass auch im Inneren alle Decks eingezogen wurden, dass Luken und Türen sich öffnen lassen und in der Kapitänskajüte Stühle sowie ein Tisch mit Flaschen und Gläsern darauf stehen.
"Santa Maria" im Maritimem Museum Hamburg zu bewundern
Präzision und Liebe zum Detail ist durch Jan Bierschenks Ausbildungsstationen gefördert worden. Er hat in einer Traditionsgoldschmiede in Lübeck gelernt, dann bei Wilm und in Frankreich gearbeitet, bevor er die renommierte Meisterschule in Hanau besuchte, um sich anschließend in St. Georg selbstständig zu machen. Seit 1996 ist seine Werkstatt in Lurup. „Nach der Ausbildung glaubt man, vor allem Gestalter sein zu müssen. Als Unternehmer mit Kostendruck musste ich jedoch rasch lernen, mich am Markt zu orientieren.
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Deshalb war ich immer auf verschiedenen Feldern aktiv“, sagt Bierschenk. Er hat über die Jahre unter anderem für große Juweliere wie Wilm und Wempe gearbeitet, auch für Tiffany, Bulgari und Bottega Veneta. Das hat geprägt. Sein eigener Schmuck, so sagt er, sei mit der Zeit „immer juweliger“ geworden — technisch aufwendig gestaltete Stücke mit kostbaren Steinen, nicht selten viele kleine wie in einem weich fließenden Armband, das er einer Kundin zeigt, bei dem Glied an Glied filigran gefasste Turmaline in perfekter Gleichmäßigkeit nebeneinander angeordnet sind.
Es gibt nicht mehr viele Goldschmiede, die Juwelenschmuck bauen
Es gibt nicht mehr viele Goldschmiede, die Juwelenschmuck bauen — und über die Bandbreite an Techniken verfügen, die es dafür braucht. Bierschenk möchte, dass handwerkliches Wissen weitergegeben wird. „Wir müssen darauf achten, dass wir Kenntnisse bewahren. Viel Erfahrungswissen droht verloren zu gehen, wenn wir uns nicht um die Weitergabe kümmern. Networking ist für unser Handwerk wichtig“, sagt Bierschenk, der über die Jahre zehn Auszubildende hatte, von denen einzelne in seinem Sinne weiterarbeiten.
Er selbst will künftig auf der Insel Martinique, einem französischen Überseedépartement, seinen Traum und seine Leidenschaften leben: viel Tauchen, auch Segeln — und ein wenig Goldschmieden, aber nicht mehr professionell. „Das Geschäft in Hamburg wurde zuletzt immer stressiger: zu viele bürokratische Auflagen, das Tempo nahm ständig zu. Heute bestellt, morgen fertig, das geht nicht und das wollte ich auch nicht mehr — gutes Handwerk braucht Zeit.“