Hamburg. Er war Schauspieler, Regisseur, Intendant, Sänger, Textdichter, Ehemann, Vater – und eine treue Seele. Über sein schillerndes Leben.

„Ich wollte nie etwas anderes werden als Schauspieler. Dieser Beruf hat mich gereizt, er hat mich wachgehalten. Er hat mich wahnsinnig glücklich gemacht.“ Und er hat ein ganzes Leben umfasst. Als Volker Lechtenbrink vor einigen Wochen auf der Bühne des Ernst Deutsch Theaters den Gustaf-Gründgens-Preis erhielt, war die Matinee seine Abschiedsvorstellung.

Er wird es gewusst haben, wie viele, die dort waren, ihn feierten, ihm ihre Zuneigung erklärten, für ihn sangen. Schmal war der Schauspieler geworden, man sah ihm die schwere Krankheit an; aber noch reichte die Kraft, um den Applaus und die Bravorufe entgegen zu nehmen. „Für einen echten Schauspieler macht das Glück, auf einer Bühne zu stehen, viele Leiden wett“, zitierte der Schauspieler Roland Renner, der dem Freund die ergreifende Laudatio hielt, den Namensgeber der Auszeichnung.

Volker Lechtenbrink hatte 1959 seinen Durchbruch

Gründgens selbst blickte von der Leinwand auf seinen Schützling hinab, ein bisschen streng vielleicht, aber nicht unzufrieden. Er hatte schließlich Recht behalten. Als ihm Volker Lechtenbrink auf der Bühne des Schauspielhauses zum ersten Mal bei den Proben für ein Weihnachtsmärchen aufgefallen war, hatte ihn der damalige Intendant zu sich gerufen: „Ich habe Sie jetzt die ganze Zeit beobachtet. Und ich könnte mir vorstellen, dass Sie das auch einmal beruflich machen könnten.“ Volker Lechtenbrink war damals zehn Jahre jung – und, wie er später selbst der Anekdote die Rührseligkeit nahm, vor allem beeindruckt, von Gründgens gesiezt zu werden.

Volker Lechtenbrink (links) mit Karl- Michael Balzer in einer Szene des Films  „Die Brücke“ (1959).
Volker Lechtenbrink (links) mit Karl- Michael Balzer in einer Szene des Films „Die Brücke“ (1959). © dpa | dpa

Vier Jahre später hatte der junge Volker 1959 seinen großen Durchbruch, als er – neben Fritz Wepper und Folker Bohnet – in Bernhard Wickis oscar-nominiertem Antikriegsfilm „Die Brücke“ einen jener Jungen spielte, die noch kurz vor Kriegsende zur sinnlosen Vaterlandsverteidigung abgestellt werden.

Lechtenbrink hatte viele Bewunderinnen

Dieser Film sei „ein Glücksfall“ gewesen, befand Lechtenbrink, als er schon längst nicht nur Schauspieler, sondern auch Sänger, Textdichter, Regisseur und Intendant gewesen war. „Leben so wie ich es mag,/ Leben spüren Tag für Tag,/ das heißt immer wieder fragen,/ das heißt wagen, nicht nur klagen“, heißt es in seinem bekanntesten Song. Und so kitschig es ihm selbst vorgekommen sein mag, von ein paar Schlager-Zeilen auf das eigene Leben zu schließen – er hat es doch auch ein bisschen gemocht.

So wie die nie nachlassende Verehrung seiner rauen, dunklen Stimme, dieses legendären Lechtenbrink-Timbres. Zu gern erzählte er davon, wie ihn einmal die Kundinnen beim Schlachter vorgelassen hätten: „Wir warten, bis Herr Lechtenbrink bestellt, wir hören seine Stimme so gern.“

Volker Lechtenbrink heiratete fünf Mal

Schon im Alter von acht Jahren übernahm er, der zwar in Ostpreußen geboren wurde, aber in Bremen und Hamburg aufwuchs, Sprechrollen im NDR-Kinderfunk. Das Johanneum verließ Lechtenbrink vor dem Abschluss, mit nur 26 Jahren kam er bereits auf rund 60 Bühnen- und 50 Fernsehrollen. „Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen.“

Das dürfte auch für die Termine auf dem Standesamt gegolten haben: Ganze fünf Mal verheiratete sich Volker Lechtenbrink, zu allen Ex-Frauen habe er jedoch ein gutes Verhältnis gepflegt – mit einer ebenso anrührenden wie pragmatischen Begründung: „Wenn man sich mal geliebt hat, wäre es doch dumm, das zu vergessen.“ Andererseits gelte eben auch: Wenn die Liebe „einen erwischt, dann erwischt sie einen eben...“

Lechtenbrinks Leidenschaft war das Theater

So verrückt es bei fünf Ehefrauen klingen mag (die das womöglich auch nicht immer so sahen): Treue, oder vielleicht doch eher: Loyalität war ein Wert, mit dem der Theater-, Familien- und Theaterfamilienmensch Volker Lechtenbrink etwas anzufangen wusste. „Ich empfinde es als großes Glück dir begegnet zu sein“, schwärmte nicht nur Roland Renner während der Gründgens-Preisverleihung. „Du hast mich mitgenommen in dein reiches Leben und dadurch reicher gemacht.“

In der ZDF-Hitparade gehörte Volker Lechtenbrink in den 1970er-Jahren zu den musikalischen Gästen.
In der ZDF-Hitparade gehörte Volker Lechtenbrink in den 1970er-Jahren zu den musikalischen Gästen. © picture-alliance/ dpa | picture alliance

Und auch wenn Lechtenbrinks markante Stimme ihm neben der Schauspielkarriere auch einen beachtlichen musikalischen Lebensweg bescherte (bis in die 1980er-Jahre sang er Lieder und verkaufte Platten, deren Texte zudem meist aus der eigenen Feder stammten), gehörte seine eigentliche Liebe doch stets dem Theater. Neben der Leidenschaft für Werder Bremen, versteht sich. Es galt: „Wenn man’s dann macht, dann macht man’s wie immer.“ Sollte heißen: „Bis zur Erschöpfung.“ Und bisweilen eben darüber hinaus.

Plakate von Lechtenbrink in der ganzen Stadt

Vor vier Jahren zum Beispiel war die ganze Stadt mit Volker Lechtenbrink plakatiert, er hing – mit Schlafmütze, Dreitagebart, blonden Zottelsträhnen – an Litfaßsäulen und in U-Bahn­-Sta­tionen, um für „Der eingebildete Kranke“ am Ernst Deutsch Theater zu werben. Bis zwei Wochen vor der Premiere aus dem eingebildeten, in dessen Verantwortung Regie und Hauptrolle lagen, ein echter Kranker wurde. Ohne zu zögern übernahm sein Freund, der Schauspieler Wolf-Dietrich Sprenger, mit dem er schon Mitte der 1970er-Jahre am Deutschen Schauspielhaus auf der Bühne gestanden hatte, die Regie, der junge Jonas Minthe, den Lechtenbrink selbst für das Theater entdeckt hatte, sprang in der Titelrolle ein – und dankte seinem Förderer noch Jahre später überschwänglich.

Es gibt Künstler – in Daniel Kehlmanns „Der Mentor“ spielte Lechtenbrink 2013 an der Komödie Winterhuder Fährhaus selbst einen solchen –, denen dienen Kritikerschelte, Selbstbezogenheit und Hochmut als Panzer gegen die eigene Verletzlichkeit. Volker Lechtenbrink gehörte nicht dazu. Er war großzügig, ohne aufdringlich zu sein, zu Kollegen, gelegentlich auch zu Journalisten. Manchmal rollte die unverwechselbare Stimme auf dem Anrufbeantworter, wenn er sich am Tag nach einer Premiere über die Kritik freute oder zumindest gerecht besprochen fühlte. „Ich möchte mich herzlich bedanken.“ Er hatte das Gefühl, das gehöre sich so. Alte Schule.

Lechtenbrink spielte auf fast allen Bühnen in Hamburg

Volker Lechtenbrink gehörte einer Generation von Schauspielern an, über die schon so berühmte Theaterkritiker wie Friedrich Luft geschrieben hatten, damals, in West-Berlin, als der Lechtenbrink noch mit der Knef sang. Seine Bühnenausbildung erhielt er (wie später auch seine Tochter Saskia) unter anderem am Hamburger Schauspielstudio Frese. Der Leiterin Hildburg Frese widmete er 2002 einen Nachruf im Abendblatt, aus dem der unbedingte (und auch im Alter kaum je nachlassende) Drang zum Spiel klang. „Bedingungslose Liebe zum Beruf (wir sprachen sogar noch von Berufung, Idealisten, die wir waren)“, habe er von ihr gelernt, außerdem „Disziplin, Ausdauer, Spiellust, Achtung vor Kollegen, Durchsetzungsvermögen“.

Er habe in seinem Leben „alles gespielt“, bekannte er später. „Vom Mörder bis zum Liebhaber, vom Verbrecher bis zum Komiker.“ In Hamburg stand er auf nahezu jeder verfügbaren Bühne, auch in Hannover, Köln, Berlin und München ging der Vorhang für ihn hoch. Im Fernsehen sah man ihn in „Derrick“, „Der Alte“, „Ein Fall für zwei“ – und hörte ihn als deutsche Stimme von Burt Reynolds und Kris Kristofferson. Bei den Bad Hersfelder Festspielen, denen Volker Lechtenbrink sehr verbunden war und die er eine Zeit lang auch als Intendant leitete (wie 2004 bis 2006 auch das Ernst Deutsch Theater), spielte er schon 1966. Mit Anfang 20 war er dort der Narr in „König Lear“ – und übernahm vor knapp zehn Jahren Shakespeares große Altersrolle dann selbst.

Für Lechtenbrink kaufte das Publikum Karten

Im Alter spielte Lechtenbrink die Hans-Albers-Rolle am Theater, schon 1966 war er der Seebär im Fernsehfilm „Corinne und der Seebär“.
Im Alter spielte Lechtenbrink die Hans-Albers-Rolle am Theater, schon 1966 war er der Seebär im Fernsehfilm „Corinne und der Seebär“. © imago/United Archives | imago stock&people

Volker Lechtenbrink, das war einer, für den das Publikum Theaterkarten kaufte. Der immer auch eine große Portion Nostalgie mit auf die Bühne brachte, die Erinnerung an Zeiten, in denen in Fernseh-Talkshows noch geraucht wurde. „Volker Lechtenbrink ist immer dann am stärksten, wenn er die Melancholie eher wirken lässt, als sie betont zu spielen“, hieß es in der Abendblatt-Kritik zur Hans-Albers-Revue „Große Freiheit Nr. 7“. In der Regie von Ulrich Waller stellte Lechtenbrink am St. Pauli Theater seine Figur in Schlagworten vor: „Reeperbahn, Große Freiheit, Johnny Kröger, das genügt.“ Einmal Hamburg mit alles.

Wobei es zu seinen Stärken gehörte, das Pathos zwar zu bedienen, wenn es denn passte, aber es eben auch zu erkennen und im Zweifel zurechtzustutzen. Als Sentiment, Dank und Lobhudeleien während der Verleihung des Gründgens-Preises Überhand zu nehmen drohten, schnurrte Lechtenbrink ein trockenes „Da nich’ für...“ vom Bühnenrand.

„Ich habe noch nie einen Hänger gehabt"

Mit Isabella Vértes-Schütter, der Intendantin des Ernst Deutsch Theaters, war Volker Lechtenbrink sehr eng befreundet. Aber auch mit Ulrich Waller, dem Intendanten des St. Pauli Theaters, hat der Schauspieler gern und immer wieder gearbeitet, eine seiner stärksten Rollen am Spielbudenplatz war ein demenzkranker Familienvater in Florian Zellers „Der Vater“. „Vor Dingen Angst zu haben, die unabwendbar sind, ist verschenkte Angst“, sagte er damals im Interview und erzählte freimütig von seiner eigenen Mutter, die im Alter in einer Einrichtung in der Willistraße gelebt hatte. In Alsternähe, wie ihr Sohn. Unverblümt, warmherzig und mit dem jahrelang geschulten Sinn für die Pointe erinnerte er sich: „Es gab eine Situation, da hatte meine Mutter in jeder Hand eine brennende Zigarette, eine dritte lag vor ihr im Aschenbecher. Sie schaute uns an und sagte vorwurfsvoll: Mensch, ich würde wirklich gern mal eine rauchen!“

Dass seine eigene Gesundheit und sein Alter zuletzt immer öfter zum Thema wurde, nahm er hin, nicht begeistert, aber gelassen. „Ich habe noch nie einen Hänger gehabt, aber ich gehöre auch nicht zu denen, die auf der Bühne sterben wollen“, kommentierte er das. Die wahre Grandezza, fand Lechtenbrink, liege ohnehin in der Bescheidenheit.

Volker Lechtenbrink mit 77 Jahren in Hamburg gestorben

Aber alles zu seiner Zeit. Als Eva Mattes, mit der Volker Lechtenbrink zuletzt „Love Letters“ am St. Pauli Theater ausgetauscht hatte, dem Freund und Kollegen zum Finale der Gründgens-Abschiedsvorstellung seinen eigenen alten Hit „Ich mag“ schenkte, ging das große Gefühl schon sehr in Ordnung so: „Ich mag Bilder von Magritte,/ schwimmen ohne mit,/ Barfuß geh’n durchs Watt,/ich mag Hamburch, meine Stadt,/ all das mag ich,/ und ganz doll dich...“

Am Montag ist Volker Lechtenbrink mit 77 Jahren im Kreise seiner Familie in Hamburg gestorben.

„Mit ihm geht eine der großen Theaterpersönlichkeiten“

Carsten Brosda, Kultursenator: „Mit Volker Lechtenbrink verliert das deutsche Fernsehen und das Theater einen seiner ganz Großen, der nicht nur zu unterhalten wusste, sondern uns immer auch was zu sagen hatte. Seine Stimme wird fehlen. Hamburg trauert um einen großen Künstler und Theatermann! In Gedanken sind wir bei seiner Familie.“

Ulrich Waller, Intendant des St. Pauli Theaters: „Wir – Eva Mattes, Stephan Schad und ich – hatten ihm letzte Woche aus dem Cuneo eine Sms geschickt, dass wir an ihn denken, an ,Love Letters’ und an das Alzheimer-Stück ,Der Vater’, in dem Volker unvergesslich die Titelrolle gespielt hatte. Und Volker meldete sich keine 20 Minuten später zurück: „ich wäre gerne bei Euch…trinkt ein glas auf mich…liebste grüsse…die alte Zeder.’ ,Alte Zeder’ hat er sich mir gegenüber genannt, weil ihn die frühere Kultursenatorin Barbara Kisseler bei der Verleihung der Biermann-Rathjen-Medaille so betitelt hatte. Ich hatte ihm danach eine Nachricht mit der Anrede geschickt. Das hatte ihm so gefallen, dass er sie dann immer benutzt hat. Mit Volker Lechtenbrink geht eine der großen Theaterpersönlichkeiten der Stadt. Ich werde den neugierigen Freund vermissen, seine Stimme, seinen Charme, sein Lächeln.“

Isabella Vértes-Schütter, Ernst Deutsch Theater: „Danke Volker! Meisterhaft beherrschte er die Kunst, Geschichten zu erzählen, in Szene zu setzen und die Figuren, die er verkörperte, den Menschen nahezubringen. Von seinem Publikum wird er dafür auf besondere Weise geliebt.“

Peter Schmidt, Hamburger Autorenvereinigung: „Eine erschütternde Nachricht. Nicht nur seine umfangreichen Filmrollen und seine beeindruckende Theaterauftritte bleiben in Erinnerung. Es ist seine unverwechselbare Stimme und seine deutliche Sprache.“

Michael Lang, Ohnsorg-Theater: "Mit Volker Lechtenbrink und seiner Familie war ich fast 25 Jahre lang freundschaftlich verbunden. Viele Jahre davon waren wir beruflich wie privat Nachbarn in Winterhude, und nicht nur dort war er bekannt 'wie ein bunter Hund'. Ich habe Volker Lechtenbrink als charismatischen, authentischen, energiegeladenen Künstler erlebt und als sehr herzlichen und zugewandten, fröhlichen Menschen bis weit über das Theater hinaus. Seine Präsenz, seine Kraft und seine charismatischen Stimme, die auch mit leisen Tönen verzaubern konnte, haben uns alle in seinen Bann gezogen, das Publikum hat ihn geliebt und verehrt. Ein Volksschauspieler wie er im Buche steht, über alle Genres hinweg. Besonderes in Erinnerung geblieben sind mir seine Darstellung von 'Der Mentor' von Daniel Kehlmann zum 25jährigen Jubiläum der Komödie Winterhuder Fährhaus und seine zahlreichen, prallen, sinnlichen Inszenierungen von Komödien-Klassikern beispielsweise von Shakespeare oder Moliere. Wir trauern gemeinsam mit seiner Familie und den Kolleg_innen vom Ernst Deutsch Theater um einen besonderen Menschen und außergewöhnlichen Künstler.