Ein Ritterfilm wie kein anderer: Jodie Comers Marguerite muss sich gedulden, bis sie ihre Sicht der Dinge schildern darf – aber dann!
Auch mit 83 Jahren ist Ridley Scott noch immer für eine Überraschung gut. Mit „Last Duel“ hat er einen höchst ungewöhnlichen Ritterfilm gedreht. Der Kultregisseur ist ja in allen Genres und allen Zeiten zu Hause, in der Antike wie in der Science-Fiction. Und mit „Königreich der Himmel“ und „Robin Hood“ hat er schon zwei ausgewiesene Ritterepen gedreht. Aber in seinem jüngsten Werk gibt er einmal nicht seinem Hang zu großen, archaischen Schlachtgetümmeln nach. Sondern setzt damit einen ganz eigenen, unerwarteten Beitrag zu einem sehr heutigen und sehr aktuellen Diskurs: der #MeToo-Debatte.
„Last Duel“ beginnt ganz genretypisch wie ein echter Männerfilm. Da sind zwei Ritter aus der Normandie, die Ende des 14. Jahrhunderts Seit’ an Seit’ in die Schlachten reiten. Der eine, Jean de Carrouges (Matt Damon), rettet dem anderen, Jacques Le Gris (Adam Driver), einmal sogar das Leben. Sie sind so eng, könnte man denken, dass kein Kettenhemd dazwischen passt. Doch während de Carrouges in der Gunst des Lehnsherren Pierre (Ben Affleck) sinkt, steigt Le Gris an dessen Hof immer weiter auf.
Kino: In "Last Duel" wechselt Ridley Scott mehrfach die Perspektive
Le Gris ist es denn auch, der für Pierre mehr Lehnsgelder von Carrouges eintreibt. Der fast bankrotte Witwer vermählt sich daraufhin mit der jungen, schönen Marguerite (Jodie Comer), vor allem auch, weil zu deren Mitgift ein einträgliches Stück Land gehört. Doch just das überschreibt Pierre per Dekret an – Le Gris. Und als sein Vater stirbt, darf de Carrouges nicht mal dessen Burg in alter Familientradition weiterverwalten. Auch diese Aufgabe wird an den einstigen Freund übertragen. Le Gris ist so was wie seine persönliche Nemesis. Als Marguerite dann noch gesteht, Le Gris habe sie vergewaltigt, sinnt der Kämpe nur noch auf Rache. Reicht Klage beim König ein. Und wirft einen Fehdehandschuh hin.
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Das ist der Moment, wo der Film den Atem anhält. Und noch mal zurück auf Anfang springt. Bislang hat man das Geschehen aus der Perspektive von de Carrouges gesehen. Nun erlebt man es noch mal aus der von Le Gris. Hier stellen sich viele Dinge ein bisschen anders dar. Doch noch immer ist dies ein reiner Männerfilm, in dem es bloß um Ehre und Ansehen der Ritter geht. Dann aber setzt der Film noch ein drittes Mal an – und zeigt nun die Sicht von Marguerite.
Erst die Sichtweise der Frau birgt die Botschaft von "Last Duel"
Es ist ein alter Trick, den schon Akira Kurosawa in seinem Klassiker „Rashomon“ angewandt hat: Eine Gewalttat wird aus der Perspektive aller Beteiligten gezeigt und stellt sich ganz unterschiedlich dar. Auch in „Last Duel“ sind immer wieder die gleichen Szenen zu sehen, aber in anderen Nuancen und von den Schauspielern auch immer leicht anders gespielt.
Da erscheint de Carrouges gar nicht mehr so ehrenhaft und aufrecht, wie er anfangs schien. Und auch Le Gris ist nicht nur der kalte Lüstling und Karrierist. In beiden Fällen aber geht es nur um Eitelkeit und Selbstwahrnehmung. Bis die Sichtweise von Marguerite das bisher Gesehene nicht nur weiter relativiert, sondern regelrecht pulverisiert. Da sind Frauen nichts weiter als Gebrauchsware. Sie werden verheiratet, um Pakte zu schließen, roh beschlafen, um einen Erben zu zeugen. Oder eben, um sich zu verlustieren.
#MeToo-Debatte im Mittelalter – samt Gottesurteil
Marguerite muss sich, in der wohl schmerzlichsten Szene des Films, von einer anderen Frau anhören, dass sie durchaus nicht die erste sei, der diese Schande angetan wurde, dass sie das aber besser für sich behalte, um des Seelenfriedens willen. Doch Marguerite macht ihren Fall öffentlich. Und am Ende ist sie es, die am Pranger steht. Der Kasus soll als Ritterduell ausgefochten werden. Dessen Ausgang ist dann quasi ein Gottesurteil. Für die Frau gibt es also nur Gerechtigkeit, falls ihr Mann siegt.
Das alles klingt so obskur, dass kein Drehbuchautor es sich hätte ausdenken können. Tatsächlich ist es eine wahre Begebenheit. Einer der ersten bezeugten Fälle in der Historie, in dem sich eine Frau gegen die Macht der Männer über ihresgleichen zur Wehr gesetzt hat. Und er ist mit vielen Quellen dokumentiert, sodass der Film sogar ganz konkrete Daten angeben kann. Der titelgebende Zweikampf fand am 27. November 1386 in Paris statt und ging in die Geschichte ein als das letzte Duell, das in Frankreich gerichtlich angeordnet wurde.
Für Matt Damon ist der Film eine Art Wiedergutmachung
Über den frappierenden Fall hat der Mittelalter-Forscher Eric Jager bereits 2004, also lange vor der #MeToo-Debatte, das Buch „The Last Duel: A True Story of Crime, Scandal, and Trial by Combat in Medieval France“ veröffentlicht. Matt Damon hat sich die Verfilmungsrechte gesichert. Das ist nicht ohne Ironie: Vor knapp vier Jahren hat sich der Schauspieler über die #MeToo-Debatte noch relativierend geäußert und dafür viel Kritik erfahren. Kurz darauf hat er sich öffentlich im Fernsehen entschuldigt. Er wolle Teil dieses Wandels sein, bekannte er: „Aber ich sollte das vom Rücksitz aus tun – und für eine Weile meinen Mund halten.“
„Last Duel“ ist in dieser Hinsicht eine Art Wiedergutmachung, mit der auch der Carrouges-Darsteller seine Ehre wiederherstellen mag. Dafür hat sich Damon erstmals wieder mit seinem Freund Ben Affleck zusammengetan. Nicht nur vor der Kamera. Erstmals seit „Good Will Hunting“, für den sie beide 1997 den Oscar gewannen, haben sie wieder zusammen ein Drehbuch geschrieben. Diesmal aber verstärkt um Nicole Holofcener („Can You Ever Forgive Me?“), die ihren Beitrag bescheiden umriss: Der einzige Grund, warum sie dazu stieß, sei, „dass Matt und Ben keine Frauen sind“. Nicht, dass die nicht auch großartige Frauencharaktere entwerfen könnten. „Aber ich glaube, eines konnte nur ich beisteuern“, so die Autorin: „meine Perspektive als Frau, einen anderen Blick und eine andere Stimme.“
"Last Duel" ist ein klares Statement – und ein gezielter Coup
Regie führte dennoch ein Mann. Aber Ridley Scott hat schon vor vier Jahren bei „Alles Geld der Welt“ bewiesen, wie ernst er die derzeitige Debatte über den Machtmissbrauch in der Branche nimmt. Nachdem gegen seinen Hauptdarsteller Kevin Spacey Vorwürfe wegen sexueller Belästigung aufkamen, ließ Scott ihn kurzerhand durch Christopher Plummer ersetzen und alle bereits fertigen Szenen noch einmal neu drehen.
„Last Duel“ ist ein klares Statement seiner Macher. Und es ist auch ein gezielter Coup, das hochaktuelle Thema in scheinbar eskapistische Gefilde zu verlegen. Wo mancher vielleicht klassisches Männerkino erwartet und dann einen feministischen Film sieht. Ein Geschmäckle freilich bleibt. Der Film wird als Star-Kino vermarktet. Und zeigt doch erst mal zwei lange Männer-Episoden, bevor der Standpunkt der Frau eingenommen wird, statt dass man das Genre mal ganz auf den Kopf stellt.
„The Last Duel“ 153 Minuten, ab 16 Jahren, läuft im UCI Othmarschen