Hamburg. Am 30. September startet das Filmfest Hamburg. Vom neu verfilmten Klassiker bis zur Langzeitdokumentation reicht das Programm.

Nach einer deutlich reduzierten Version mit vielen Streamingangeboten im vergangenen Corona-Jahr strebt auch das Filmfest Hamburg nach Normalität. Etwa 110 Filme aus mehr als 50 Ländern werden zwischen dem 30. September und 9. Oktober in den Festivalkinos zu sehen sein, vielfach sind Gäste angekündigt, manche werden online zugeschaltet.

Bei dem riesigen Angebot, das Festivalleiter Albert Wiederspiel und sein Team zusammengestellt haben, den Überblick zu behalten, ist nicht ganz leicht, doch es gibt – je nach persönlichem Interesse – einiges, was sich lohnt. Das Programm jedenfalls ist enorm vielfältig.

Die Festivalgewinner

Die Sieger großer internationaler Filmfestivals nach Hamburg zu holen, das ist schon lange eine Spezialität des Filmfests Hamburg – auch in diesem Jahr. Dabei sind hier gleich drei Locarno-Gewinner zu erleben, etwa der von Fatih Akin mitproduzierte indonesische Film „Vengeance Is Mine, All Others Pay Cash“ (Die Rache ist mein, alle anderen zahlen bar) über einen Unterwelt-Schläger (8.10. Cinemaxx und 9.10. Metropolis). Als Beste Darstellerin gewann im Locarno-Nachwuchswettbewerb Saskia Rosendahl mit ihrer Rolle in „Niemand ist bei den Kälbern“ (5.10. Cinemaxx). Sie spielt eine junge Frau, die auf einem Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern wohnt und sich nach einem ganz anderen Leben sehnt.

Autobiografisch: Kenneth Branaghs „Belfast“.
Autobiografisch: Kenneth Branaghs „Belfast“. © Universal-Pictures | Universal-Pictures Germany

Den Publikumspreis in Locarno gewann „Hinterland“ (2.10. Cinemaxx) , eine Serienmördergeschichte aus dem Wien der 1920er-Jahre. Als Gewinner des Filmfestivals in Toronto kommt Kenneth Branaghs autobiografisches Drama „Belfast“ über eine Kindheit im Nordirland der späten 60er-Jahre nach Hamburg (6. und 9.10. Passage). In Venedig wiederum wurde das französische Abtreibungsdrama „Happening“ als bester Film ausgezeichnet, es läuft im Metropolis (1.10.) und Cinemaxx (4.10.).

Das französische Abtreibungsdrama „Happening“  wurde in Venedig als Bester Film prämiert.
Das französische Abtreibungsdrama „Happening“ wurde in Venedig als Bester Film prämiert. © Wild Bunch

Die Dokumentationen

„Ein ganz anderes Bild von Daniel Cohn-Bendit“ verspricht Filmfest-Leiter Albert Wiederspiel mit der Dokumentation „Wir sind alle deutsche Juden“ (3.10. Cinemaxx und 4.10. Hapag-Lloyd-Zentrale). Hier stehe einmal nicht der Politiker im Vordergrund, sondern der Mensch, der sich auf die Suche nach seiner eigenen jüdischen Identität begibt.

Saskia Rosendahl in „Niemand ist bei den Kälbern“.
Saskia Rosendahl in „Niemand ist bei den Kälbern“. © Weydemann-Bros.Max-Preiss

Eine Spurensuche etwas anderer Art verspricht „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ (3.10. Passage), bei der Wagnerianer aus aller Welt zu Wort kommen und natürlich auch Eindrücke aus dem Bayreuther Festspielbetrieb nicht fehlen. „Rückkehr nach Reims“, der Bestseller des französischen Bestseller-Soziologen Didier Eribon, ist die Grundlage des gleichnamigen Dokumentarfilms (6. und 9.10. im Abaton), der durch die Geschichte der französischen Arbeiterkämpfe führt.

Das Starkino

Für Weltpremieren spektakulärer Hollywood-Blockbuster ist das Filmfest Hamburg eher nicht bekannt – was aber nicht heißt, dass es nicht auch hier Stars auf der Leinwand zu sehen gäbe. So versammeln „The French Dispatch“ (8.10. Cinemaxx) von Regie-Zauberer Wes Anderson etwa Benicio del Toro, Adrien Brody, Tilda Swinton, Léa Seydoux, Frances McDormand, Elisabeth Moss, Bill Murray, Christoph Waltz und Willem Dafoe, die die Geschichte einer ganz besonderen Zeitschrift erzählen.

Starke Dystopie: „Land Of Dreams“.
Starke Dystopie: „Land Of Dreams“. © Giulia_Theodoli_Bon_Voyage_Films_and_Palodeon_Pictures

Im neuen Film des aktuellen Douglas-Sirk-Preisträgers Leos Carax ist Marion Cotillard zu sehen. „Annette“ (2.10. Cinemaxx und 6.10. Abaton) ist ein Musical-Melodram natürlich über die Liebe, aber auch über einen Kinderstar. Und in „Land Of Dreams“ (4.10. Cinemaxx und 8.10. Studio), einer Dystopie über ein Amerika, in dem das Träumen staatlich kontrolliert wird, spielen unter anderem Matt Dillon und Isabella Rossellini.

Die Außenseiter

Eine Geschichte zweier starker Frauen, die gegen gesellschaftliche Unterdrückung und religiöse Fesseln aufbegehren, erzählt die europäisch-afrikanische Koproduktion „Lingui“ (4.10. Abaton). Im Mittelpunkt: eine Mutter, die einst von ihrer Familie wegen einer ungewollten Schwangerschaft verstoßen wurde, und ihre Tochter, die nach einer Vergewaltigung einen Abbruch vornehmen lassen will, doch der ist im Tschad strengstens verboten.

Die radikale Rachegeschichte einer betrogenen Frau erzählt das russische Drama „Medea“ (7.10. Studio und 9.10. Cinemaxx) in der Jetztzeit: Die Geliebte eines Oligarchen ist glücklich, als sie erfährt, dass dieser sich von seiner Frau trennen und mit ihr und den gemeinsamen Kindern in Israel ein neues Leben beginnen will. Doch am Tag vor der Abreise ändern sich die Umstände und Medeas Angst, alles zu verlieren, hat dramatische Konsequenzen.

Eher selten steht das Filmland Rumänien im Fokus, doch der aktuelle Jahrgang ist wieder herausragend. Besonders empfehlenswert: Der sehr ungewöhnliche Kriminalfilm „Mirakel“ (3.10. Cinemaxx und 8.10. Abaton) über eine junge Nonne, die Opfer eines brutalen Verbrechens wird, und die Gesellschaftsstudie „Intregalde“ (4.10. Cinemaxx und 9.10. Studio), die in den düster-nebeligen Wäldern der Karpaten spielt.

Das Spezialprogramm

Mit Andrea Arnold und Sean Baker sind gleich Filmemachern Specials gewidmet, die sich weit vom Mainstream entfernen und seit vielen Jahren Herausragendes in die Kinos bringen. Unvergessen etwa Arnold „Fish Tank“ über eine 15-jährige Schulabbrecherin, die sich in den Freund ihrer Mutter verliebt. In Hamburg präsentiert die Britin ihren neuen Film „Cow“ (1.10. Cinemaxx und 7.10. Passage), eine Dokumentation über das Leben einer Milchkuh. Außerdem sind der Thriller „Red Road“ (3.10. Metropolis) und die Romanverfilmung „Wuthering Heights“ (3.10. Metropolis) zu sehen.

Programm, Tickets, Coronaregeln

Festivalkinos sind das Abaton, Cinemaxx Dammtor, Metropolis, Passage und Studio.  In der Reihe „Filmfest ums Eck“ gibt es zudem Vorführungen im  Alabama, Blankeneser, Hansa, Koralle, Magazin und Zeise.

Programmhefte liegen in den teilnehmenden Kinos aus. Das Filmfest-Programm ist auch online zu finden unter filmfesthamburg.de. Dort können auch, wie in den Kinos und im  Levantehaus, Karten gekauft werden.

Beim Filmfest gilt die 3G-Regel. Das heißt: Zutritt zu den Kinos haben Geimpfte, Genesene und Personen, die einen negativen Antigen-Schnelltest vorweisen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Es herrscht Maskenpflicht.

Der Amerikaner Sean Baker nennt als seine Vorbilder Ken Loach und Paul Thomas Anderson, er hat auch schon mal einen Film ausschließlich mit einem iPhone gedreht. In Hamburg stellt er „Red Rocket“ (3.10. Cinemaxx und 6.10. Passage) vor, eine Komödie über einen ehemaligen Pornostar. Außerdem laufen seine Filme „Starlet“ (7.10. Studio) und „Tangerine L.A.“ (4.10., Studio).

Die Fernsehfilme

Ein Hamburger Filmfest ohne eine umfangreiche TV-Sektion? Undenkbar! Und deshalb finden auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Produktionen, die eigentlich für die Wohnzimmer gedreht wurden, ihren Weg auf die großen Leinwände. Darunter „Die Luft zum Atmen“ (3.10. Cinemaxx) nach dem gleichnamigen Buch der Schauspielerin Miriam Maertens, die darin ihre eigene Lungenkrankheit Mukoviszidose in den Mittelpunkt einer dramatischen Geschichte stellt. Vergleichsweise leichten Stoff bietet dagegen die TV-Serie „Warten auf’n Bus“ (5.10. Cinemaxx) mit Felix Kramer, Ronald Zehrfeld und Jördis Triebel über zwei Langzeitarbeitslose in der brandenburgischen Provinz, die an der Bushaltestelle regelmäßig Alltagsthemen beackern.

Von Regisseur Lars Becker gibt es mit „Alles auf Rot“ (3.10. Cinemaxx) einen neuen Kiezkrimi, bei dem schon die Besetzung mit Jessica Schwarz, Melika Foroutan und Kida Khodr Ramadan hohe Erwartungen weckt. Ganz besonders aktuell ist natürlich die sechsteilige Langzeitdoku „Kevin Kühnert und die SPD“ (2.10. Cinemaxx), von der das Filmfest gleich drei Folgen – vermutlich in Anwesenheit des streitbaren Politikers – zeigt.

Die Kinder- und Jugendfilme

Im Rahmen des Michel Kind und Jugend Filmfests gibt es wie üblich ein umfangreiches Programm für jüngere Kinogängerinnen und -gänger. Natürlich haben dabei die „Pfefferkörner“ wieder ihren angestammten Platz und sind mit gleich zwei Folgen (3.10. Abaton) vertreten. Auch der beliebte Willi Weitzel („Willi wills wissen“) ist dabei. In der Doku-Fiction „Willi und die Wunderkröte“ (1.10. Abaton) geht es sehr zeitgemäß um Umwelt- und Artenschutz.

Während sich dies später auch im Fernsehen anschauen ließe, ist ein großer Teil der Michel-Filmfest-Filme nur hier zu sehen: etwa der finnische Beitrag „Erster Schnee“ (2.10. Abaton) über einen 13-jährigen Iraner, der mit seiner Familie in einer Unterkunft für Geflüchtete lebt. Oder das kanadische Drama „Krawall“ über ein Mädchen, das nach einem Streit mit ihrer Mutter in einer Wohngruppe untergebracht wird. Konflikte bleiben da nicht aus, für Glücksmomente sorgt der Gitarrenunterricht. In der Regel laufen diese Filme in der jeweiligen Originalfassung und sind entweder Deutsch untertitelt oder die Dialoge werden live im Kinosaal auf Deutsch eingesprochen.