Hamburg. Alan Gilbert und das NDR Orchester umtänzeln Rhythmus-Stolperfallen. Der Rausschmeißer von Ravel wurde eher unangenehm begleitet.
Die Älteren werden sich noch erinnern: „Wunschkonzert um viertel nach sieben / öffnet die Ohren, öffnet das Herz“, das sang der Liedermacher Ulrich Roski 1980 über Termine mit Musik, bei denen mal dieses, mal jenes zur wohligen Erbauung auf dem Zettel stand. Die Pandemie macht’s möglich und nötig, also kombinierte das NDR Elbphilharmonie Orchester für seinen „Saisonabschluss“ (der wegen kurzfristig nachgelegter Comeback-Termine keiner mehr ist) drei kurze, schicke Stücke. Das Konzert wird am Freitag um 18.30 und 21 Uhr wiederholt.
Grobmaschig zusammengehalten wurden sie von der These, dass alle drei mehr oder weniger mit regionaltypischen Tänzen und Rhythmen zu tun hätten. Und gebündelt in der Vorgabe, sich tunlichst in einem 60-Minuten-Rahmen zu bewegen.
Unbeschwertes Konzert in der Elbphilharmonie
Das Wiedersehen und -hören mit dem Corona-Genesenen Gilbert sollte unbeschwert sein, es war als Gegenmittel zu den Römertopf-Temperaturen außerhalb des Konzerthauses genau das Richtige. Spanisches Klima, quasi, reiner Zufall, aber auch, dass Rimsky-Korsakows Postkarten-Vertonung „Capriccio espagnol“ das Stündchen passend begann.
Ein Stück wie ein Dom-Rundgang mit etwas zu viel Prosecco im Schädel, überall purzeln einem übereifrige Soli entgegen, die demonstrativ auf Folklore machen, Holzbläser haben unfallfreies Auf und Ab auf Tonleitern zu servieren, das Schlagwerk hat alle Hände voll zu tun. Alles immer ein bisschen drüber. Doch was es war, war es gut und gern, das Tutti hatte seinen Spaß, warum also diesen Spaß durch strengen Ernst bremsen und sich existenzielle Transzendenz bei Mahlers Neunter wünschen?
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Ganz anders, episch ausgezeichnet und mit feinen Linien skizziert: Aaron Coplands Landleben-Porträt „Appalachian Spring“. In dieser Suite aus der naiv-rustikalen Ballettmusik schien sich das Orchester zunächst erst noch auf eine innere Balance einigen zu müssen. Als klar wurde, dass man im Großen Saal auch in größerer Besetzung wieder sehr leise spielen kann, fand das Stück mehr und mehr seine Mitte. Helle, sanft leuchtende Klangfarben wie bei einem von Turner gemalten Morgennebel.
Schlicht gehalten, aber nicht einfach, doch Gilbert umtänzelte die vielen Rhythmus-Stolperfallen sicher und gelassen. Und als die Shaker-Hymne über die „Simple Gifts“ erstmals zitiert und anschließend durch das Orchester gereicht wurde, war diese beschauliche Welt schon sehr in Ordnung.
Ravels "Boléro" durch Handygebimmel unterbrochen
Ran- und Rausschmeißer am Ende sollte Ravels „Boléro“ sein. Eher wenig Substanz, dafür aber viel unbeschwertes Vergnügen, es sei denn, der eine oder andere Solist verpasst dann doch knapp seinen Einsatz bei der Endlosschleife des Motivs. Wie gut sich der iPhone-SMS-Ton in die Harmonien des Stücks einfügt, durfte man am frühen Freitagabend nach wenigen Takten der Solo-Trommel ebenfalls miterleben. Corona hin oder her, die Erkenntnis daraus wäre: Nicht nur die Lüftung, auch die Akustik des Großen Saals funktioniert tadellos.
Weitere NDR-Konzerte: 20.6., 18 / 20.30 Uhr: NDR Chor mit französischer Barockmusik. 8./9.7. 18.30 / 21 Uhr: Orchesterkonzerte mit Leif Ove Andsnes (Klavier), Semyon Bychkov (Dirigent) und Werken von Grieg und Mendelssohn. Infos: www.elbphilharmonie.de