Hamburg. Müde und uninspiriert: Warum die Kammermusik mit Andreas Ottensamer, Gautier Capuçon und Yuja Wang nicht vollends gelang.
Das Doppelpack-Konzert ist durch die Pandemie geradezu normal geworden: rund eine Stunde Programm, die Leute rauslassen, lüften, die Leute reinlassen, gleiches Programm nochmal. Doch es hat seine Tücken.
Für den Kammermusikabend mit dem Klarinettisten Andreas Ottensamer, dem Cellisten Gautier Capuçon und der Pianistin Yuja Wang wäre weniger womöglich mehr gewesen. Jedenfalls verlieren sich zur Spätausgabe so wenige Menschen im Großen Saal der Elbphilharmonie, dass es einen frösteln könnte.
Was für eine bizarre Szenerie, bei der man die Stimmen der anderen Besucher einzeln wahrnimmt und die Schritte der Saaldiener, das Knarzen der Walkie-Talkies oder auch markige Sprüche von backstage hören kann.
Die paar Zuhörer bereiten ein warmes Willkommen
Die zweisprachige Ansage mit dem üblichen dezenten Hinweis, dass Mobiltelefone, Husten und dergleichen stören würden, kommt aus den riesigen Lautsprechern über der Bühne, die dann auch noch mit vernehmlichem Surren wieder eingefahren werden. Das wirkt angesichts der Umstände surreal. Ist man an diesem Abend doch fast froh über Lebensäußerungen der Mitmenschen.
Jedenfalls scheinen sich die paar, die da sind, innerlich zusammenzuschließen. Sie bereiten den Künstlern ein warmes Willkommen und hören spürbar aufmerksam zu.
Der späte Brahms und sein Klarinettenwerk
Brahms steht auf dem Programm. Später Brahms. Musik, die von der letzten Liebe des Komponisten zeugt. Mit Frauen war es bei ihm ja lebenslang kompliziert, geheiratet hat er nie. Die Liebe seines Lebens war nach allem, was wir wissen, Clara Schumann, vierzehn Jahre älter als er, bedeutende Pianistin und verheiratet mit seinem Förderer und Kollegen Robert Schumann.
Welcher Natur diese Beziehung war, das wird die Nachwelt wohl nie im allerdetailliertesten Detail erfahren. Aber um 1890, als er Clara just mitgeteilt hatte, er werde sich kompositorisch zur Ruhe setzen, becircte ihn „Fräulein Klarinette“. Brahms war so berückt vom Spiel Richard Mühlfelds, Klarinettist der Meininger Hofkapelle, dass er sein kostbares kammermusikalisches Oeuvre in seinen letzten Lebensjahren mit Klarinettenwerken krönte und zugleich vollendete.
Brahms war ein Komponistenleben lang unbarmherzig in seinen Ansprüchen an sich selbst. Die Musik, die auf uns gekommen ist, weil sie seine rabiate Selbstzensur überstanden hat, enthält keinen Ton zuviel, nichts, was er nicht zwingend bräuchte für seine Aussage. Gerade das macht sie so anspruchsvoll. Wer ihr nicht auf den Grund geht, den lässt sie abblitzen.
Ottensamer wirkt müde und uninspiriert
Das ist bei der Klarinettensonate f-Moll an diesem Abend schmerzlich zu erleben. Ottensamer, der in blutjungen Jahren schon Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker wurde und auch als Solist eine glanzvolle internationale Karriere hingelegt hat, wirkt um 21 Uhr schlicht müde, abgespielt, uninspiriert.
Natürlich kann dieser Künstler die hauchzarten Piani blasen, mit denen die Klarinette zuverlässig die Herzen zu brechen pflegt. Aber seiner Gestaltung fehlt es an Artikulation, an Kern. Die Phrasen bleiben sonderbar unverbunden, die Dynamik geht über mezzoforte kaum je hinaus.
Brahms hat dem Klarinettisten zahlreiche Gelegenheiten in die Stimme geschrieben, den Facettenreichtum des Instruments vorzuführen. Er lässt die Klarinette singen, in der Basslage drohen und Ländler tanzen. An diesem Abend bleiben die Charaktere blass.
Wang und Capuçon steigern den Energielevel
Was Ottensamer an Entäußerung, an Hingabe, an Handschrift vermissen lässt, das macht Yuja Wang wett. Das Klavier hat bei Brahms sowieso den monströsesten Part zu spielen. Wang lässt sich von der vollgriffigen, hochkomplexen Faktur nicht im Geringsten den Schneid abkaufen. Sie geht an Grenzen, traut sich was und hält die Verbindung.
Auf der Habenseite dieses Abends stehen Zusammenspiel und Kommunikation zwischen den Musikern. Man merkt ihnen an, dass sie sich mögen und Spaß haben. Als der Cellist Gautier Capuçon für das Klarinettentrio dazukommt, steigt der Energielevel in Summe spürbar an. In dem hinreißenden Wechselspiel der Motive zwischen Cello und Klarinette wirkt auch Ottensamer freier, wenn er auch dynamisch defensiv bleibt.
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Das liegt womöglich auch am Kontrast zum Klang von Capuçons phänomenalem Cello. Ein Programmheft gibt es nicht, aber das Internet sagt, das Instrument ist von Matteo Goffriller, und der war im 17. und 18. Jahrhundert eine der allerfeinsten Adressen des italienischen Geigen- und ganz besonders des Cellobaus. Noch im leisesten Piano in tieferen Lagen, bei den meisten Celli eine Problemzone, ist das Instrument klar und deutlich zu hören.
Brahms' Seelenleben wird nicht spürbar
Capuçon ist ein Starcellist und passionierter Kammermusiker. Was auch immer er tut, ist von vollendeter Beherrschung: Phrasierungen, Tongebung, Temporückungen. Nur wirkt sein Spiel gerade dadurch und in Verbindung mit der klanglichen Dauerbrillanz gelegentlich etwas zu präsent.
Das Klarinettentrio erhält Gestalt und Form in dieser Aufführung. Aber von den unlösbaren Rätseln hinter dem Notentext, in denen so viel von Brahms‘ zerklüftetem Seelenleben liegt, ist wenig zu spüren.