Hamburg. Iris Berben ist seit mehr als 50 Jahren eine der beliebtesten Schauspielerinnen. Ein Porträt über die Patriarchin des deutschen Films.

Sie ist im vergangenen August 70 geworden. Im Grunde völlig unglaublich. Denn das Alter sieht man Iris Berben nicht an. Diese Zahl kann nicht stimmen. Eigentlich verbietet es sich ja, Damen auf ihr Alter anzusprechen. Und schon zu ihrem 65. Geburtstag bügelte Iris Berben unsere Frage, wie sie mit dem Älterwerden umgehe, knapp ab: „Darf ich den Glückwunsch des ,SZ‘-Magazins zitieren? ,Wir gratulieren herzlich und wünschen ihr alles Gute – zum Beispiel, dass sie nie wieder diese immer gleiche unverschämte Frage beantworten muss.“

Gleichwohl stellt sie sich die Frage ja selbst immer wieder. Und nicht erst, seit sie Preise für ihr Lebenswerk erhält. ­„Älter werde ich später“, verkündete sie kämpferisch mit 55. Nicht nur in Interviews. In einem ganzen Ratgeberbuch, das sie geschrieben hatte, über das „Geheimnis, schön und sinnlich, fit und entspannt zu sein“. Da darf man sich nicht wundern, wenn man aufs Alter angesprochen wird.

Und dass es dann zwar später, aber doch irgendwie kam, das hat sie ja auch zugegeben, sieben Jahre später in ihrem Erinnerungsbuch „Ein Jahr – ein Leben“. Es fange damit an, „dass auf jedem Hautöl und auf allen Tropfen, die ich besitze, ,Repair‘ steht. Wenn ich mein Badezimmer betrete, befinde ich mich also in einer Reparaturwerkstatt“, heißt es da ungeschönt. Und dann behauptet sie, inzwischen seien es eigentlich nur noch die Älteren, die sie ansprechen: „Viele von den Jüngeren kennen mich nur noch aus einer Kosmetikwerbung.“

Iris Berben: Die wohl bekannteste Deutsche nach Angela Merkel

Da kokettierte Iris Berben freilich. Sie ist nach wie vor die wohl bekannteste Deutsche nach Angela Merkel. Und bei einer Meinungsumfrage im Vorjahr, wer die beste deutsche Schauspielerin aller Zeiten sei, wurde sie auf Platz zwei gewählt. Nach Romy Schneider. Aber noch vor Marlene Dietrich. Das Alter scheint ihr nichts anhaben zu können. Ganz egal, ob ihr Geheimnis wirklich nur in den drei Litern Wasser täglich besteht, wie sie das oft propagiert, oder doch in der Kosmetik, die sie bewirbt.

Iris Berbens Lebenswerk zählt mehr als 160 Filme – wie hier in „Frau Rettich, die Czerni und ich“ mit Martina Gedeck (l.) und Jeanette Hain
Iris Berbens Lebenswerk zählt mehr als 160 Filme – wie hier in „Frau Rettich, die Czerni und ich“ mit Martina Gedeck (l.) und Jeanette Hain © picture alliance | picture alliance

Ihr Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Filmlandschaft zeigte sich schon allein darin, dass man ihr zu ihrem 70. Geburtstag nicht nur einen, sondern gleich zwei neue Fernsehfilme schenkte, einen in der ARD, einen weiteren im ZDF. Und Berbens besondere Art, mit der neuen Ziffer vor der Null umzugehen, zeigte sich in der schönen Selbstironie, die man aus den Filmtiteln lesen konnte: Der eine hieß „Mein Altweibersommer“, der andere gar „Nicht tot zu kriegen“.

In Letzterem war sie sogar als einstige Filmdiva zu sehen, die nur noch ihre Allüren, sonst aber niemanden hat, die mit ihrem Alter hadert und sich auf dem Sofa ihre alten Filme ansieht. Die Ausschnitte stammten dabei wirklich aus ihren allerersten Filmen.

Als Schauspielerin war sie zunächst nicht anerkannt

Diese Anfänge freilich spielt sie gern herunter. Wie überhaupt einen großen Teil ihrer Karriere. „Ich war in den ersten 20 Jahren meiner Karriere nur ein hübsches Kind“, sagte sie einmal. „Als Schauspielerin hat man mich nicht ernst genommen, ich mich selber ja auch nicht.“ Im Vergleich mit Kollegen, die Schauspielunterricht nahmen und erst mal über Bühnen tingelten, verlief ihre Karriere eher sprunghaft und unkonventionell. Und oft hat sie selbst gedacht: „Da hast du dich aber ganz schön reingemogelt.“ Man kann es auch anders formulieren: Sie ging ihren eigenen Weg.

Iris Berben 1969 in ihrer Wahlheimat Hamburg – damals waren Fransen noch in
Iris Berben 1969 in ihrer Wahlheimat Hamburg – damals waren Fransen noch in © picture alliance | Gewiess

Sie hielt nie mit ihrer Meinung zurück und eckte gerne an, darin eine typische Vertreterin der 68er-Generation. Im Jahr der Studentenbewegung war sie gerade 18 Jahre alt, da war sie schon einmal sitzengeblieben, von mehreren Internaten geflogen, hatte das Abitur geschmissen und sich lieber für die APO engagiert. Sie war da auch schon in ersten Filmen zu sehen gewesen, in Kurzfilmen von Absolventen der Hamburger Kunsthochschule. Und auch schon ein erstes Mal im Fernsehen aufgetreten, 1967 in einem Beitrag der NDR-„Nordschau“ über Blumenkinder: als Blumenverteilerin, in Großaufnahme.

Als sie im Jahr des Aufbruchs und der Proteste nach München zog, drehte sie ihren ersten Kinofilm. „Detektive“ unter der Regie von Rudolf Thome. Neben Uschi Obermaier, und irgendwie auch auf diesen Typ besetzt. Sie wird in dem schrägen Schwarz-Weiß-Film nackt in einer Badewanne gefoltert und muss den Satz sprechen: „Ich kann doch nicht mit jedem Mann schlafen, der mir gefällt.“ Vom Gesicht her ist sie schon ganz klar Iris Berben, von der Stimme her nicht. Sie spricht noch viel höher, man möchte sagen: mädchenhafter. Ihre Tonlage musste sie erst noch finden.

1970 war sie dann in Thomes „Supergirl“ zu sehen

Um 1970 war sie dann auch in Thomes „Supergirl“ zu sehen, in „Stehaufmädchen – Liebe in der APO“, dem einzigen Film von Willy Bogner, der nichts mit Skifahren zu tun hatte, und sogar in einem Italo-Western von Sergio Corbucci, „Zwei Companeros“ neben Jack ­Palance und Franco Nero. Es war die Zeit, in der sie gern auf ihr Äußeres reduziert wurde, als sie freizügig und unverklemmt für den „Playboy“ posierte. Eine Zeit, in der sie, wie sie das selbst mal bezeichnet hat, in der „Sextüte“ steckte.

Iris Berben 1977 mit ihrem Sohn Oliver, der später als Produzent selbst in der Filmbranche Karriere machte
Iris Berben 1977 mit ihrem Sohn Oliver, der später als Produzent selbst in der Filmbranche Karriere machte © picture alliance | Istvan Bajzat

Richtig bekannt wurde sie aber erst 1978, neben Ingrid Steeger in „Zwei himmlische Töchter“ – Nonsens-Filme von Michael Pfleghar, der zuvor mit „Klimbim“ die Comedy aus den USA importiert hatte. Plötzlich war sie nicht mehr nur die Schöne, sie zeigte auch komisches Talent. In Zeiten des Autorenkinos und des Neuen Deutschen Films war das ein radikaler Bruch. Regisseure riefen reihenweise an und beschimpften sie, sagten, sie würden nie wieder mit ihr drehen, und ihre Karriere könne sie ohnehin vergessen. Iris Berben aber ließ sich nicht beirren.

Und hat, als Beatrice Richter aus der Sketche-Show „Sketch­up“ ausscheiden musste, an ihrer Stelle weitergemacht – und an der Seite von Diether Krebs ein Millionenpublikum erreicht. Die Sketche werden heute noch wiederholt. Und sind immer wieder gern gesehen. Die Berben konnte damit beweisen, dass sie nicht nur schön war, sondern auch, dass sie spielen kann. Dass sie verschiedenste Figuren in nur wenigen Momenten zeichnet. Und nicht nur das komödiantische Fach beherrscht, sondern auch mal Mut zur Hässlichkeit zeigt.

Die Lust am Aufbegehren

Das Schicksal einer Ingrid Steeger oder einer Beatrice Richter freilich blieb ihr erspart: nur als „Ulknudel“ erinnert zu werden. Auch in „Das Erbe der ­Guldenburgs“ war sie mit dabei, die deutsche Antwort auf „Dallas“, und sie quasi die Sue Ellen der Produktion, die unter ihrem fiesen Gatten litt und soff. Mochte die Hochkultur auch die Nase rümpfen über den Mainstream – das Publikum hatte Iris Berben längst auf ihrer Seite.

Die Lust am Aufbegehren, am Provozieren zeigte sich auch, als sie 1992 in Thomas Gottschalks wöchentlicher Liveshow „Gottschalk“ ihr Publikum schockte: mit dem Outing, als Mann geboren zu sein. Die Regenbogenpresse stürzte sich umgehend auf den vermeintlichen Skandal. Erst eine Woche später klärte der Showmaster auf, dass diese Sendung vom 1. April ein einziger Aprilscherz und jener Auftritt ein Fake gewesen sei. Iris Berben hatte sofort zugesagt. Bei ihr war mit allem zu rechnen. Und das Publikum schien ihr offenbar auch alles zuzutrauen.

Dennoch hatte sie in den 80er-, 90er-Jahren, wie sie selbst zugab, „eine Phase, da war ich ein bisschen bequem geworden und habe mich nicht mehr so gekümmert. Das Gefühl, das von außen herangetragen wurde, war: Macht sie noch einen Film? Und wenn ja, unterscheidet der sich von den anderen?“ Der große Befreiungsschlag aber wurde dann die Krimireihe „Rosa Roth“, mit der sie sich von 1994 an freispielte, als eine der ersten Kommissarinnen der TV-Landschaft. Mit damals schon 44 Jahren, einem Alter, in dem Frauen im Filmbusiness, so das Vorurteil in jenen Jahren, kaum noch Rollen angeboten werden, schon gar keine guten. „Rosa Roth“ war eine sehr gute. Damit wurde die Berben endlich auch als dramatische Schauspielerin erkannt.

19 Jahre lang in der Rolle der Kommissarin Rosa Roth

Freilich wurde ihr diese Rolle nicht einfach angeboten. Sie hat sie mitkonzipiert. Mit ihrem Sohn Oliver, der die Folgen produzierte. Und mit Carlo Rola, der sie inszenierte. Gemeinsam setzten sie eine Marke. Und verteidigten sie auch. 19 Jahre lang hat Berben diese Kommissarin gespielt. Und ist mit und an ihr gewachsen.

Iris Berben in „Afrika, mon amour“. Die Schauspielerin stürzte bei Dreharbeiten
in Kenia vom Pferd und verletzte sich am Knie.
Iris Berben in „Afrika, mon amour“. Die Schauspielerin stürzte bei Dreharbeiten in Kenia vom Pferd und verletzte sich am Knie. © picture alliance | DB MOOVIE

Rola wurde dabei zu einem Komplizen und langjährigen Leib-und-Magen-Regisseur. Er hat sie, wie sie selbst bekannte, aus einem „Dornröschenschlaf“ geweckt, hat sie auch in anderen großen TV-Dramen besetzt und gefordert. Als eigenständige, resolute Unternehmerin in „Die Patriarchin“ oder „Afrika, mon amour“ oder auch in einer Reihe von Neuverfilmungen der Romane von ­Johannes Mario Simmel, einem engen Freund von Iris Berben.

Plötzlich war sie die Frau für alles, schien einfach alles spielen zu können. Nach wie vor auch schenkelklopfende Komödien wie „Rennschwein Rudi Rüssel“ oder „Kondom des Grauens“. Sie konnte aber auch als drogensüchtige Prostituierte in „Der Solist“ schockieren, als Ex-Terroristin in „Es kommt der Tag“. Oder als Bundeskanzlerin mit deutlichen Merkel-Anleihen in „Die Eisläuferin“.

Iris Berben begab sich immer wieder auf Glatteis

Ein schöner Titel. Eine schöne Metapher auch für Iris Berben, die sich immer wieder auf Glatteis begab, sich auf ungesichertes Terrain wagte, um bloß nie auf Nummer sicher zu gehen. Und dabei nicht nur Balance gewann, sondern sich immer selbstsicherer bewegte und freitanzte.

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Und längst ist sie ja nicht nur Schauspielerin. Sie nutzt ihre Bekanntheit und Popularität auch dafür, sich im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und für die Versöhnung mit dem Staate Israel zu engagieren. So wurde sie eine Stimme der Vernunft, ja des Gewissens, das ihr noch einmal ganz andere Anerkennung einbrachte. Und viele Auszeichnungen, wie den Leo-Baeck-Preis oder das Bundesverdienstkreuz.

Iris Berben als Vera Eckhoff in „Altes
Land“
Iris Berben als Vera Eckhoff in „Altes Land“ © ZDF | Christine Schroeder

Und dann kam 2010 noch mal eine ganz andere Ehrung. Als sie Präsidentin der Deutschen Filmakademie wurde. Sie war damit plötzlich so was wie die Pa­triarchin der Filmindustrie. Aber auch die Mutti ihrer eigenen Branche. Jener Zunft, die sie so lange nicht ernst genommen hat. Auch da greift wieder die Metapher der Eisläuferin. In das Amt ist sie eher reingerutscht, zunächst bekleidete sie es noch zusammen mit Bruno Ganz, der es aber schon bald ablegte. Plötzlich stand sie allein auf dem Eis. Musste wieder lernen, sich darauf zu bewegen. Und wuchs in dieses Amt hinein, das sie bis 2019 bekleidete, nutzte es ebenfalls, um ihre Stimme zu erheben.

Über ihr Privatleben gibt Iris Berben nur wenig preis

Iris Berben 2016 im schwarzen Kleid beim Lola Award
Iris Berben 2016 im schwarzen Kleid beim Lola Award © Getty Images | Franziska Krug

Wenig dagegen gibt die Schauspielerin von ihrem Privatleben preis. Wenig von ihrer Mutter, die mit ihr, als sie vier war, den Vater im westfälischen Detmold verließ und nach Portugal zog, als sie zwölf war. Wenig über die Jahre bei den Großeltern und auf den Internaten. Wenig über ihre Lebensgefährten. Nichts über ihren Selbstmordversuch mit 19. Und nie etwas über den Vater ihres Sohnes Oliver, den sie allein aufgezogen hat und der ihr ein Rettungsanker in dieser Zeit wurde.

Das Film-Gen steckt wohl im Blut. Längst arbeitet Oliver Berben in der Filmbranche, nicht vor, sondern hinter der Kamera, als einer der erfolgreichsten Produzenten des Landes. Und die beiden verstehen sich auch beruflich hervorragend. Immer wieder produziert er auch Filme für seine Mutter, mit denen sie ihr Publikum überraschen, eine neue Facette zeigen und ihre ganze Bandbreite unter Beweis stellen kann. Auch der bessere der beiden Geburtstagsfilme zum 70., „Nicht tot zu kriegen“, war eine Berben-Berben-Produktion.

Und wie gut die zwei harmonieren, zeigte sich wohl auch gerade in der Freiheit, wie die Berben in dem Film als überspannte Mutter ein desaströses Verhältnis zu ihrem kläglichen Sohn pflegt.

Blickt sie eigentlich zurück?

Manchmal, das hat Iris Berben auch schon 2012 in ihrem Buch verraten, wundert sich die Schauspielerin, „dass ich da bin, wo ich bin“. Als sei das alles nur zufällig passiert, eine Frage des Glücks und nicht des Talents. Dabei ist es natürlich die Persona Iris Berben, die diese Karriere erst möglich gemacht hat. Dieses Selbstbewusstsein, als Schauspielerin wie als Mutter ihren eigenen Weg zu gehen.

Willkommen in Hamburg: Iris Berben vor dem Hotel Atlantic. Als Schauspielerin weiß sie natürlich, wie man für Fotos posiert.
Willkommen in Hamburg: Iris Berben vor dem Hotel Atlantic. Als Schauspielerin weiß sie natürlich, wie man für Fotos posiert. © Reto Klar | Reto Klar .

Immer wieder auch mit Erwartungen zu brechen und Neues auszuprobieren. Sie ist noch immer bestens im Geschäft. Und straft alle Klischees Lügen, dass man als Frau ab einem gewissen Alter keine Rollen mehr erhält. Sie plagt eine ganz andere Angst: „Ich will aufpassen, nicht einfach Filme zu drehen, die nur gedreht werden, weil die Hauptdarstellerin Iris Berben heißt“, bekundete sie erst jüngst. „Ich will meine innere Messlatte hochhalten.“ Diese Freiheit hat sie sich, wie nur wenige ihres Fachs, hart erarbeitet.

Blickt sie eigentlich zurück? Sitzt sie manchmal auch, wie ihre exaltierte Filmdiva in „Nicht tot zu kriegen“, wehmütig auf dem Sofa, um sich ihre alten Filme und Serien anzuschauen? „Überhaupt nicht“, kontert sie vehement. Sie habe das zum ersten Mal getan, als es darum ging, Ausschnitte für jenen Film auszuwählen.

Und wie sich herausstellte, war das wegen der Rechte ziemlich teuer, die Szenen zusammenzubekommen. Als sie sie sah, hatte sie viele Bilder gar nicht mehr präsent gehabt. „Bei manchen Sachen bin ich ein bisschen zusammengezuckt“, wie sie zugibt. „Bei anderen dachte ich: Ah, ist doch gelungen.“