Hamburg. Die Schauspielerin spricht über Heimat, alte Freunde und ihre Verbindung zu Hamburg - für sie die schönste Stadt in Deutschland.

Sie wurde 1950 in Detmold geboren, machte Karriere in München und lebt heute in Berlin – aber Hamburg ist im Herzen von Iris Berben tief verankert. Hier wuchs die Schauspielerin auf, hier verbrachte sie prägende Jahre – und kehrt immer wieder gern zurück.

Liebe Frau Berben, konnten Sie 2020 überhaupt arbeiten?

Iris Berben: Ich fühle mich privilegiert, denn ich konnte tatsächlich noch zwei große Produktionen machen und habe gelernt, wie man das mit sehr viel Disziplin stemmen kann, wenn alle mitmachen. Es war auch ein Signal an unsere Branche, dass wir trotzdem unseren Beruf ausüben können.

Ich habe keinen Grund, in irgendeine Larmoyanz zu verfallen. Aber natürlich ist jeder Mensch eingeschränkt, der aktiv, neugierig und wach ist. Bald habe ich alle Bücher durch, die ich mir in den vergangenen Jahren hingelegt hatte, um sie zu lesen. Ich bin beim Streaming weit vorn, aber ich führe auch sehr schöne Telefonate mit wenigen guten Freunden, meinem Partner und meiner Familie. Ich hoffe, dass wir das alle bald gemeinsam rocken.

Bleiben Sie optimistisch?

Iris Berben: Ja. Was wir brauchen, ist Geduld. Mit der Impfung wird man ja nicht gleich einen Schalter umlegen können, und alles ist wieder wie früher. Das glaube ich sowieso nicht. Ich denke, dass diese Krise vielen Menschen zeigt, dass man neue Wege finden und die alten verlassen muss. Viele Forderungen, die schon gestellt wurden, dulden keinen Aufschub mehr.

Viele werden sich jetzt fragen: Was fange ich wirklich mit meinem Leben an? Höher, weiter, schneller? Viele Menschen werden mit dem unverschuldeten Zusammenbruch ihrer Existenz leben müssen. Trotzdem schaue ich eher optimistisch in die Zukunft, das ist für mich ein Antrieb. Wenn der nachlässt, lässt auch das Gehirn darin nach, weiter nach Wegen zu suchen. Das ist wichtig.

Die Abendblatt-Collector’s-Edition steht in einer Reihe von Magazinen über Menschen, mit denen Sie im Lauf Ihrer langen Karriere schon zu tun hatten, oder?

Iris Berben: Ja. Karl Lagerfeld hat mich für die „Vogue“ fotografiert. Für Udo Lindenbergs allerersten Film wurde ich gecastet, habe aber die Rolle nicht bekommen. Wir laufen uns ständig über den Weg. Mit Jan Fedder hatte ich das Glück, einen Film drehen zu können. Und John Neumeier kenne ich auch schon viele Jahre. Das ist ein gutes Umfeld. Da fühle ich mich sehr wohl.

Ihr Weg hat Sie schon früh nach Hamburg geführt. Was war da los?

Iris Berben: Geboren bin ich in Detmold. Mit vier oder fünf Jahren bin ich mit meiner Mutter nach Hamburg gezogen. Wir haben zuerst in Farmsen gelebt am Berner Heerweg. Die andere Wohnung war am Rugenbarg 114, das ist in Osdorf. Adressen vergisst man nicht. Meine Volksschule war in Blankenese, direkt gegenüber der Führungsakademie. Da war auch eine Kindertagesstätte, in die mich meine Mutter gegeben hat. Sie war alleinerziehend, nachdem sie von meinem Vater geschieden war. Es war ein katholischer Kinderhort. Meine ersten schauspielerischen Auftritte hatte ich im Kindergarten und der 1. Klasse.

Davon habe ich gerade noch Fotos gefunden. Ich bin dann zum Gymnasium in die Sophie-Barat-Schule gegangen und war gleichzeitig im Sacré-Cœur-Internat untergebracht. Damals wurden dort nur Mädchen unterrichtet. Es waren wohl nur 20 Schülerinnen und 25 Nonnen. Da war ich etwa drei Jahre, bis zu meinem Rauswurf. Die nächsten Internate waren dann in St. Peter-Ording und in Plön. Als ich auch die verlassen musste, war ich wieder in Hamburg. Da habe ich in Blankenese im Studentenwohnheim gelebt und bin dort noch einmal zur Schule gegangen. Dann bin ich in die Studentenszene der 68er reingerutscht.

Sie haben sich selbst mal als ein anstrengendes Kind beschrieben. Sie sollen vorlaut gewesen sein, kamen oft zu spät, sind abgehauen. Woher kam das Rebellische in Ihnen? Haben Sie sich etwas erhalten können?

Iris Berben: Ich habe mir davon etwas erhalten. Ich bin in einem Frauenhaushalt aufgewachsen. Meine Mutter hat zwar noch einmal geheiratet, aber da war ich schon in den Internaten. Ich bin dann zum Teil auch bei meinen Großeltern aufgewachsen. Meine Mutter und ihre Mutter waren für ihre Zeit extrem selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen. Meine Großmutter hatte sieben Kinder. Sie hat mir einen Alltag vorgelebt, der überhaupt nicht bigott war, obwohl sie sehr katholisch war. Sie stand mitten im Leben und liebte es.

Bei meiner Mutter habe ich das auch gespürt. Vielleicht wollte ich raus aus Erwartungshaltungen und Regeln, die andere gesetzt hatten. Ich bin mal zu einer der Nonnen in Sacré-Cœur gegangen, weil ich etwas nicht verstanden hatte. Sie hat zu mir gesagt: Du musst nicht verstehen, sondern glauben. Das konnte ich nie. Ich muss Dinge begreifen.

Sie sind damals auch durch eine Aufnahmeprüfung gefallen, weil Sie große Prüfungsangst hatten. Hat sich das gelegt?

Iris Berben: Nö. Ich habe den Film „Es kommt der Tag“ gemacht. Da war ich so verliebt in das Drehbuch, dass ich Probeaufnahmen gemacht habe. Die Rolle habe ich dann auch bekommen, aber ich gehe mit diesen Situationen sehr unsouverän um. Das ist natürlich ein Widerspruch, denn unser ganzer Beruf hat ja mit Druck zu tun.

Man macht ihn sich ja auch selbst, um der Sache gerecht zu werden, es gut zu machen, es nicht zu versemmeln. Ich habe bei Prüfungen immer das Gefühl gehabt: Ich bin nicht so, wie ich sonst sein könnte. Ich habe diese Angst immer noch, gehe aber anders damit um. Ich bereite mich so gut es geht vor, und wenn es dann nicht ist, dann ist es eben nicht.

Die Szene in der Kunsthochschule am Lerchenfeld war sehr politisch. Waren Sie das damals auch?

Iris Berben: Dort wurden die Demonstrationen organisiert. Dort war der Sozialistische Studentenbund (SDS). Für mich hatte das aber damals noch etwas Spielerisches. Nach den vielen langen Jahren in Internaten war das plötzlich ein Geruch von Freiheit. Die Kunsthochschule war ein guter Weg, um aus den Erfahrungen herauszukommen. Ich habe vieles politisch noch nicht so erkennen können, aber ich habe gelernt, wie man sich aus Verkrustungen befreit. Da haben diese Hochschule und Hamburg meinen späteren Weg bis heute geebnet.

Welche Farben haben diese Erinnerungen für Sie heute?

Iris Berben: Knallrot. Ich denke gern daran zurück, weil ich vieles gelernt habe. Es war die Zeit vor der Radikalisierung. Es war ein Stück Zeitgeschichte. Wir wollten die Menschen in die Verantwortung bringen, die am liebsten nahtlos in eine neue Zeit gegangen wären. Wir wollten Verantwortung übernehmen für unsere Geschichte. Die Institutionen haben damals jede Form von Nachfragen und Nachhaken unterdrückt. Ich habe zu der Zeit auch erste Blicke in künstlerische Berufe werfen können. Kann man mit Kunst etwas verändern?

Ich wohnte damals mit zwei homosexuellen Jungs zusammen. Das war einfach eine sichere Bank. Wir haben experimentelle Filme gemacht. Seinerzeit hat mich der damalige Kritikerpapst Uwe Nettelbeck in kleinen Produktionen gesehen. So hat mein Weg angefangen. Auch Randale haben wir natürlich nicht ausgelassen. Ich war in einen Kunstskandal verwickelt und erschien damals erstmals im Magazin „Spiegel“, weil eine große Kunstausstellung mit Brigitte Bardot und Peggy Guggenheim stattfinden sollte. Ich habe mich als die Guggenheim ausgegeben und locker mit dem Bürgermeister parliert. Ich war erst 18, sie gut 50 Jahre älter. Wir haben versucht, mithilfe von Kunst die Welt anders zu gestalten.

Uwe Nettelbeck war der Vater der Regisseurin Sandra Nettelbeck, oder?

Iris Berben: Genau. Ich habe sie später zufällig beim Einkaufen getroffen. Sie wusste, dass er mich in zwei Kurzfilmen gesehen hatte und eine Hauptdarstellerin für einen Film in München suchte. Ich habe mich zuerst ihm gegenüber sehr rotzig verhalten, wie das wohl überhaupt so meine Art war. Ich dachte, da will sich jemand wichtigtun, bis meine Freunde mich darüber aufklärten, wer das war. Eben der Papst. Auch für diesen Teil der Karriere war also Hamburg der Start.

Gehen Sie zu Klassentreffen?

Iris Berben: Überhaupt nicht. Ich habe noch eine Freundin aus dem Internat in Plön. Ich bin nicht so ein Mensch, der solche Erinnerungen aufrechterhält. Wenn ich in Hamburg war, habe ich mich aber immer mal in Sacré-Cœur gemeldet. Die Veränderungen dort habe ich mitbekommen, auch dass die Sophie-Barat-Schule geschlossen werden sollte. Ich bin aber jemand, der immer eher nach vorn blickt.

Vor Kurzem sind Sie in den Norden zurückgekehrt. Man konnte Sie in der Verfilmung von Dörte Hansens Roman „Altes Land“ ­sehen, ganz anders als sonst, in einem mutigen Look.

Iris Berben: Regisseurin Sherry Hormann und ich haben vorher lange darüber geredet, wie man aus diesem wunderbar vielschichtigen Roman ein Drehbuch machen kann. Es gab viele Kämpfe mit den Verantwortlichen. Mir haben dieser Film und dieses Stück Geschichte, das über die Frauen erzählt wird, sehr gefallen.

Auf die Frage, ob es schwer gewesen sei, Sie für diese Rolle auf ein Pferd zu bekommen, hat die Regisseurin geantwortet: „Überhaupt nicht. Sie ist eigentlich ein Cowgirl.“ Fühlen Sie sich da adäquat beschrieben?

Iris Berben: Finde ich schon. Das ist mir nicht ganz neu gewesen. Ich habe meine ersten internationalen Filmerfahrungen mit Spaghetti-Western von Sergio Corbucci wie „Lasst uns töten, Companeros!“ gemacht. Auch da musste ich auf ein Pferd. Das ist wirklich ein wunderbarer Sport. Ich bin zwar keine gute Reiterin, aber ich habe keine Angst, sondern Lust.

Im Laufe der 54 Jahre Arbeit für Film und Fernsehen habe ich immer wieder reiten können. In Afrika habe ich mir bei einem schweren Sturz Kreuzband und Meniskus gerissen und musste mit Krücken weiterdrehen. Habe ich aber gemacht, obwohl viele dachten, wir brechen jetzt ab. Cowgirl trifft es also.

Hark Bohm hat einmal erzählt, dass Sie ihn telefonisch zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft bei der Deutschen Filmakademie einladen wollten. Aber er hat Sie zuerst nicht erkannt?

Iris Berben: Das war wirklich witzig. Als ich noch Präsidentin der Akademie war, hatte ich immer die schöne Aufgabe, die Sitzungen für den Ehrenpreis zu leiten. Ich habe mich immer wirklich gefreut, das verkünden zu dürfen. Er dachte zuerst, da spielt ihm jemand einen Telefonstreich. Als er es dann endlich begriffen hat, war es so schön! Als er es richtig wahrgenommen hat, war er hinreißend. Ich habe mit seinem verstorbenen Bruder Marquard einige Filme gemacht, bevor ich Hark kennenlernte. Ich mag es, wenn man knorrige Typen an eine Stelle bekommt, die man aufbrechen kann.

Die Präsidentschaft haben Sie sich mit Bruno Ganz geteilt. Aber er hat sich dann stark zurückgehalten, oder?

Iris Berben: Das hat sich so entwickelt. Ich habe überhaupt nur den Mut gehabt, die Aufgabe anzunehmen, weil Bruno zu dieser Kombination Ja gesagt hat. Damit hat er mich überrascht und glücklich gemacht. Ich habe gedacht, wenn dieser großartige Mensch und Schauspieler zusagt, sage auch ich: Das mache ich. Bruno war niemand, der in der Öffentlichkeit für irgendwelche Belange nach vorn ging. Er war schüchtern und zurückhaltend. Schon nach einem Jahr war ich da meist alleine. Aber wir haben immer wieder miteinander telefoniert. Er war einer der wunderbarsten Menschen, die mir begegnet sind. Ich war auch bei seiner Beerdigung.

Wussten Sie, dass er kurz nach seiner Einschulung wegen „obstinaten Aus-dem-Fenster-Schauens“ wieder nach Hause geschickt worden ist?

Iris Berben: Hahaha. Das passt doch wunderbar. Ist das nicht ein wunderschöner Grund? Ich finde so etwas herrlich.

Auf Ihrer Homepage kann man lesen, dass Sie in „Triangle of Sadness“ des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund mitspielen wollen. Konnten Sie den noch drehen?

Iris Berben: Den habe ich in Griechenland abgedreht. Angefangen haben wir in Schweden. In Skandinavien waren wir mit 250 Komparsen in einem Studio wie unter einer Glocke. Die Hotels und Restaurants waren offen. Es kam mir vor wie eine verkehrte Welt.

Östlund ist zurzeit einer der interessantesten europäischen Filmemacher, oder?

Iris Berben: Was für ein Typ! Nach 50 Jahren Dreh habe ich bei ihm dagestanden, als könnte ich nichts. Ich musste ganz neu denken.

Wie lässt sich Ihr Verhältnis zu Hamburg zusammenfassen?

Iris Berben: Es ist und bleibt die Stadt, in der ich groß geworden bin und in die ich auch immer so gern zurückkehre. Ich konnte vor Kurzem noch in der Elbphilharmonie eine Lesung machen. Hamburg hat Schiffe, Hafen, Fremdes, anderes. Das gibt ihr Weitblick. Hamburg ist in Deutschland die schönste Stadt. Wie die Hansestadt es schafft, die Moderne und die Tradition unter einen Hut zu bekommen, finde ich großartig. Hamburg tut dem Auge richtig gut.