Hamburg. Iris Berben weiß um die „Müdigkeit vieler“, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen. Umso wichtiger, dass man es trotzdem tut.

Am 9. November strahlt das ZDF den Film „Das Unwort“ aus, eine sehr bittere Komödie über Antisemitismus an deutschen Schulen – und ein aktueller Beitrag zum historischen Datum. Das Thema ist eines, mit dem sich die Leo-Baeck-Preisträgerin Iris Berben schon sehr lange beschäftigt. Ein Telefonat mit der Schauspielerin, die derzeit unter Quarantäne-Bedingungen in Griechenland dreht, über Verantwortung, Frustration und die Fragilität unserer Demokratie.

Am 9. November wird ihr Film „Das Unwort“ gesendet. An dem Tag gab es in den letzten Jahren vor allem Mauer- und Wiedervereinigungsfilme. Ist es wichtig, dass jetzt ein Film auch wieder daran erinnert, dass am 9. November noch etwas anderes geschehen ist in der deutschen Geschichte?

Absolut. Auch die Pogromnacht ist ein Teil unserer geschichtlichen Biographie. Trotz der großen Freude über die Wiedervereinigung sollte man das nicht vergessen. An solch gebündelten Daten sieht man ja auch erst, wie nah das beieinanderliegt. Wir merken doch alle, dass unsere Gesellschaft sich wieder in diese Richtung entwickelt, dass bestimmte Mechanismen, die man längst für überwunden gehalten hat, doch wieder greifen. Es gibt derzeit viele Menschen, die verunsichert sind, die sich – sicher auch mit Recht – allein gelassen fühlen, da entsteht ein Vakuum für rechtes Gedankengut und Menschenfänger, die da ihre Beute wittern. Insofern ist es ganz besonders wichtig, dass wir immer wieder an diese Zeit erinnern, dass wir diese Reflexion nicht vergessen.

Auch 75 Jahre nach Kriegsende zählt das Wort „Jude“ noch immer zu den häufigsten Schimpfwörtern. Und dieser Film wagt es, eine Komödie zu machen über reale Missstände an deutschen Schulen, die wirklich nicht zum Lachen sind. Wie schwierig war es, da die Balance zu halten?

Als ich das Drehbuch von Leo Khasin las, war mein erster Gedanke auch: Der traut sich was. Aber ja, da traut sich jemand vor allem, auf eine komplizierte Frage keine einfache Antwort zu geben. Er traut sich sogar, uns alle in die Verantwortung zu zwingen. Im ganzen Film gibt es ja keine Figur, die von ihrem Verhalten freigesprochen wird. Und ich finde, das hilft sehr, unsere eigenen Vorurteile zu überprüfen. In „Das Unwort“ wird das Thema mit einer Leichtigkeit behandelt, die dennoch nichts von der Schärfe und von der Dramatik nimmt. Sie haben natürlich recht: Das ist ein dünnes Eis, auf dem man sich da bewegt. Aber ich finde, das ist gelungen. Es ist ein Film, der anregt, der ein Thema anspricht – auf humoristische Weise, bei der einem gleichwohl das Lachen im Halse stecken bleibt. Ich finde, das ist ein kluger Weg. Wir wissen ja auch von der Müdigkeit vieler Menschen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Sie engagieren sich seit vielen Jahren gegen Ausgrenzung und Antisemitismus, für die Aussöhnung mit Israel, sind dafür auch ausgezeichnet worden. Dennoch nimmt der Antisemitismus in Deutschland immer mehr zu. Frustriert es Sie, dass das Bemühen um Aussöhnung nicht fruchtet?

Es frustriert mich nicht, aber es schmerzt mich, dass eine Bewegung so laut werden kann und so laut wahrgenommen werden kann. Ich bin fest überzeugt, dass der Großteil unserer Gesellschaft sich nicht damit identifiziert. Aber da gibt es so eine Nachlässigkeit: Man selbst gehört ja nicht dazu, man weiß ja, wo man steht. Ich denke, das reicht nicht mehr. Dieser medialen Aufmerksamkeit, die diese lauten Stimmen bekommen, müssen wir entgegentreten. Wir als Gesellschaft können uns nicht mehr länger in unserer Selbstsicherheit zurücklehnen. Wir müssen dagegen angehen. Und da muss man auch die Politik in die Verantwortung nehmen. Manchmal hat man ja fast das Gefühl, Übergriffe werden fast wie ein Kavaliersdelikt behandelt. Es wurde jedenfalls nicht schon sehr früh mit dem nötigen Ernst eingegriffen. Man hat dem schon viel zu viel Raum gewährt, dass sich so ein Denken ausbreiten konnte. Wir sind da alle gefordert, die Politik, die Rechtsprechung, aber auch wir alle als Teil dieser Gesellschaft.

Der Anschlag in Halle ist ein Jahr her. Wie weit war die Filmproduktion damals? Und hat das irgendwie in die Arbeit mit hineingewirkt?

Die Dreharbeiten waren schon beendet. Aber es gab auch davor immer schon Übergriffe. Immer wieder entfacht dann eine Diskussion, wie sehr man sich davon distanziert. Und was alles noch geschehen muss. Aber letztlich hat man das Gefühl, es ändert sich nichts. Vielleicht muss man da ganz neue Wege finden. Vielleicht muss man auch eine andere Sprache finden, gerade um Jugendliche zu erreichen. Wenn „Jude“ ein Schimpfwort auf dem Schulhof ist, und wir wissen alle, dass das der Fall ist, dann wäre das eigentlich auch ein Ansatz für Lehrkräfte im Unterricht, dieses Thema ganz individuell aufzubereiten. Es gibt aber halt auch Lehrkörper, die haken manche Themen einfach ab und sind auch froh, wenn die vorbei sind. Und das kriegen Schüler dann natürlich mit. Da müssen an vielen verschiedenen Ecken neue Zugänge gefunden werden, zu einer Thematik, die viele als erledigt oder gar als lästig empfinden. Mit der wir uns aber einfach immer wieder auseinandersetzen müssen.

Auch Corona-Gegner protestieren Schulter an Schulter mit Reichsbürgern und Faschisten. Da kommt es zu merkwürdigen Allianzen. Hält unsere Demokratie das aus?

Ich bin immer wieder fassungslos, wenn ich diese Demonstrationen sehe, wo Menschen zusammen marschieren, die ideologisch nicht weiter voneinander entfernt sein könnten. Unsere Demokratie hält das aus. Aber wir dürfen sie auch nicht als etwas Selbstverständliches betrachten. Das war auch mal meine Ansicht, dass wir in einer felsenfesten Gesellschaftsordnung leben. Nein, eben nicht. Aber Demokratie ist etwas sehr Schützenswertes. Und leider auch sehr Fragiles, das war mir früher nicht bewusst.

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