Hamburg. Starkoch Tim Mälzer und weitere Gastronomen richten sich an die Kanzlerin. Betriebe würden erneute Schließung nicht überleben.

Die Maßstäbe haben sich rasant verschoben: Dass am Dienstag „nur“ 300 neue Corona-Fälle in Hamburg registriert wurden und die Zahl der Infektionen im Vergleich zum Vortag (339 Fälle) nicht weiter stieg, sorgte in den Behörden bereits für einen Hauch von Erleichterung.

Die großen negativen Trends setzen sich dagegen fort. So stieg die Sieben-Tage-Inzidenz auf 102,5. Immer stärker sind ältere Menschen von Covid-19 betroffen. Zudem hat sich die Zahl der Patienten in den Kliniken seit vergangener Woche verdoppelt.

Derzeit benötigen 140 Corona-Patienten in Hamburg stationäre Behandlung, 30 davon liegen auf einer Intensivstation. Die Zahl der Todesfälle liegt unverändert bei 241. Die stellvertretende Senatssprecherin Julia Offen betonte in der Landespressekonferenz, dass man „in den kommenden ein bis zwei Wochen“ mit weiter steigenden Patientenzahlen in den Krankenhäusern rechne.

Corona-Geschehen wird immer schwerer nachvollziehbar

Gleichzeitig wird das Geschehen für die Behörden immer schwerer nachvollziehbar. Von den 300 aktuellen Infektionen konnte bisher nur in 19 Fällen ermittelt werden, wo sich die Betroffenen angesteckt haben könnten. Hierbei habe es sich um eine Reiserrückkehrerin und 18 private Zusammenkünfte und teilweise wohl auch kleinere Feiern gehandelt, sagte Offen.

„Bei den übrigen 281 Fällen wissen wir es nicht. Da können sich auch die Menschen nicht richtig erinnern, wo sie sich die Infektion hergeholt haben könnten.“ Gleichzeitig steigt die Zahl der Anrufer mit Corona-Symptomen beim Arztruf 116 117 weiter an – zuletzt kam jedoch nur noch jeder Dritte durch. Am Freitag war es noch die Hälfte gewesen.

Wie am Nachmittag mitgeteilt wurde, geht ein wesentlicher Teil der aktuellen Infektionen auf einen mutmaßlichen Ausbruch im Ankunftszentrum für Flüchtlinge in Rahlstedt zurück. Dort hat es bislang 70 bestätigte Fälle gegeben, nachdem in der vergangenen Woche die ersten Asylbewerber positiv getestet worden waren. Da auch bei der Erstaufnahme in dem Zentrum bereits Covid-19-Abstriche genommen werden, haben sich die Betroffenen sehr wahrscheinlich erst in Hamburg angesteckt. Alle Infizierten wurden in den Quarantäne-Standort am Neuen Höltigbaum gebracht.

59 Neuinfektionen an 41 Hamburger Schulen

Auch unter Schülern und Lehrern verbreitet sich das Virus mit steigender Geschwindigkeit. Nach 73 Fällen am Wochenende wurden am Montag 59 Neuinfektionen an 41 Hamburger Schulen gemeldet – davon 49 Schüler sowie zehn Schulbeschäftigte. „In der Regel handelt es sich um einzelne Infektionen“, teilte die Schulbehörde mit. „Nach jetzigem Informationsstand waren viele der betroffenen Schülerinnen und Schüler zuvor nicht in der Schule.“

Unterdessen kämpfen auch die Gastronomen dafür, ihren Betrieb aufrechterhalten zu dürfen. Der Hamburger Starkoch Tim Mälzer, Gastronomin Yvonne Tschebull und Stephan von Bülow, Geschäftsführer der Eugen Block Holding, gehören zu den Unterzeichnern eines Brandbriefs an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der sich vor ihrem Treffen mit den Regierungschefs der Länder am Mittwoch gegen einen „Lockdown light“ mit einer möglichen erneuten Schließung von Restaurants richtet.

Stadt beteiligt sich an Not leidenden Firmen

„In der aktuellen zweiten Welle der Corona-Pandemie war die Gastronomie nie ein Infektionsherd“, heißt es darin. Weitere Einschränkungen seien deshalb unverhältnismäßig. Zudem würden sehr viele Betriebe eine erneute Schließung nicht überleben. Die Gastronomie habe auch eine besondere Bedeutung dabei, etwa Studenten oder Alleinerziehende zu beschäftigen. „All das steht auf dem Spiel“, schreiben die Unterzeichner.

Tschentscher: Wir müssen zweiten Lockdown verhindern

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Unterstützung erhielten sie von Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). Viele Gastronomen hätten vorbildliche Hygienekonzepte erarbeitet und viel investiert, um öffnen zu können. Wer sie nun durch neue Beschränkungen „bestrafe“, müsse auch die Kosten für neue Hilfsmaßnahmen übernehmen, sagte er im Rathaus.

Auch Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) forderte dort mit Blick auf das heutige Treffen den Bund auf, im Falle von neuen, harten Einschnitten gleich Geld für Hilfsmaßnahmen bereitzustellen – beziehungsweise dafür zu sorgen, dass es endlich abfließe. So seien von 25 Milliarden Euro, die seit Monaten an „Überbrückungshilfen“ für Unternehmer zur Verfügung stünden, bislang nur 1,2 Milliarden bewilligt worden, davon 43 Millionen in Hamburg.

Corona-Schutzschirm in Hamburg bleibt aufgespannt

Gemeinsam mit Kultursenator Carsten Brosda (SPD) betonten sie, dass der Corona-Schutzschirm in Hamburg aufgespannt bleibe. Nachdem bislang schon rund fünf Milliarden Euro mobilisiert worden seien (ein Mix aus Hamburger Mitteln und Bundesgeld), stünden noch einmal mindestens zwei Milliarden zur Verfügung, sagte Dressel. Neu hinzu komme Ende der Woche der „Stabilisierungsfonds“, über den sich die Stadt an in Not geratenen Firmen mit bis zu 250 Mitarbeitern beteiligen könne. Eine Milliarde Euro stehe dafür zur Verfügung.

"Das Coronavirus darf nicht die ganze Stadt erfassen"

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Die Gründung des Fonds soll am Mittwoch von der Bürgerschaft beschlossen werden. SPD und Grüne wollen per Zusatzantrag absichern, dass Klimaschutz und Gleichberechtigung zu Kriterien der Beteiligungen werden. „Wir sind stolz darauf, dass wir diese Punkte im parlamentarischen Verfahren als Vergabekriterien implementieren konnten“, sagte Dennis Paustian-Döscher (Grüne). Markus Schreiber (SPD) nannte den Fonds eine „in der Nachkriegszeit einmalige Wirtschaftshilfe“. Damit schließe man „eine klaffende Lücke“, da die Bundeshilfen nur für größere Unternehmen gelten.

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Kultursenator Brosda sagte, dass die Stadt mit ihren Hilfsprogrammen „kulturelle Produktion weiter ermöglichen“ wolle. Er wisse bislang von keinen Infektionen in Kultureinrichtungen und appellierte an die Bürger: „Gehen Sie in die Oper oder die Elbphilharmonie – da sind Sie sicherer als zu Hause.“

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