Hamburg. Gerade hatte Kultursenator Theater und Konzertsäle noch als sichere Orte bezeichnet. Infektionscluster sind dort nicht bekannt.
Déja-vu. Wieder müssen die Theater schließen, die Konzertsäle ihren Betrieb einstellen, Kinos und Museen vom 2. November an zusperren. Trotz aller Hygienekonzepte, von denen man glaubte, dass sie ausgefeilt genug seien, dass sie gegriffen hätten – ein Infektionscluster in einem dieser Kulturorte ist nicht bekannt. „Zu 75 Prozent“ könne man allerdings gar nicht mehr nachvollziehen, woher die Infektionen kommen, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie die erneut harten Maßnahmen verkündete – wohl auch, um dieser Argumentation zu begegnen.
Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant der Elbphilharmonie und der Laeiszhalle, äußerte in einer ersten Reaktion Verständnis: „Es ist zwar schade um die vielen schönen Konzerte im November, aber ich halte die Entscheidung für den richtigen Weg, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Wir setzen darauf, dass wir danach bald wieder mehr Publikum in Elbphilharmonie und Laeiszhalle willkommen heißen können.“ Während allerdings die Reaktionen der Kulturmacher im März noch branchenübergreifend von Einsicht und Solidarität geprägt waren, stoßen die neuerlichen Beschränkungen diesmal teilweise auf Unverständnis.
Hamburger Kino-Betreiber ist wütend über Corona-Lockdown
Hans-Peter Jansen, der in Hamburg vier Kinos betreibt – das Elbe, die Koralle, das Studio und das Blankeneser –, ist wütend: „Wir haben in unseren Kinos extrem auf Abstand- und Hygieneregeln geachtet. Niemand hat sich bei uns infiziert. Eine Branche trotzdem flächendeckend zu bestrafen finde ich unmöglich.“ Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther habe sich „erst vor vier Wochen“ in ein Kino gesetzt und gesagt: „Ich fühle mich hier sicher.“ Dieser Satz sei in einem Spot „seitdem vor jedem Film gelaufen“, erzählt Jansen, der auch auf Fehmarn und in Plön Lichtspielhäuser verantwortet. „Wie man mit dem Kulturbetrieb jetzt umgeht, ist eine Frechheit.“
Tschentschers dramatischer Corona-Appell an die Hamburger:
Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle, sieht dem erneuten Lockdown „mit einem gewissen Fatalismus“ entgegen: „Zum Glück haben wir uns über den Sommer einen Puffer angeschafft, von dem wir jetzt zehren können. Aber klar ist auch, dass wir wegen der vorangegangen Pause keine Ausstellungsprojekte mehr schieben können; die werden dann notfalls gestrichen. Bis dahin halten wir den guten Geist im Haus hoch.“
„Wir müssen diese Maßnahmen selbstverständlich akzeptieren"
Die Lage sei kompliziert, findet Thalia-Intendant Joachim Lux: „Wir müssen diese Maßnahmen selbstverständlich akzeptieren. Und alles tun, damit die Pandemie eingedämmt wird. Das ist völlig klar.“ Jeder müsse seinen Beitrag leisten, „auch die Kultur“. Er habe allerdings in der Beschlussvorlage der Kanzlerin „mit großem Erstaunen“ gelesen, „dass die Schließung der Theater, Opern und Konzertsäle sogar auf Platz 1 steht“, so der Theatermacher. „Dafür gibt es keine rationale Grundlage.“ Es gelinge „starken Lobbys wie dem Profi-Fußball und anderen“, ihre Interessen durchzusetzen, „der Kultur dagegen nicht einmal ansatzweise“. Lux ärgert das. „Die Maßnahmen treffen eben keineswegs alle mit der gleichen Härte.“
„In Anbetracht der steigenden Corona-Zahlen muss die Politik radikal handeln, bevor so viele Menschen erkranken, dass das Gesundheitssystem kollabiert“, findet Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard. „Einen kompletten Lockdown für alle Bereiche des öffentlichen Lebens für zwei bis drei Wochen wie von Christian Drosten vorgeschlagen, würde ich unterstützen. An dem jetzigen Beschluss erstaunt mich, dass die Konsumareale in den Städten weiter geöffnet bleiben, während die Kunstorte geschlossen werden. Wir haben seit August alles darangesetzt, mit unseren immer wieder der Situation angepassten Hygienekonzepten sichere Vorstellungsbesuche zu ermöglichen.“
Konzertveranstalter Glashoff kritisiert „Symbolpolitik“
Es sei nachgewiesen, dass Theater keine Orte sind, an denen sich das Virus verbreitet. „Im Gegenteil“, glaubt Deuflhard: „Sie sind öffentliche Orte, an denen nicht nur Kunstgenuss, sondern auch gesellschaftlicher Austausch und soziales Leben unter Einhaltung der Regeln sicher stattfinden können. Dieser Austausch ist gerade in der Krise enorm wichtig.“
Gastro, Sport, Theater: Lockdown light für Hamburg
Konzertveranstalter Burkhard Glashoff, Geschäftsführer der Konzertdirektion Dr. Goette, zeigt sich „erleichtert, dass die Politik eine klare Entscheidung getroffen hat, die uns Planungssicherheit gibt“. Inhaltlich könne er den Beschluss jedoch nicht nachvollziehen, weil „Konzerthäuser, die über hervorragende und sichere Hygienekonzepte verfügen, jetzt wieder geschlossen werden müssen“. Das sei „Symbolpolitik“.
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Corny Littmann, Chef der Schmidt-Theater am Spielbudenplatz, äußert „Verständnis für die Einschränkungen“, sagt aber auch: „Mir will nicht einleuchten, warum Kultureinrichtungen, die ja auch von unserem Kultursenator als sicher bezeichnet worden sind, schließen sollen.“ Die bisherigen Förderungen werden nicht reichen, fürchtet er. „Wir können alle nur beten, dass die Schließungen nur bis Ende November dauern.“ Erst kürzlich hatte Littmann angekündigt mit einigen seiner Künstler auf einem Kreuzfahrtschiff spielen zu wollen. Ob das stattfinden kann, sei offen. „Von Kiel aus bewegen wir uns ja teilweise außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer.“
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