Hamburg. Das Kiez-Theater zeigt nach sieben Monate Pause die schräge Varieté-Revue „Schmidts Ritz“. Auch die Darsteller zeigen Tricks.
Ein Swing-Trio mit Kontrabass sieht und hört man im Foyer des Schmidt Theaters mitsamt der Hausbar auch nicht jeden Abend. Derart schick im Stil der 1920er-Jahre gekleidet sind nicht nur die Musiker, sondern auch die männlichen und insbesondere weiblichen Servicekräfte mit Federschmuck und Glitzerkleidchen im Saal, dass Schmidt-Hausherr Corny Littmann zur Begrüßung ins Schwärmen wie ins Grübeln gerät: „Ich glaube, ich überleg mir das mit dem Frausein noch mal.“
Neue schräge Revue im Hamburger Schmidt Theater
Aufwendig umgestaltet, jedoch weiter in typischem Rot gehalten, hat nach dem bereits Anfang Juli wiederöffneten Tivoli nach sieben Monaten Pause nun auch das Schmidt Theater seinen Spielbetrieb wiederaufgenommen. Dank vieler kleinen Sitzgruppen (Separees) mit Plexiglasscheiben dazwischen können mit Abstand zur Seite und Frischluft von oben im 420-Plätze-Saal immerhin 180 Menschen in tiefen Sesseln in die Goldenen Zwanziger versinken.
Wie in einem Varieté-Theater, jetzt genannt „Schmidts Ritz“ – der Philosophie der Schmidt-Bühnen entsprechend meist schräg, auch mal schlüpfrig und politisch unkorrekt. Dafür stehen auch eine überdimensional große Kanone und eine Guillotine links und rechts.
Gastgeber der Revue: „Die Königs vom Kiez“
Und die Gastgeber dieser Reeperbahn-Revue am Spielbudenplatz sind gute alte Bekannte: „Die Königs vom Kiez“. Nur dass die Protagonisten der Familie König, die vor sieben Jahren in der frechen und erfolgreichen Musicalkomödie im Schmidt Premiere gefeiert hatte, jetzt die Vorfahren der chronisch klammen Sippe aus St. Pauli spielen und singen. Hauskomponist und Konzeptentwickler Martin Lingnau hat sich erneut mit Autor Heiko Wohlgemuth zusammengetan. Die ursprünglich geplante Fortsetzung hätte „Die Königs schenken nach“ heißen sollen.
Weil Nähe und Feiern jedoch auch auf der Bühne derzeit alles andere als ratsam sind, hat das Kreativteam mithilfe des künstlerischen Beraters Konrad Stöckel eine völlig neue Form gefunden: Für „Schmidts Ritz“ hat der Kuriositäten-Künstler und Zauberer nicht nur einiges aus seinem Fundus aufgefahren, die Schauspieler zeigen hier Nummern im Varieté. Das gleicht im Schmidt indes einem Kaleidoskop aus Comedy, Musik, Illusion und – teilweise ungeplanten – Missgeschicken.
Musical-Preisträgerin ist hier Mentalzauberin
Mit Götz Fuhrmann als Maurice König und Carolin Spieß als dessen Frau Marlene verkörpern die gestandenen Protagonisten aus „Die Königs vom Kiez“ auch hier die Familienoberhäupter sowie Gastgeber des Varietés. Mit ihren Kindern Blondella (Elena Zvirbulis) sowie den Zwillingen Bruno und Bert (Veit Schäfermeier in einer Doppelrolle) ist beim Auftakt zu Irving Berlins umgedichteten Jazz-Standard „Hier bei uns im Ritz“ („Puttin’ On The Ritz“) choreografisch noch halbwegs alles in der Reihe.
Doch gleich bei der Kerzenorgel droht sich die Tochter als singende „Mademoiselle Flammé“ die Finger zu verbrennen. Umso mehr verblüfft Elena Zvirbulis, 2017 für die wunderbar schlichte Darstellung der Stiefschwester Blondie im komischen Schlager-Musical „Cindy Reller“ mit dem Deutschen Musical Theater Preis ausgezeichnet, später als Mentalzauberin.
Zuvor hat es Carolin Spieß als „Miss Ultraschall“ nach mehreren Anläufen geschafft, mit einer Arie und ihren hohen Stimme ein Weinglas zu zersingen, ohne zum Hammer zu greifen. Ihren internationalen Durchbruch habe sie – Achtung: Anspielung auf die Corona-Anfänge in China – mit der "Fledermaus" in Wuhan gehabt. Insbesondere Spieß’ Kostüme (entworfen von Frank Kuder und Norman Heidrich) sind ein optischer Knallbonbon, und bei der Striptease-Schattenillusion fällt nicht nur Ehemann Maurice König die Kinnlade runter ...
Artist Jeton jongliert mit Wandspiegel und Worten
Schauspieler Götz Fuhrmann hat da als „Der stärkste Mann der Welt“ sein Aha-Erlebnis bereits hinter sich: Bei seiner Nummer als Maurizio Muskular hat ihm ein ordnungsgemäß mit Maske auf die Bühne gebetener Zuschauer den Hantel-Trick vermasselt – ein Extra-Spaß für das beifallsfreudige Premieren-Publikum. Das Schild „Anfassen verboten!“ wäre hier wohl besser gewesen, aber auch ohne das stemmt Fuhrmann diese gewichtige Nummer schließlich noch.
Ein schöner Kontrast, dass mit dem deutsch-französischen Balance-Künstler Jeton und seiner zeichnerisch begabten Partnerin Carmen zwei echte Artisten das „Schmidts Ritz“ zieren. Jeton balanciert nicht nur äußerst gekonnt mit Billard-Queues und Wandspiegel auf Kopf und Kinn, bei seiner Nummer mit bis zu vier Tassen auf dem Kopf jongliert er zusätzlich noch mit selbstironischen Worten über das Akrobatenleben. Bravo!
Schauspieler aus Lindenberg-Film wird gefeuert
Ein komischer Sympathieträger der Revue ist auch Peter Pooschke (sic!). Der nur 1,30 Meter große Schauspieler, bekannt aus der „Panik City“ im Klubhaus St. Pauli und dem Lindenberg-Film „Mach dein Ding!“, gerät Knall auf Fall in die Revue. Auf Marlenes Frage „Wo kommst du denn her?“, antwortet er wahrheitsgemäß: „Aus Franken!“
Der Störenfried stiehlt den Königs fast die Show, bis es denen zu bunt und die Aussage „Der Zwerg wird gefeuert!“ in die Tat umgesetzt wird. Die überdimensionale Kanone am linken Bühnenrand kommt zum finalen Einsatz. Aber die menschliche Kanonenkugel? Auch das ist eine Illusion.
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Bis zum Ende von „Schmidts Ritz“ vergehen ohne Pause mehr als eineinhalb Stunden – einige Nummern scheinen verzichtbar, manch Längen der Show vermeidbar. Hier gilt es für das Kreativteam, insbesondere Regisseur Littmann, nachzuarbeiten, damit manch origineller Knalleffekt nicht verpufft und der neue Ansatz der Show zum Tragen kommt.
„Schmidts Ritz“ bis 3.1. 2021, Mi–So 20.00, Sa auch 16.00, Schmidt Theater (U St. Pauli), Spielbudenplatz 24, Karten ab 24,- unter T. 31 77 88 99: www.tivoli.de