Hamburg. Fast alle großen Hamburger Theater proben trotz steigender Infektionszahlen neue Familienstücke – auch Schulklassen können kommen.

Ob Kalle Blomquist, der Froschkönig oder mal etwas Neues aus aktuellen Kinderbüchern – die kleinen Helden und Figuren von Astrid Lindgren, der Brüder Grimm sowie ihre Nachfolger wirft so schnell nichts um. Aber die Theater? Alle wollen, fast alle können. Aber dürfen sie auch? Spielen nämlich. Die Politik entscheidet womöglich heute darüber in Berlin.

Dürfen Hamburger Bühnen Weihnachtsmärchen zeigen?

Ob die großen und mittelgroßen Hamburger Bühnen wie seit Jahrzehnten üblich auch in Zeiten steigender Corona-Fallzahlen in diesem November und Dezember Weihnachtsmärchen und Familienstücke zeigen, bereitet manchem Theaterleiter – bei aller (Vor-)Freude – so oder so reichlich Mehrarbeit. Und können auch Schulklassen kommen?

Ein gutes Dutzend dieser Spezial-Vorstellungen stand in den vergangenen zehn Jahren in der Komödie Winterhuder Fährhaus auf dem Spielplan, wenn ein neues Familienmusical von und mit Christian Berg herauskam; die Auslastung seines Stücks „Die kleine Meerjungfrau – Das große Blubbern“ erreichte im Vorjahr 92 Prozent.

Jedoch haben Theaterleiterin Britta Duah und ihr Team bereits Anfang Oktober entschieden, die für den 20. November geplante Premiere von „Die Schöne und das Biest – Wahre Schönheit kommt von innen“ sowie alle 44 weiteren Vorstellungen um ein Jahr auf 2021 zu verschieben – schweren Herzens, aus wirtschaftlichen Gründen.

Bei acht bis 15 Euro Eintritt rechnet sich Märchen für Komödie Winterhude nicht

„Dieses Jahr wird es in unserem Theater sehr viel ruhiger sein, und diese vorweihnachtliche Stimmung wird uns fehlen“, sagt Britta Duah. „Aber wir sind nur eine Institution von vielen, die dieses Jahr verzichten lernen müssen.“

Als Privattheater ohne institutionelle Förderung sei es der Komödie unternehmerisch nicht möglich, eine eigene Inszenierung wie das Weihnachtsmärchen in Zeiten der Corona-Pandemie zu produzieren. Bei maximal 165 Besuchern im 586-Plätze-Saal aufgrund der Hygieneauflagen und bei Eintrittspreisen zwischen acht und 15 Euro rechne sich diese Produktion nicht.

Ernst Deutsch Theater: Proben für „Der Froschkönig“ begonnen

An Hamburgs größter privat betriebener Bühne, dem Ernst Deutsch Theater, haben indes die Proben für „Der Froschkönig“ begonnen. In der Regie von Hartmut Uhlemann, der an der Mundsburg sowohl für die Inszenierung politisch brisanter Erwachsenen-Stücke („Weißer Raum“, „Demokratie“) als auch alljährlich für die eines Märchens gut ist, soll am Nachmittag des 13. November die erste von 50 Vorstellungen (bis 23.12.) beginnen.

Intendantin Isabella Vértes-Schütter hebt die Bedeutung eines womöglich erstes Theaterbesuchs für den Nachwuchs hervor: „Wir möchten den Kindern mit unserem Märchen eine Welt voller Fantasie eröffnen und hoffen sehr, dass wir in dieser herausfordernden Zeit für alle kleinen und großen Menschen spielen dürfen.“

In Absprache mit Kulturbehörde und Schulbehörde sind bisher elf Schulvorstellungen geplant, im normalerweise 744 Plätze zählenden Theater wurde schon im Sommer jede zweite Sitzreihe ausgebaut, der erforderliche Mindestabstand zwischen sogenannten Kohorten sei gewährleistet.

Ohnsorg zeigt „Des Kaisers neue Kleider“ – auf Hochdeutsch

Was genau diese „Kohorten“ sind, hat Ohnsorg-Intendant Michael Lang Unterlagen der Schulbehörde entnommen: „Es können Klassen, Klassenverbände oder auch ganze Jahrgänge sein.“ Zwischen zwei Kohorten seien die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, sodass im Großen Haus etwa die Hälfte der 420 Plätze besetzt werde könne – damit doppelt so viele wie bei den Erwachsenen.

Erst seit Ende der Herbstferien Mitte Oktober sind kleine Schulausflüge wieder erlaubt, auch ins Theater. Anmeldungen von Grundschulen für Andersens „Des Kaisers neue Kleider“ und von Kitas (für „De lütte Herr Jemine“ im Ohnsorg-Studio) gebe es einige, so Lang. Und am Ohnsorg-Theater ist sich der zweimalige Rolf-Mares-Preisträger Erkki Hopf nicht zu schade, bei bis zu 52 Vorstellungen in die Titelrolle zu schlüpfen.

Lang: Kinder brauchen Weihnachtsmärchen

Die Märchen werden an der Bühne fürs Niederdeutsche – auch das hat Tradition – auf Hochdeutsch gespielt, Publikumsliebling Hopf probt seit der Vorwoche für die Premiere am 21. November, die auch aufgrund dessen Mitwirkung „ein Highlight zu werden verspricht“, meint Lang.

Schon Ende August hatte der Intendant im Abendblatt-Theater-Podcast „Saisonstart“ gesagt, „Mathe, Physik und Deutsch ist nicht das Einzige, was Kinder im Moment brauchen.“ Nach vier Monaten Betrieb im Ohnsorg verweist Lang darauf, dass der Theaterbesuch für Erwachsene wie für Kinder sehr sicher sei: „Mit unserer modernen Klimaanlage wird die Luft achtmal in der Stunde ausgetauscht, in der Schule ist es beim empfohlenen Stoßlüften dreimal.“

In Altona und Harburg ermittelt Kalle Blomquist

Das Altonaer und das Harburger Theater hatten Schulen bereits im Sommer angeboten, Vorstellungen geschlossen zu kaufen, in Altona mit 200 Plätzen in Harburg mit 160. „Dann würde im Haus das Hygienekonzept der Schule gelten, oder es melden sich einzelne Kohorten an, die wir dann mit dem entsprechenden Abstand zueinander platzieren“, erläutert Sprecherin Friederike Barthel.

In Altona (ab 2.12.) und Harburg (ab 28.11.) zeigt „Meisterdetektiv Kalle Blomquist“ nach Astrid Lindgrens Kinderbuch Groß und Klein (ab 5 Jahre), was kriminalistisch ‘ne Harke ist. Familien- wie Schulvorstellungen sind in diesem Jahr ausschließlich telefonisch buchbar, damit die Theater Gäste entsprechend der Vorschriften platzieren können.

10-Uhr-Vorstellungen für die kleinen Zuschauer

Kammerspiele und Logensaal in Rotherbaum, wie das Altonaer und Harburger Theater von Axel Schneider geführt, bieten für Schulen, Kitas und Familien „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ sowie das Kleinkinderstück „Petterson, Findus und der Hahn“. Premiere soll jeweils am 3. Dezember sein. Geld verdienen lassen dürfte sich damit ebenso wenig wie mit dem Stück „Rumpelstilzchen – Total versponnnen“, das am 14. November im Theater für Kinder Premiere hat.

Einnahmen hin oder her, steigende Corona-Zahlen in allen Bezirken und Stadtteilen, auch das St. Pauli Theater hat dieses Jahr wieder Schulen und Kindergärten angeschrieben und eigens 10-Uhr–Vorstellungen für Zuschauer ab vier Jahre eingerichtet. Nach den Erfolgen mit „Das Dschungelbuch“ und „Das Sams“ heißt das Märchen „Komm, wir finden einen Schatz!“. Felix Bachmann inszeniert Janoschs Geschichte, die Premiere ist am 21. November geplant.

Neu und Corona-konform: „Der achtsame Tiger“ im Schmidt

Doppelt umdisponieren musste das Schmidt Theater. Aufgrund der auch auf der Bühne geltenden Abstands- und Hygieneregeln startet „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ nicht wie geplant am 31. Oktober. Rolf Zuckowskis „Die Weihnachtsbäckerei“ im Tivoli bleibt ebenfalls geschlossen. Stattdessen soll dort am 14. November die Uraufführung des Familienmusicals „Der achtsame Tiger“ über die Bühne gehen, inspiriert vom gleichnamigen „Kinderbuch des Jahres 2019“ des Autors Przemyslaw Wechterowicz.

Das Schmidt-Kreativteam habe nach einer alternativen Kindermusical-Idee für diese spezielle Zeit gesucht und in „Der achtsame Tiger“ gefunden“, sagt Pressechefin Sybille Kammerhoff. Und so haben Martin Lingnau (Musik) und Heiko Wohlgemuth (Text) ein Stück mit zehn Songs geschrieben, das mit starker Botschaft und jungen Darstellern auf leisen Pfötchen daherkommen soll. Regie führt Carolin Spieß, deren „Der kleine Störtebeker“-Inszenierung Kultstatus bei Jung und Alt hat.

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„Der achtsame Tiger“ passe zudem optimal in den „Paradiso“-Dschungel, so Kammerhoff. Mit „Paradiso“ hatte das Schmidts Tivoli Anfang Juli als erstes Theater bundesweit eine abstandsgerechte Produktion in einem fantasievoll und abstandsgerecht dekorierten Saal für Erwachsene etabliert. Weil jene Show bis auf Weiteres läuft, lässt das Tivoli den „Tiger“ nur freitagnachmittags und am Wochenende los, Schulvorstellungen sind nicht im Verkauf. Familienkarten für zwei bis vier Personen gibt es aber ab 52,30 Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Gr. Burstah 18-32, T. 30 30 98 98).

Schauspielhaus zeigt „Pinocchio“ nach Carlo Collodi

Und was machen die großen Staatstheater? Das Deutsche Schauspielhaus zeigt vom 7. November bis 13. Dezember auf der großen Probebühne in zahlreichen Schulvorstellungen für Menschen ab acht Jahren einen weiteren Klassiker der Kinderliteratur, diesmal „Pinocchio“ von Carlo Collodi. Regisseurin Barbara Bürk und Musiker Clemens Sienknecht hatten schon mit „Der Zauberer von Oz“ und „Alice im Wunderland“ das junge Publikum mit ihren Inszenierungen Lesestoff theatral fantastisch vermittelt (Karten nur an Schul-Kohorten über schulkarten@schauspielhaus.de).

Das Thalia Theater spielt nicht explizit für Kinder, es widmet sich aus Anlass des Vorlesetages 2020 mit dem Motto „Europa und die Welt“ Marie-Aude Murails Jugendbuch „Simpel“. Die Geschichte um einen geistig zurückgeblieben 22-Jährigen und dessen jüngeren Bruder liest Schauspieler Philipp Weggler am 20. November (16 Uhr) im Mittelrangfoyer (Anmeldung: thaliaundschule@thalia-theater.de, T. 32 81 41 39).

Lesen zu Corona-Zeiten geht zur Not ja immer, Theaterspielen bisher nur unter Auflagen auf und vor der Bühne. Mit viel Aufwand für die Sicherheit aller, dennoch mit viel Liebe zum künstlerischen Detail.