Hamburg. Elise Schmit, Nora Wagener, Pascal Schumacher – bei Harbour Front stand ein sehr kleines Land im Mittelpunkt.
Er sei, erzählte Saša Stanišić, auf seiner Lesereise überrascht gewesen. Luxemburg, dieses kleine Land. Es hat, tatsächlich, auch große Literatur. Die aber hierzulande zu wenig Leute kennen. Und Saša Stanišić, die große Nummer aus Hamburg, der Buchpreisgewinner, hat, tatsächlich, Lust darauf, luxemburgische Literatur bekannter zu machen. Deshalb holte der 42-Jährige am Sonnabendmittag – interessanter Veranstaltungsbeginn: 12 Uhr! – gemeinsam mit dem Harbour Front Literaturfestival, das derzeit läuft, zwei luxemburgische Autorinnen ins Rampenlicht. Und zusätzlich den Musiker Pascal Schumacher - die neue Reihe innerhalb des Festivals heißt Harbour Front Sounds.
Erwähnenswert ist das alles auch, weil Schriftsteller selten Bücher von anderen Schriftstellern lesen. Oder zumindest so tun, als läsen sie nichts Fremdes. Mal ist es Ignoranz aus Notwehr, mal divenhaftes Egozentrikgetue oder irgendwas dazwischen. Oder eben Zeitmangel: Er komme so wenig zum Lesen, erklärte Stanišić dem Publikum in der Elbphilharmonie, da sei er immer froh, wenn er ein gutes Buch erwische.
Manches ist schwieriger, wenn man aus Luxemburg kommt
Wie im Falle von Elise Schmit und Nora Wagener. Die stammen aus dem Großherzogtum Luxemburg und wissen, was sich gehört. Als Gastgeber und Moderator Saša Stanišić sinngemäß fragte, warum es dem Luxemburger Literaturbetrieb denn nicht gelinge, seinen Autorinnen und Autoren eine größere Leserschaft zu besorgen, Stichwort Vertriebswege, schob Elise Schmit, Jahrgang 1982, halb ernst, halb augenzwinkernd dem einen Riegel vor: „Luxemburg im Ausland zu kritisieren, das kommt in Luxemburg nicht gut an.“
Und klar ist eh, warum manches eben schwieriger ist, wenn man aus Luxemburg kommt, das auch im Vergleich zu der Schweiz oder Österreich klein ist. Der Literaturbetrieb ist nur ein Literaturbetrieblein. Es gibt, erzählte Nora Wagener, Jahrgang 1989, noch nicht einmal ein richtiges Literaturhaus. Aber immerhin, das wusste auch Saša Stanišić, 80 bis 90 belletristische Neuerscheinungen im Jahr.
Zwei luxemburgische Buchprodukte wurden dem von Corona und seinem Abstandsdiktum verhältnismäßig spärlich besetzten Rund präsentiert. Dass Stanišić, der begnadete Vorleser, jeweils ein paar literarische Sätze der Autorinnen selbst vortrug, verwunderte nicht – der Mann bringt halt gerne Literarisches mit Leidenschaft zu Gehör, es muss nicht mal das eigene sein.
Maritime Bezüge
Mit Hingabe stürzte Stanišić sich auch in erste Plotdeutungen und verstand es jedenfalls, echtes Interesse für die Texte zu wecken. Für Schmits Erzählungsband „Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen“, 2018 erschienen und mit dem höchsten luxemburgischen Literaturpreis ausgezeichnet, dem Prix Servais. Schmits Prosa ist präzise, das wurde aus ihrem Vortrag deutlich.
Elise Schmit schreibt, das muss man im Falle ihres trilingualen – Letzeburgisch, Deutsch, Französisch – Heimatlandes unbedingt sagen, wie Nora Wagener überwiegend auf Deutsch. Stanišić gestand, meinte er das Schreiben oder das Reden?, dass er bisweilen in seine erste Sprache wechsle, „weil manchmal etwas unbedingt auf Serbokroatisch heraus muss“. Was die Interpretation einer ihrer Geschichten anging, ließ Schmit ihn schön auf dem Trockenen sitzen. Zu transparent, sagte die Schriftstellerin, wolle sie ihre Figuren nicht werden lassen. Recht so!
Beide Autorinnen hatten im Übrigen maritime Bezüge mit in die Hafenstadt Hamburg gebracht. Was sicher Zufall war. Schmit las eine Kurzgeschichte, in der einer Frau das Leben an der Küste nach einem traumatischen Erlebnis fad geworden ist. Und Wagener hatte ihr druckfrisches Reisebuch „Alle meine Freunde“ dabei, es handelt von einer luxemburgischen Kuriosität, die es sehr sicher wert war, einmal literarisch gespiegelt zu werden: Jedes Jahr zu Pfingsten sind es 1000 Kreuzfahrt-und-Völlerei-enthusiastische Luxemburger, die sich auf das exakt selbe Schiff begeben. Ein lokales Urlaubsphänomen, dem Wagener („Alle Klischees wurden erfüllt, es war eine dankbare Aufgabe für eine Schriftstellerin“) leibhaftig beiwohnte.
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Daraus ist ein amüsantes Buch geworden, wie Stanišić zuerst bezeugen konnte. Danach galt selbiges für die Ohrenzeugen in der Elbphilharmonie. Wagener, die das seltsame Treiben nicht von oben herab, sondern mit dem Humanismus der alles Bizarre Verstehenden betrachtet, tritt in große Fußstapfen: David Foster Wallace ging einst an Bord, und auch von Bodo Kirchhoff gibt es eine Kreuzfahrt-Erzählung.
Die Qualität der Texte, Stanišićs hoffentlich verkaufsfördernde Kollegialität und Begeisterungsfähigkeit: Es war ein insgesamt gelungener Luxemburg-Trip. Wenn auch zeitlich knapp bemessen. Stanišić konnte gerade noch ironisch seine angeblich liebste Frage („Und was kommt als nächstes?“) stellen, wenn er selbst als Autor eingeladen ist, dann war wieder Pascal Schumacher dran. Der Luxemburger Vibraphonist war eine echte Entdeckung, seine verträumten, sphärischen Klangflächen waren natürlich niemals luxemburgische Folklore, aber, umso besser, ein schöner supranationaler Rahmen für eine Grenzen überwindende Angelegenheit.