Hamburg. Der Autor bekam beim Harbour Front Festival das Hamburger Tüddelband verliehen und stellte seine Autobiografie „Wie alles kam“ vor.
Wer geht auf Veranstaltungen mit Kinderbuchautoren? Logisch: in erster Linie Kinder. Das wäre in St. Katharinen der Fall gewesen, wo der diesjährige Träger des Hamburger Tüddelbands diese hohe Auszeichnung hätte entgegennehmen sollen. Aber: Corona. Der Spielverderbervirus. Und so kam der Autor und Illustrator Paul Maar, der Erfinder des unvergleichlichen Sams, nach der Absage der Kinderlesung, zum Harbour Front Festival lediglich für einen Abendtermin. Einerseits, wie schade: Kleine Menschen sind seine größten Fans. Da wäre der Jubel für ihn, den jetzt 82-Jährigen, der zuletzt wie alle anderen Künstler eh kaum unter Leute ging, riesig gewesen: Er hat unlängst seinen zehnten „Sams“-Band veröffentlicht.
Andererseits war es dann doch auch im Altonaer Museum schön, wo sich das eingefunden hatte, was Maar nicht unbedingt als sein Stammpublikum bezeichnen würde: ein kleines Auditorium aus Erwachsenen. Aber wer sagt, dass die Erwachsenen nicht genauso große Fans sind? 1973 kam der erste „Sams“ heraus. Das rothaarige Dickerchen prägte seitdem Generationen von Kindern, die heute keine mehr sind.
Von einem, der sich an seine Kindheit erinnert
Nach der Verleihung des Tüddelbands – Maars Vorgängerinnen in der illustren Siegerliste sind etwa die Autorinnen Kirsten Boie und Cornelia Funke – durch Festivalleiterin Petra Bamberger ging es gar nicht um das Sams, wohl aber um Kindheit. Paul Maar mag zwar gerade sein erstes Buch für Erwachsene veröffentlicht haben, kindliche Belange behandelt er auch da. „Wie alles kam. Roman meiner Kindheit“ (S. Fischer Verlag, 22 Euro) ist Maars Blick zurück – dabei musste er, wie er Moderatorin Anouk Schollähn und dem Publikum gestand, das Erinnern erst lernen. Erinnerungen sind, so schreibt Maar in seinem Buch, kein Fluss; es sind „verstreute große und kleine Pfützen nach einem Starkregen“.
Dass es geklappt hat mit dem Graben im Gestern, ist ein Glück für Leserinnen und Leser. Maar hat seine persönliche Lebenserzählung beisammen bekommen, und er präsentierte sie in einer Mischung aus Lesung und mündlichem Vortrag. Zu bedauern war da allenfalls Moderatorin Schollähn, die zumindest am Anfang kaum zu Wort kam. In seinem unverkennbar fränkischen Idiom legte Maar („Darf ich einfach anfangen?“) begleitet vom Gitarristen Wolfgang Stute ziemlich hurtig los mit seinen Erzählungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit: Da war der frühe Tod der Mutter zu beklagen, als er noch ein Baby war. Der Vater kam viele Jahre aus dem Krieg nicht wieder und verkörperte dann des Typus des strengen Erziehers, da mochte das Paradies in der Wirtschaft der Stiefgroßeltern viel aufwiegen.
Ein unterhaltsamer Abend
In einem Interview mit dem Abendblatt sagte er übrigens einmal, dass alle Kinderbuchautoren eine extreme Kindheit hatten. Entweder sie sei extrem glücklich gewesen wie bei Astrid Lindgren. Oder sie sei unglücklich gewesen, und diese Autoren „erfinden sich später die Kindheit, die sie nicht hatten“.
Und so erzählte er von dem Furunkel, das dem kleinen Paul der von der eigenen unglücklichen Kindheit hart gewordene Vater einst ausstach – so wurde der Gang zum Arzt gespart. Er erzählte, es ist gleich das erste Kapitel im Buch, weil es, so Maar, seine erste Erinnerung überhaupt ist, von den schwebenden Fischen in seinem Kinderzimmer. Das Kinderzimmer ist mit blauer Luft gefüllt, und er findet aus dieser merkwürdigen Traumwelt nicht heraus, obwohl er nicht schläft – der einzige Drogentrip im Leben des Paul Maar.
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Das ist natürlich komisch und unglaublich: Dass der Eltern-geprüfte Kinderbuchautor, wenn auch unabsichtlich, als er selbst noch klein war, jugendgefährdende Dinge unternahm. Schuld war wohl, Maar vermutet das jedenfalls, ein Halluzinationen hervorrufender Getreide-Pilz, der ihm mit der Nahrung verabreicht wurde. Je älter man wird, desto mehr Leben ist da gewesen; und die kuriosen Dinge sind neben den traurigen, aber auch den fröhlichen, die, die bleiben. Es war ein unterhaltsamer Abend, an dem auch lange vergangene Zeiten besichtigt wurden: Maars geliebte Großmutter, eine „fundamentalistische Katholikin“, hielt es schon für unkeusch, wenn ein Mädchen sich ihrem Enkel auf 50 Meter näherte.
Später wurde dieser Enkel dann der Schöpfer des Sams. Seiner Fantasie wurden nie Grenzen gesetzt.