Hamburg. Pianist Sebastian Knauer über einen Sommer ohne Konzerte und was die Elbphilharmonie mit der Reeperbahn verbindet.
Die Corona-Krise ändert alles – unsere Art zu leben, unsere Wirtschaft, unsere Innenstädte, unsere Mobilität, unsere Kultur. In einer Interviewreihe wollen wir über den Wandel sprechen – über Risiken, aber auch Chancen.
Der Hamburger Konzertpianist Sebastian Knauer (49) ist von dem Stillstand besonders betroffen: Sämtliche Auftritte fallen aus, Programme werden verschoben, Konzertreisen wegen ausgedünnter Flugpläne unmöglich ...
Herr Knauer, wird unser Leben je wieder so, wie es vor Corona war?
Sebastian Knauer: Ich glaube, in gewisser Form ja. Wir brauchen natürlich einen Impfstoff gegen Covid-19, der den Menschen ihre Sicherheit zurückgeben wird, sich normal zu bewegen. Nach der Krise dürfte der Alltag zurückkehren, vor allem wenn Corona nicht mehr Tagesthema ist. Aber wann das sein wird, steht im Moment noch in den Sternen. Natürlich gibt es aber Dinge, die nach Corona nicht mehr so sind wie vorher. Viele Menschen haben ihr Leben verloren, und die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise werden dramatisch sein. Manche Branchen werden nicht überleben.
Die Konzertbranche gilt als besonders be- und getroffen. Von heute auf morgen wurden alle Konzerte abgesagt.
Ja. Wir waren die Ersten, die aufhören mussten und werden die Letzten sein, die wieder anfangen dürfen. So extrem sind gefühlt sonst nur wenige Branchen betroffen.
Das verbindet die Elbphilharmonie mit der Reeperbahn?
Durchaus. Alles, was mit Ansammlung von Menschen zu tun hat, leidet, vom Eventplaner und Messebauer bis eben zur Bar auf dem Kiez. Wir haben als Konzertbranche eine schwere Bruchlandung erlitten, und keiner weiß, wohin das noch führt. Die Absagen zu Beginn waren höhere Gewalt. Das bedeutet im Klartext, es gibt keinen Anspruch auf Ausfallhonorare. Und auch der Neustart ist kompliziert: Behördliche Bestimmungen erlauben nur wenige Zuschauer, für alle Beteiligten wirtschaftlich eine extreme Herausforderung. Es drohen also weitere Absagen oder Verschiebungen.
Verschiebungen dürften nicht so einfach sein.
Genau. Die Elbphilharmonie zum Beispiel ist über Jahre ausgebucht – ich bin beeindruckt, was die Verantwortlichen dort noch schieben konnten, aber es gibt halt terminliche Grenzen. Zudem stellen sich viele die Frage: Sind die Besucher mit einer Verschiebung einverstanden? Fordern sie ihr Geld zurück?
Ja, trauen sie sich überhaupt noch in einen großen Saal? Das dürfte bei den klassischen Konzertbesuchern ein Problem werden … Wir haben nun mal ein durchschnittlich älteres Publikum. Einige werden sich verständlicherweise zu den gefährdeten Personengruppen zählen. Von anderen höre ich aber auch: „Ich will unbedingt zurück ins Konzert, ins Theater, in die Oper. Gebt mir die Kultur zurück. Ich komme sofort.“ Momentan sieht die Realität aber leider noch anders aus.
Gibt es denn einen konkreten Termin, wann es für Sie weitergeht?
Ja, am 19. August. Mein erster öffentlicher Auftritt seit dem Lockdown. Ein aus dem Juni verschobenes Konzert in Odessa mit entsprechend wenig Zuschauern. Reisetechnisch schwierig wegen der ausgedünnten Flugpläne. Für uns Weltenbummler in Sachen Kultur wird das Reisen in Zukunft wahrscheinlich viel schwieriger, teurer und zeitraubender werden. Und dann kommt das Problem der Quarantäne hinzu – müssen wir uns nach jeder Reise ins Ausland bald zu Hause zurückziehen?
Sie sind also seit einem halben Jahr nicht mehr aufgetreten?
In der Tat, zumindest nicht vor Publikum. Ich hatte das Glück, einige Auftritte für ARTE, den Bayerischen Rundfunk und die Deutsche Welle im Fernsehen oder online zu spielen, aber immer im leeren Saal. Bei einer der Sendungen waren ein paar Menschen im Saal dabei, die am Ende klatschten. Der erste Beifall nach Monaten, das war ein sehr berührender Moment.
Wie viele Konzerte sind insgesamt ausgefallen?
Insgesamt sind bei mir inzwischen mehr als 70 Auftritte ausgefallen oder verschoben worden. Schon im Februar wurden meine Konzerte in China abgesagt. Auf die Auftritte in Peking und Shanghai hatte ich mich besonders gefreut: Dort sind Konzertsäle entstanden, die sogar Fans der Elbphilharmonie den Atem stocken lassen. Die Absage jetzt kam übrigens vom selben Mann, der mich 2003 zu einem großen SARS-Benefizkonzert eingeladen hatte. Damals wollte niemand mehr nach China reisen, ich saß fast allein im Flieger – und am Flughafen empfingen mich Sicherheitskräfte in Outbreak-Anzügen. Das Konzert war Open Air, da schon damals alle Konzertsäle geschlossen wurden. Meine erste „Begegnung“ mit einer Virus-Epidemie.
Damals blieb das Virus in China, nun hat es die ganze Welt im Griff.
Für mich ist das immer noch kaum zu fassen. Und gerade für die Klassikbranche, wo weltweite Tourneen ein ganz wichtiger Bestandteil sind, extrem schlimm. Deutschland ist zwar mein Heimatland, wo ich entsprechend viele Auftritte habe, aber was ist und wird mit dem Ausland? Nach der Absage meiner Konzerte in den USA beobachte ich mit großer Sorge, wie sich die Lage dort entwickelt. Es gibt schon Stimmen, die sagen, dass ein normaler Konzertbetrieb nicht vor Ende 2021 denkbar ist. Ebenso schlimm ist die Situation in Mittel - und Südamerika. Alle Konzerte abgesagt.
Meine Termine im europäischen Ausland im Herbst werden momentan „auf Sicht“ geplant. Und es geht nicht nur um den eventuellen finanziellen Ausfall, sondern auch um die konzentrierte Vorbereitung eines Konzerts, für das ich ja einen entsprechenden Vorlauf brauche. Und keiner möchte im Moment so richtig für die nächsten Spielzeiten planen, weil alle irgendwie abwarten, wie es sich weiterentwickelt. Das zehrt an den Nerven.
Hätte man mehr Freiluftfestivals machen können oder müssen?
Vielleicht. Aber in der Klassik sind Open- Air-Konzerte wegen der Klangproblematik ja eher selten. Zudem gelten auch bei Open Air die Abstandsregeln, sowohl auf der Bühne als auch im Publikum. Und ein Klavierkonzert im Autokino kann ich mir nur schwer vorstellen: Wir brauchen den Konzertsaal, wir brauchen das Publikum und die Saalatmosphäre.
Das kann kein Streaming ersetzen. Soll ich mich privat mit dem Handy am Klavier filmen, mit schlechtem Bild und schlechtem Ton? Das bringt doch nichts! Wir sind dazu erzogen worden, ein höchstes Maß an Qualität, Perfektion und Technik abzuliefern – dafür benötigen wir nun mal einen Konzertsaal.
Was aber macht ein Pianist, der nicht auftreten kann?
Manche sagten mir, jetzt hätte ich doch endlich Zeit zum Üben. Das kam bei mir mit eher gemischten Gefühlen an: Es fehlt plötzlich das Konzert als Ziel, die Inspiration leidet, über unsere Branche hat sich eine regelrechte Depression gelegt. Die Sorgen sind groß, weil sich alles schnell zu einer existenzbedrohlichen Situation entwickeln kann.
Denn ich lebe von Konzerthonoraren. Und diese fallen plötzlich weg. Eine gewisse Zeit funktioniert das, einerseits durch eigene Reserven oder auch private Unterstützer für neue Formate und Projekte. Auch einige Veranstalter haben sich großartig verhalten und Teilhonorare im Voraus bezahlt, obwohl das Konzert verschoben werden musste. Aber es herrscht weiterhin eine große Ungewissheit, was die Zukunft bringt.
Immerhin gab es ja Soforthilfen ...
Ja, einen einmaligen zu versteuernden Betrag von Land und Bund. Natürlich eine tolle Geste, aber keine Rettung. Mein Kostenapparat ist gleich groß geblieben, Büro, Projektmanager, PR-Agentur, Versicherungen und so weiter. Und vor allem habe ich eine Familie, für die ich sorgen muss. Bei ausbleibenden Einnahmen und gleichbleibenden Ausgaben wird es irgendwann eng. Für uns gibt es leider keinen Rettungsschirm, wir sind auf uns allein gestellt.
Wird der Konzertbetrieb nach Corona wegen Pleiten schrumpfen?
Der gesamte Betrieb ist voll getroffen: nicht nur wir Solisten. Die Veranstalter, Konzerthäuser, Künstleragenturen, PR-Agenturen, Orchester, Theater, Chöre und Ensembles jeglicher Art – alle haben große Probleme. Die Krise reicht von den CD-Verkäufern bei Konzerten bis zu den großen Labels. Das geht eine gewisse Zeit gut, aber bald muss der Betrieb wieder anlaufen – und das nicht mit halber, sondern mit voller Kraft und Besetzung. Sonst werden viele auf der Strecke bleiben.
Wann ist bald?
Einige können vielleicht bis zu einem Jahr durchhalten, andere aber nur ein paar Monate. Aber bis 2022? Unvorstellbar. Dann gäbe es viele Veranstalter und Festivals wahrscheinlich gar nicht mehr. Wo sollen wir dann auftreten? Es gibt ja zaghafte Wiedereröffnungsversuche im Herbst. Die kleine Form wird aber leider auf Dauer nicht reichen. 620 Zuschauer in der Elbphilharmonie funktioniert nicht, das kann sich jeder ausrechnen.
Es wäre immerhin ein Anfang …
Es ist auch ganz wichtig, dass das Wahrzeichen unser Stadt wieder zum Leben erwacht. Aber es bleibt eine Notlösung: Ein Konzert wird auf eine Stunde ohne Pause verkürzt und wird für jeweils 620 Zuschauer zweimal hintereinander gespielt. Dazwischen wird eine Stunde gereinigt und desinfiziert.
Natürlich besser als gar nichts, aber wirtschaftlich ist das für alle Beteiligten keine Lösung, und zudem dürfte es ein bedrückendes Gefühl sein, in einem mehr oder weniger leeren Saal zu spielen. Am 13. November stehe ich zusammen mit Klaus Maria Brandauer in der großen Laeiszhalle auf der Bühne, hoffentlich dürfen dann wieder mehr Besucher in ein Konzert kommen.
Sind CD-Aufnahmen eine Lösung in der Not?
Nicht finanziell, aber man bleibt präsent. In diesen Tagen erscheint meine neue CD „This Is (Not) Beethoven“, eine Komposition von Arash Safaian, der mir schon „ÜberBach“ geschrieben hat. Eine Komposition, die sich mit Beethoven auseinandersetzt, und welche ich vor zwei Jahren in Auftrag gegeben habe. Safaian ist ein großartiges Klavierkonzert gelungen, basierend auf Themen von Beethoven. Es feiert den großen Beethoven und setzt zugleich seine Musik in die heutige Zeit. Mein Beitrag zum Beethovenjahr, welches wegen Corona leider auch komplett ins Wasser gefallen ist.
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Was unternehmen Sie dann, um die Krise zu überbrücken?
Zusammen mit Karlheinz Hauser vom Süllberg, der ebenfalls heftig von Corona betroffen ist, habe ich kurzfristig mit großartiger Hilfe von privaten Förderern und Sponsoren ein coronagerechtes Konzept erarbeitet, an sechs Abenden Musik und Kulinarik zusammenzubringen. Im wunderschönen Ballsaal auf dem Süllberg steht in der Mitte eine Bühne mit Flügel, umrundet von eingedeckten Tischen mit dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand.
Erst gibt es ein Konzert, dann folgt ein Drei-Gänge-Menü. Mit mir auf der Bühne sind befreundete Künstler wie Johannes Strate, Katja Riemann, Simone Kermes, Marek Erhardt, und Joja Wendt. Auch mein Freund Daniel Hope wird kommen. Obwohl er bereits in St. Michaelis und bei „Ein Wintermärchen“ in der Elbphilharmonie auftritt, kann er diesen Zusatztermin in Hamburg spielen, was mich sehr freut. Wir lassen uns etwas einfallen, um dieser grauenvollen Zeit etwas entgegenzustellen.
Infos und Tickets zu den musikalisch-kulinarische Abenden auf dem Süllberg mit Sebastian Knauer gibt es auch beim Hamburger Abendblatt unter der Telefonnummer 040/30 30 98 98