Hamburg. Die Hamburger Improtheater-Gruppe spielt Mittwoch im Zeise – live vor Publikum, aber per Zoom ohne im Saal zu sein.

Theater lebt von der Interaktion – zwischen den Schauspielern, aber auch mit dem Publikum. Das wissen Improvisations-Schauspieler nur zu gut. Sie brauchen Nähe ebenso wie Distanz und lechzen förmlich danach, dass ihnen die Gäste im Saal Ideen liefern. Sogleich versuchen sie dann, diese Vorgaben in Szenen und Songs umzusetzen, meistens gelingt es verblüffend gut. All das war dreieinhalb Monate coronabedingt in der Stadt nicht mehr möglich.

Weil Stillstand indes auch künstlerisch Rückschritt bedeutet, wagt Hidden Shakespeare am heutigen Mittwoch ein Experiment: Die Mutter aller Hamburger Improtheater-Gruppen, seit 27 Jahren auf den Bühnen der Hansestadt und andernorts wie schon beim Alt-Bundespräsidenten Horst Köhler auf Schloss Bellevue zu erleben, tritt im Saal 1 des Zeise Kinos vor Publikum auf – ohne dass die Ensemblemitglieder persönlich anwesend sind.

Die aktuell vier Hidden-Spieler Kirsten Sprick, Mignon Remé, Frank Thomé und Rolf Claussen (Söhne Hamburgs) – Urmitglied Thorsten Neelmeyer pausiert zurzeit – bleiben zu Hause und wollen sich dennoch von den Kinogängern tragen lassen. Maximal 90 Besucherinnen und Besucher können unter Wahrung der Abstandsregel im Saal sitzen, die Bühnen-Spontis sowie ihr Musiker und Moderator Jannis Kaffka schalten sich parallel via Internet mit der Videokonferenz-Plattform Zoom zusammen. „Wir haben sechs Video-Fenster, das sechste ist fürs Publikum“, erläutert Gruppen-Mitgründerin Kirsten Sprick.

Geprobt hat Hidden Shakespeare auch per Zoom

Die ausgebildete Schauspielerin hat Hidden Shakespeare mit ihrer Kollegin Mignon Remé quasi im Wohnzimmer gegründet. Beim „Junge Hunde“-Festival 1993 auf Kampnagel machte die Gruppe erstmals von sich reden. Neben der Steifen Brise, bereits seit 1992 am Start, ist Hidden Shakespeare die dienstälteste Hamburger Improtheater-Gruppe. Doch die Corona-Krise hat auch Sprick und Co., in Hamburg bisher im Schmidt Theater, Alma Hoppes Lustspielhaus und im Polittbüro zu Hause, zu neuen Wegen gezwungen. Oder sollte man besser sagen: inspiriert?

Geprobt hat Hidden Shakespeare in den vergangenen Wochen abstands- und hygienebedingt via Internet-Stream per Zoom mehrmals. Dieses Zusammenspiel nun auf die Leinwand zu transportieren, das nennt Kirsten Sprick, die auch als Schauspieldozentin tätig ist, „eine Weltneuheit, bei der es jede Menge Hürden gibt“. „Aber wir können alle zeitgleich auf einer Bühne sein, was uns ja ansonsten nicht erlaubt ist.“

Technische Schwierigkeiten im Spiel

Der Unterschied: Das Publikum kann das, was nach seinen Einfällen an Charakteren, Spielorten und Genres spontan entsteht, auf der Kinoleinwand jetzt auch in Großaufnahme(n) sehen. „Die Zuschauer werden hautnah dabei sein“, erklärt Kirsten Sprick. Indes: Ob dramatischer Dialog, anrührende Liebesszene oder komödiantischer Streit – feuchte Aussprache und deren etwaige Folgen sind praktisch und theoretisch ausgeschlossen. Das gilt jedoch nicht für technische Pferdefüße: Als die Hidden-Mitglieder vor den Laptop-Kameras miteineinander geprobt haben, hätten sie festgestellt, dass der Ton so manches Mal nicht auf Anhieb verständlich gewesen sei. „Diese Schwierigkeiten werden wir mit einbauen“, haben Sprick und Kollegen beschlossen.

Weil aber Jannis Kaffkas Musik stets nur mit Verzögerung zu hören wäre, sollten die Zuschauer im Kinosaal diesmal nicht unbedingt feine Gesangseinlagen erwarten. Dafür ist Hidden Shakespeare ansonsten bekannt, die Hamburger Impro-Gruppe gilt auch überregional als Meister der sogenannten Langform und baut gern Duette ein. Sprick kann sich im Zeise Kino stattdessen zwei bis drei kleine Geschichten vorstellen, denn nach gut einer Stunde muss Schluss sein – der Saal soll schließlich gut durchlüftet werden.

Kino-Chef Elwardt hat schon Interesse an Neuauflage

Bei Zeise-Geschäftsführer Matthias Elwardt stieß Hidden Shakespeare dennoch auf offene Ohren: Der umtriebige Programmplaner hatte die Gruppe bereits während seiner Abaton-Zeit bei zwei Hamburg-Premieren präsentiert: Für den ohne Drehbuch entstandenen Film „Heiligabend mit Hase“ hatte Hidden Shakespeare 2012 beim Festival in Saarbrücken den Max Ophüls Preis gewonnen, 2015 kam „Ein Endspiel“ ins Kino, es spielte am Finaltag der Fußball-WM 2014. Die beiden improvisierten Filme waren jeweils ohne Publikumsvorgaben entstanden.

Jetzt half der von der Hamburgischen Kulturstiftung initiierte Fonds „Kunst kennt keinen Shutdown“, das 2500 Euro teure Projekt zu finanzieren. Der Künstler Diederik Nortier wird das Publikum filmen, damit es die Schauspieler auch direkt auf ihren Laptops sehen. „Wir wissen nur noch nicht, wie wir uns verbeugen sollen“, sagt Kirsten Sprick lachend. Kino-Chef Elwardt meint es jedoch ernst: Schon vor der Weltpremiere signalisierte er Interesse an einer Neuauflage des gezoomten spontanen Spiels Mitte August.

Hidden Shakespeare – Live auf der Leinwand Mi 1.7., 19.15 Uhr, Zeise-Kino 1 (Bus­ 2, 150), Friedensallee 7-9, personalisierte Anmeldung für max. 90 Zuschauer erforderlich unter E-Mail: office@hiddenshakespeare.de, Eintritt frei, Spenden im Saal erwünscht