Hamburg. Der Film erzählt eine verzauberte und sehr deutsche Geschichte. Ein Gespräch mit Regisseur Christian Petzold.

Sagenhafte Frauen, davon gibt es in der deutschen Folklore eine ganze Menge: die Loreley, Kriemhild, Frau Holle, die Weiße Frau. Ein besonderes rätselhaft-gefährliches Wesen ist Undine. Die Nymphe, die schon in einem Gedicht aus dem 14. Jahrhundert auftauchte, bekommt eine Seele, wenn sie sich verliebt. Aber wehe, wenn der Kerl sie fallen lässt. Dann wird es für ihn lebensgefährlich. Christian Petzold, der deutsche Regisseur, der mit die interessantesten Frauenfiguren auf die Leinwände bringt, hat diese alte Geschichte mit einer wunderbaren Paula Beer in der Hauptrolle neu verfilmt. Bei der Berlinale wurde sie als beste Schauspielerin ausgezeichnet, und der Film gewann den Kritikerpreis Fipresci. An diesem Dienstag stellen beide das Drama im Abaton und im Zeise vor.

Wie geht es Ihnen?

Christian Petzold: Jetzt wieder ganz gut. Ich habe Corona gehabt, das war nicht schön, aber jetzt bin ich immun und nicht infektiös. Ich hatte Zeit, um mich um meinen nächsten Film zu kümmern, den ich 2021 drehen will. Jetzt freue ich mich auf einen schönen Sommer.

Die Undine in Ihrem Film heißt Wibeau mit Nachnamen. Ist das eine Hommage an Ulrich Plenzdorf und seinen Roman „Die neuen Leiden des jungen W.“?

Genau. Als ich noch Schüler war, habe ich den gleichnamigen Film mit Klaus Hoffmann in der Titelrolle gesehen. Den fand ich großartig, Hoffmann hat mir darin gut gefallen. Ich habe mich damals über den Nachnamen des Titelhelden gewundert, der ja auch Wibeau heißt. Unser Klassenlehrer hat uns von der hugenottischen Gemeinde von Berlin erzählt und die Hintergründe erklärt. Undine ist ja ursprünglich auch ein französisches Märchen, das über die Brüder Grimm und andere nach Deutschland gekommen ist.

Der Film war toll, warum er wohl so gut wie nie wiederholt worden ist?

Das habe ich auch vermisst. Gerade in der Corona-Zeit, als ich drei Wochen das Bett hüten musste, habe ich nicht verstanden, warum das deutsche Fernsehen seine Perlen nicht mal in einer kuratorischen Aktion aufgearbeitet hat. Stattdessen bekam ich von Netflix den Vorschlag, mir mal den Film „Transit“ anzugucken. Aber der ist ja von mir selbst.

Wie jetzt „Undine“ – wie sind Sie überhaupt auf dieses Thema gekommen?

Frauen, die aus dem Wasser kommen und aussehen wie bei einem Wet-T-Shirt-Wettbewerb oder sogar nackt sind, die kannte man ja schon. Der Undine-Mythos hat mich zuerst gar nicht so interessiert, weil er ein ganz klares Männerding ist. Aber ich habe das Buch von Peter von Matt gelesen: „Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur“. Darin gibt es ein Kapitel über die Undine bei Ingeborg Bachmann. Die erzählt aus der Perspektive von Undine, die ihre Identität nur durch die Männer hat, aber eine eigene haben will. Diese Zerrissenheit – das sind die Frauenfiguren, die mich interessieren.

Nur Sie oder auch Ihre Schauspielerinnen?

Wenn man mit ihnen spricht, sei es wie früher Nina Hoss oder jetzt Paula Beer, merkt man oft, dass sie etwas erlebt haben, was nicht weit weg von diesen mythologischen Figuren ist. Schauspielerinnen werden ja oft selbst als Muse missbraucht. Sie werden erst gerufen und dann wieder weggeschickt. Das ist gar nicht so weit weg von Undine. Wir haben deshalb miteinander oft und viel über den Beruf der Schauspielerin gesprochen. Das hat große Freude gemacht.

War Paula Beer von Anfang an rätselhaft genug für die Titelrolle?

Ich bin durch die Arbeit mit Paula und Franz Rogowski an „Transit“ in Marseille erst auf die Idee gekommen. Ich habe mal für den Kurzfilm „Undine“ von Harun Farocki die Anfangsszene mit ihm geschrieben. Paula und Franz sind mir sehr ans Herz gewachsen. So etwas passiert nicht so oft. Nicht nur, weil sie so wunderbare Menschen sind, sondern weil ich erkannt habe, welche Möglichkeiten in diesem Paar drinstecken. Ich habe ihnen von dieser kleinen Szene erzählt und so getan, als ob es schon ein ganzes Drehbuch gäbe. Bei diesen beiden Zuhörern ist mir das Erzählen leichtgefallen. Ich wusste gleich, dass beide mitspielen sollten, auch wenn Franz wollte, dass der Film „Undino“ heißt.

Einige Szenen aus „Undine“ spielen unter Wasser. Haben Sie so etwas vorher schon einmal gemacht?

Nein. Mein ganzes Leben lang finde ich aber schon, Unterwasser-Filmbilder sind die schönsten. Es gab in Hamburg mal eine Ausstellung mit Werken von Brian Eno, der Videoinstallationen gezeigt hat. Er hatte Wasseroberflächen von oben aufgenommen: das Meer, Bäche, Tümpel. Das hat er auf Röhrenfernsehern abgespielt, die aber mit der Röhre nach oben lagen. Man hatte also das Gefühl, das direkt unter der Oberfläche Wasser wäre. Das hat mich fasziniert, wie auch einige Szenen aus den James-Bond-Filmen. Diese Welt ist nicht verbal, sondern nur akustisch. Sie hat keinen Dialog, sondern nur Gesten und Bewegungen und ähnelt eher dem Tanz oder den Delfinen. Das hat mir Spaß gemacht. Wir haben im großen Studio in Babelsberg ein Riesenbecken und eine eigene Welt bauen lassen. Computeranimationen sind nämlich drei Jahre später schon wieder langweilig. Gebaute Filmwelten wie in Richard Fleischers „20.000 Meilen unter dem Meer“ haben bis heute ihren Zauber.

Ist an der „Undine“-Geschichte etwas typisch deutsch?

Deutsche sind immer als Ingenieure und Wissenschaftler gut. Leider sind sie immer nur damit beschäftigt, die Welt zu entzaubern und zu kapitalisieren. Gleichzeitig haben sie zu Hause romantische Träume, vielleicht aus Schuldgefühl. Sie bauen Talsperren, fluten Städte, vermuten aber unter der Oberfläche mystische Wasserfrauen.

Was ist Undines Zauber?

Im Mythos ist sie unfassbar schön und gibt sich vollkommen hin. Das ist eine Männerfantasie. Meine Undine ist eine, die sich nicht mehr hingeben will. Die Männerfantasie wehrt sich.

Im Film kommt auch ein Wels vor, der Gunter heißt. Ist das eine Anspielung auf die Nibelungen?

Das war eher zufällig. An der ersten Talsperre, an der ich drehen wollte, gibt es eine versunkene Stadt. Da gab es angeblich auch einen Wels namens Gunter, um den sich viele Geschichten ranken. Er ist eigentlich ein verzauberter und mit einem Fluch belasteter Prinz, der eine junge Schäferin vergewaltigt und getötet hat.

Warum steht Undines Namen unter Wasser auf einem alten Torbogen?

Das ist der Eingang zu einer eigenen Welt oder einem Friedhof. Er ist daraufgeritzt, wie verliebte Menschen über Wasser das manchmal auf Bäumen machen.

Undine arbeitet als Fremdenführerin im Humboldt-Forum. Wieso spielt die Berliner Architektur in Ihrem Film eine so wichtige Rolle?

Mein Freund und Kollege Christoph Hochhäusler, der auch Architektur studiert hat, hat mich mit in eine Ausstellung genommen. Da habe ich entdeckt, wie jung die Hauptstadt im Grunde genommen noch ist. Man konnte in der Ausstellung sehen, wie schnell sie gebaut, wieder zerstört und erneut aufgebaut worden ist. Vieles ist zusammengeflickt und vernarbt. Für mich ist Berlin die deutsche Stadt.

Sie haben auch gute Schauspieler mit dabei, die nur ganz kleine Rollen spielen: Anne Ratte-Polle, Maryam Zaree …

Anne Ratte-Polle hatte ich zuerst in „Die Nacht singt ihre Lieder“ gesehen. Ich fand sie darin ganz toll. Mit Maryam Zaree habe ich vorher schon zwei Filme gemacht, in denen sie eine Hauptrolle gespielt hat. Mein Traum ist es, ein Ensemble zu haben, in dem die Schauspieler mal im Zentrum stehen, mal in der Peripherie sind. So stelle ich mir organisches Filmemachen vor.

Wie sehen Sie die Startsituation für diesen Film?

Es ist ein Lackmustest. Ich freue mich aber sehr, dass man mal wieder ins Kino gehen kann. Immer nur gestreamte Filme zu gucken, die man dauert anhält, weil das Telefon klingelt, davon habe ich die Nase voll. Ich würde mir alles im Kino angucken, sogar die „Tagesschau“.

Und was ist Ihr nächstes organisches Filmthema?

Ich möchte eine Trilogie der Elemente machen. Undine stand für das Wasser. Jetzt beende ich gerade ein Buch, in dem es um Feuer geht.

„Undine“ Hamburg-Premiere Di 30.6., Abaton (19.00), Zeise (20.30), ausverkauft