Hamburg. Merlin Sandmeyer erhält am Sonntag die renommierte Hamburger Theaterauszeichnung. Begegnung mit einem Ausnahmetalent

Der Schauspieler Merlin Sandmeyer ist erst seit kurzem Teil des Thalia-Ensembles. Und trotzdem ist es ganz unmöglich, ihn zu übersehen. Seine schmale, sehr bewegliche Silhouette hat sich schon nach wenigen Inszenierungen ins Gedächtnis des Zuschauers eingebrannt. Und dabei spielte er noch nicht einmal große Hauptrollen. Ob er als Bote 15 Mal an die Seitenwand rennt in Stefan Bachmanns Shakespeare/Düffel-Adaption „Rom“ oder als pubertierender Sonderling in zu kurzen Hosen auf einem Fahrrad seine Runden in der Gaußstraße zieht, in Charlotte Sprengers sehr poetischer Version von Saša Stanišićs „Vor dem Fest“.

Verdient erhält der 29-jährige Sandmeyer am 8. Dezember den diesjährigen Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung, eine Auszeichnung, die ihn in eine Liga stellt mit ehemaligen Nachwuchstalenten wie Martin Wuttke, Ulrich Tukur, Fritzi Haberlandt oder Mirco Kreibich. Sandmeyer war über die Auszeichnung „total überrascht“, er sei ja erst kurz hier, sagt er, rückt seine Mütze zurecht, die er zu einer eleganten Sportjacke trägt und blickt einen aus sehr hellen, verschmitzten Augen an. „Mich haben ja noch gar nicht so viele Leute gesehen.“

Merlin Sandmeyer: Mutter ist Tänzerin, der Vater Bühnenmeister

Merlin Sandmeyers handwerkliches Können stehe ganz im Zeichen einer auch körperlichen Intelligenz, einer großen Lust an die Grenzen des Darstellbaren zu gehen, heißt es in der Jurybegründung. Sein Talent für Komödie, seine Lust am Slapstick sind in seinen bisherigen Arbeiten immer sichtbar. „Mich interessiert Humor auf der Bühne. Das ist vielleicht manchmal eine Flucht, aber die Komödie ist dann doch meist schwerer zu spielen als die Tragödie“, sagt Sandmeyer. Das humorvolle Spiel verbindet er häufig mit sehr viel Körpereinsatz und auch mal mit bewusster Übertreibung und Ausreizung. „Ich suche dadurch den Kontakt zum Publikum. Nicht um Lorbeeren einzuheimsen, Preise oder Lacher zu kriegen. Ich richte mich gerne nach außen und frage mich, wo kann man den Zuschauer verführen.“

Sandmeyer mag zwar neu in Hamburg sein, erlebt hat er in seiner künstlerischen Karriere aber schon eine Menge. Und tatsächlich ist er sehr vorgeprägt, was das Theater betrifft. Die Mutter ist Tänzerin, der Vater Bühnenmeister, beide lernten sich am Theater kennen. Auch der Großvater war schon Beleuchtungsmeister und die Großmutter Kostümbildnerin. Eine Theaterfamilie also. Sandmeyer besucht die Waldorfschule in Saarbrücken und kurz vor dem Abschluss festigt sich der Berufswunsch. Gleich im ersten Anlauf wird er an der Otto Falckenberg Schule in München aufgenommen. Hier studiert Sandmeyer von 2012 bis 2016 und kann über die Kooperation der Schule mit den Münchner Kammerspielen frühe Bühnenerfahrungen etwa in in „Hundeherz“ von Michail Bulgakow sammeln.

In Hamburg fühlt sich Merlin Sandmeyer sofort wohl

Dabei sieht ihn Kay Voges, Intendant des Theaters Dortmund. Er gewinnt Sandmeyer für eine Inszenierung. Doch als er bleiben soll, sagt er ab. „Ich bin an die eher ‚konservative’ Wiener Burg gegangen, anstatt Rock n’ Roll in Dortmund zu erleben“, lacht Merlin Sandmeyer.

In Wien regiert Karin Bergmann. Er arbeitet mit Regisseuren wie Michael Thalheimer und Herbert Fritsch. Fritsch, für exzessive Spielfreude bekannt, lehrt ihn, mit mehr Maß die Grenzen des Humors und des körperlichen Spiels auszuloten. Körperlich fordernd sei das Spiel bei beiden gewesen, erzählt Sandmeyer. Das könne mal im Exzess liegen, aber eben auch mal in der totalen Konzentration und einer minimalen Geste. In Wien arbeitet er auch mit Antú Romero Nunes, einer der Gründe, warum er ein Angebot nach Hamburg annimmt. Jetzt ist Sandmeyer ein wenig betrübt, dass Nunes nur noch eine Arbeit zeigen wird, bevor er nach Basel weiterzieht. „Mal schauen, wo und wann wir uns noch mal wieder treffen“, sagt er.

In Hamburg fühlt sich Merlin Sandmeyer sofort wohl. Auch wenn er sein intensivstes Hobby hier „Umziehen“ nennt. Kurzzeitig wohnt er gegenüber der Davidwache auf der Reeperbahn, dort sei er richtig gut in der Stadt angekommen. Der Schauspieler lächelt vieldeutig. Seine mittlerweile dritte Wohnung liegt in Eimsbüttel, in seiner sparsamen Freizeit schraubt er an einem VW-Bus.

Manchmal entsteht der Humor des Merlin Sandmeyer aus Verzweiflung

In der Ensemble-Familie wurde Merlin Sandmeyer sofort heimisch. „Man ist sofort Teil der Gruppe und muss ran. Das ist schön normal.“ So etwas wie preiswürdiges Spiel könne keinesfalls alleine entstehen, es brauche eine Inszenierung und Kollegen. So wie in „Vor dem Fest“, seiner bisherigen Lieblingsarbeit. „Die Gruppe ist nicht so groß, da kann man viel entwickeln. Ich spiele ja diesen jungen Typen von 16 Jahren, der keine Freunde hat und Jungfrau ist. Er ist einfach herzzerreißend sympathisch, da bringt es viel Spaß auch mal ins Klischee zu gehen.“

Manchmal entsteht der Humor des Merlin Sandmeyer aus Verzweiflung. In „Rom“ kämpft das Ensemble mit der behäbigen Holz-Wippe von Bühnenbildner Olaf Altmann. „Das kann einen im Spiel extrem einschränken. Es steht immer in einer gewissen Konkurrenz mit dem Spieler“, so Sandmeyer. Er wollte sich nicht einschränken lassen. „Also habe ich diesen Boten erfunden, der in Eile ist und seine Nachrichten dauernd vergisst und nicht zwei Mal gegen die Wand rennt, sondern 15 Mal“, sagt Sandmeyer. Das seit total flach, gibt er zu. Eingebrannt hat es sich aber doch.

Nicht nur in dieser Inszenierung ist sichtbar, dass Merlin Sandmeyer ein starkes Interesse daran hat, mit seinem Körper zu erzählen. „Andere sind vielleicht mehr am Text interessiert. Ich habe oft Angst vor dem Text. Ich suche eher eine Musik in der Sprache.“ Sandmeyer gibt offen zu, eher wenig zu lesen. Eigentlich nur das Notwendige. Sein Zugang zu Theater ist ein anderer, damit ist er eine Bereicherung für das Ensemble. Und absolut preiswürdig.

Verleihung Boy-Gobert-Preis 2019 an Merlin Sandmeyer So 8.12. 11.00, Thalia Theater, Alstertor, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich.