Hamburg. Die Sopranistin Sonya Yoncheva gibt demnächst ihr Elbphilharmonie-Debüt. Ein Gespräch über Stimme, Stimmung, Kritik und Karrierewege.
Sie solle künftig nur noch Hauptrollen singen, sich die Haare wachsen lassen – und vor allem abnehmen. Als Martha Domingo, die Frau von Placido Domingo, Sonya Yoncheva vor neun Jahren diese Karrieretipps gab, war die bulgarische Sopranistin noch am Anfang ihrer Karriere.
Inzwischen ist die heute 37-Jährige, die damals tat, wie ihr empfohlen, an den großen Opernhäusern der Welt zu Hause und hat für Sony Classical unter anderem Alben mit Händel- und Verdi-Arien aufgenommen. Die zweifache Mutter (und Rolex-Markenbotschafterin) steht hoch im Kurs und wird wechselweise mit Maria Callas, Mirella Freni oder Joan Sutherland verglichen. Ihr Elbphilharmonie-Debüt am 9. November ist seit Monaten ausverkauft.
Sonya Yoncheva – eine Sopranistin, die nie Kritiken liest
Im Oktober haben Sie ihr zweites Kind bekommen, bereits am 9. November singen Sie in der Elbphilharmonie. Eher ungewöhnlich, oder?
Sonya Yoncheva: Das stimmt, aber ich habe auch bereits fünf Wochen nach der Geburt unseres ersten Kindes auf der Bühne gestanden und das war kein Problem. Ich fühlte mich in Form, brauchte keine längere Pause und hatte außerdem sehr gute familiäre Unterstützung. Mein Mann fand das auch in Ordnung, also hab ich mir den kleinen Mateo geschnappt und bin zur Met nach New York geflogen.
Waren Sie in Sorge, dass sich durch die Geburt Ihre Stimme verändert hatte?
In Sorge nicht, eher im Gegenteil: Wenn eine Frau Mutter wird, heißt es doch im Allgemeinen, sie werde dadurch schöner und femininer. Gleiches gilt für die Stimme, die sich zum Positiven verändert. Auch ich selbst bin eine andere. Nicht mehr die Karriere und das Reisen stehen im Vordergrund, es gibt seitdem noch etwas anderes sehr wichtiges in meinem Leben. Viele Paare haben heute Angst, diesen Schritt zu tun und Verantwortung für Kinder zu übernehmen, aber es bereichert das Leben so unendlich. Um auf die Stimme zurückzukommen: Meine Mittellage hat sich durch die erste Schwangerschaft verändert und ich war plötzlich bereit für dramatische Rollen. Ich konnte mein Repertoire also deutlich erweitern.
An der Met sind Sie 2013 direkt ins kalte Wasser gesprungen, als Sie als Last-Minute-Einspringerin die Mimi in „La Bohème“ sangen. Das hätte auch schief gehen können. Waren Sie sehr aufgeregt?
Nein, denn ich bin grundsätzlich nicht sehr anfällig für Stress. Lampenfieber, wie andere es kennen, habe ich nie erlebt. Im Gegenteil: Die Bühne ist mein Zuhause, ich liebe sie. Ich liebe es zu spielen, in unterschiedliche Charaktere zu schlüpfen. Am allermeisten bedeutet mit die gebannte Stille des Publikum am Ende einer Arie. Das ist so eine Art Theater-Orgasmus. Als ich an der Met in „La Traviata“ gesungen habe, habe ich gebetet, dass nach der Arie „Addio, del passato“ niemand applaudiert, denn es ist so ein trauriger und bewegender Moment.
Dabei gibt es sogar Dirigenten, die extra eine Pause lassen für den aufbrandenden Applaus...
Weil sie dem traditionellen Gedanken nachhängen, dass es gut sei, so viel Applaus wie möglich zu bekommen. Für mich ist das anders. Eine Oper ist nicht einfach eine Ansammlung bestimmter Szenen oder Arien, es ist keine Zirkusveranstaltung. Erst nach dem letzten Akt ist die ganze Geschichte erzählt. Dann ist es Zeit für Applaus. Das heißt nicht, dass man nicht zwischendurch begeistern sein kann. Bei Belcanto-Opern sind die Koloratur-Arien oft so etwas wie vokale Gymnastik und wirklich spektakulär, da ist es dann schon mal möglich, eine Arie sogar zu wiederholen, wenn das Publikum danach verlangt.
Brauchen Sie in der Familie besonderen Schutzraum, also Ruhe und möglichst wenig Stress, an Tagen, an denen Sie auf die Bühne gehen?
Nein, ich bin da ganz normal. Ich koche für die Familie oder bespreche mit dem Babysitter, was zu tun ist, während ich fort bin.
Sie sind Sängerin, ihr Mann Domingo Hindoyan ist Dirigent. Heißt das, Sie reden zuhause ständig über Musik, also über die Arbeit?
Wir haben natürlich sehr viele andere Themen, das ergibt sich schon dadurch, dass wir eine Familie sind und Kinder haben. Auf der anderen Seite sind wir natürlich im selben Geschäft – aber auf ganz unterschiedlichen Positionen. Er ist Dirigent, ich bin Sängerin. Wenn wir über künftige Projekte sprechen, ist das sehr hilfreich, weil wir die Dinge aus unterschiedlichen Positionen betrachten. Als ich noch jünger war, habe ich die Dirigenten immer als meine Feinde betrachtet. Mit den Regisseuren ist das teilweise bis heute so. Dadurch, dass mein Mann Dirigent ist, habe ich inzwischen viel mehr Verständnis für sie. Ich weiß, dass sie harte Arbeit leisten und teilweise einfach andere Schwerpunkte als wir Sänger setzen müssen. Viele Dirigenten denken, dass Sängerinnen und Sänger arrogant sind und immer wieder Vorstellungen aus nichtigen Gründen absagen. Das mag von außen betrachtet manchmal so erscheinen, aber wir sind sehr fragile Geschöpfe. Unser Instrument ist in unserem Körper und wenn es dem Körper nicht gut geht, leidet eben auch die Stimme. Schon eine Stimmungsschwankung kann die Stimme verändern. Unter diesen Voraussetzungen innerhalb einer Saison fünf oder sechs Vorstellungen abzusagen, ist nicht viel.
Ihre Mutter hat früh entschieden, dass Sie in den künstlerischen Bereich gehen sollten...
Als Kind war es nicht leicht, denn meine Mutter ließ mir keine Wahl und ich war erst sechs Jahre alt, als ich regelmäßig zum Klavierunterricht musste. Mit 15 habe ich gemerkt, dass ich singen kann. Von da an wurde es besser, denn ich hatte meinen Platz gefunden. Heute bin ich froh, dass meine Mutter damals diese Entscheidung für mich getroffen hat.
Würden Sie den Lebensweg ihrer eigenen Kinder ebenso bestimmen wollen?
Nein, keinesfalls. Aber es war eine ganz andere Zeit. Meine Mutter lebte damals in einem unfreien Bulgarien, wo eigentlich kein Platz für Träume, für Auf- und Ausbruch war. Für mich ist das heute natürlich anders. Ich möchte meinen Kindern ermöglichen, dass sie selbst entscheiden können, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.
Es kommt Ihnen familiär sicherlich entgegen, dass in ihrem Beruf sehr langfristig geplant werden kann...
Allerdings. Die nächsten fünf, sechs Jahre sind schon weitgehend gebucht; in diesem Geschäft ja ganz normal. Meinem Mann und mir gibt diese Langfristigkeit die Gelegenheit, eine künstlerische Strategie zu entwickeln.
Worin besteht die derzeit? Sie haben Barockopern gesungen, sind dann zu Verdi und Puccini gewechselt, wie sieht es mit Wagner aus?
Da gibt es sehr konkrete Pläne. In fünf Jahren steht für mich das erste Wagner-Projekt an. Ich singe Elisabeth im „Tannhäuser“. Eine Rolle, von der ich träume, seit ich im Alter von 19 Jahren Nina Stemme in Genf als Elisabeth gehört habe. Ich musste aber nicht nur aus musikalischen Gründen warten, sondern auch, weil man eine gewisse persönliche Reife braucht, um eine solche Rolle zu singen.
Und wo findet das Rollendebüt statt?
Das darf ich noch nicht verraten.
Ihre Auftritte als Tosca, Medea und Poppea sind von Kritikern hoch gelobt worden. Was, wenn es doch mal einen Verriss gibt?
Ich lese nie Kritiken. Musik ist kein Sport, man kann nichts messen, keine Noten vergeben. Es ist wie mit Wein, dem einen schmeckt er, dem anderen eben nicht. Für mich ist es wichtig, wie das Publikum reagiert und welches Gefühl ich selbst habe. Die Meinung eines Kritikers fällt für mich dahinter zurück. Einzige Ausnahme ist mein Mann. Ihm vertraue ich zu 200 Prozent.
In Hamburg singen Sie jetzt ein Galakonzert in der ausverkauften Elbphilharmonie. Ist so etwas ein Zeichen dafür, es wirklich geschafft zu haben, ein Star zu sein?
Es ist jedenfalls ein wichtiger Karriereschritt, denn das Publikum ist zumindest teilweise ein anderes als in der Oper. Als Sängerin ist man viel ungeschützter bei einem Galakonzert und viel geforderter: Man singt acht, neun oder sogar zehn Arien nacheinander. Das passiert ja in der Oper nie. Da hat man Pausen zwischen den Auftritten, trinkt etwas, redet mit Kollegen, bevor es wieder auf die Bühne geht. Dennoch: Ich freue mich sehr darauf.