Hamburg. Der französische Star spielt am Thalia Theater in „Mary Said What She Said“. Inszeniert hat Bob Wilson („The Black Rider“).

Robert Wilson ist zurück am Thalia Theater – fast 30 Jahre nach seinem großen Erfolg mit „The Black Rider“ (1990). Das ist an sich schon eine kleine Sensation. Der US-Regisseur, der in frühen Jahren der Avantgarde zugerechnet wurde, der mit Zwölf-Stunden-Stücken und teilweise zum Stillleben gefrorenen Bühnenerzählungen sein Publikum herausforderte, eroberte mit dem teuflischen Musiktheaterstück ein breites Publikum. Es folgten „Alice“ (1992), „Time Rocker“ (1996), „POEtry“ (2000) – dann kam eine lange Hamburg-Pause.

Jetzt, mit 77 Jahren, ist Robert „Bob“ Wilson noch immer eine elegante Erscheinung und gekommen, um sein neues Werk „Mary Said What She Said“ vorzustellen. In der Rolle der schottischen Königin Maria Stuart: Isabelle Huppert. Die französische Starschauspielerin („Die Klavierspielerin“) nimmt im Teeraum des Thalia Theaters ihre Fliegerbrille ab und stellt sich gemeinsam mit Wilson dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Nach „Orlando“ (1993) und „Quartett“ (2005) spielt die hochgeschätzte Charakterdarstellerin nun in Hamburg gleich dreimal die schottische Königin am Vorabend ihrer Hinrichtung. Das Gastspiel ist zugleich Auftakt der Reihe „Thalia International“.

Für Bob Wilson ist Isabelle Huppert die perfekte Besetzung

Auch eine Isabelle Huppert muss sich der Ästhetik Wilsons mit seiner balletthaften Gestik, den einschnürenden Kostümen und den weiß geschminkten Gesichtern unterwerfen. Das tut sie offenbar gern. „Ach, mir kommt er nicht so streng vor. Ich denke nicht, dass er Grenzen setzt, eher dass er einen Schutz bietet, einen Rahmen, der einem hilft. In diesem Rahmen ist man total frei“, sagt sie. „Es geht nicht um eine Illusion oder eine Erzählung mit psychologischen Figuren. Es ist abstrakter, man kann darin so viele intime Momente finden. Das Unbewusste kommt an die Oberfläche. Ich würde immer wieder mit ihm arbeiten.“ Einen großen Unterschied zwischen der Arbeit für Theater oder Kino sieht sie nicht. Für Bob Wilson ist Isabelle Huppert die perfekte Besetzung. „Sie denkt abstrakt“, sagt er. „Sie hat nie nach einer Interpretation gefragt. Das war sehr erleichternd für mich.“

Wirkt die grazile Isabelle Huppert geradezu alterslos, so ist in Bob Wilson noch immer der fantasiebegabte Junge zu erkennen, der einst von Ängsten geplagt war und stotterte. Das gewöhnte ihm erst eine Tanzpädagogin ab. Eine Erfahrung, die er später für die Arbeit mit verhaltensgestörten Kindern nutzte und die seine Kunst bis heute prägt. Der Reichtum von Maria Stuarts Leben habe ihn interessiert, sagt er. Und der Autor Darryl Pinckney habe einen sehr gebrochenen, facettenreichen Text verfasst.

Inszenierung spielt auf einer nahezu leeren Bühne am Thalia

Isabelle Huppert stand bereits in Schillers „Maria Stuart“ auf der Bühne. „Dieser neue Text ist sehr poetisch und bietet einen sehr freien Zugang zu ihrem Leben“, sagt sie. „Er zeigt viele Gefühle, gibt einem die Möglichkeit, durch Empfindungen zu gehen, durch Liebe und Trauer.“ Maria Stuart sei „mal hart, mal kindlich“. Bob Wilsons Inszenierung erlebe sie als rhythmisch, physisch, musikalisch. „Man muss sich nicht direkt auf die Bedeutung des Textes beziehen, es geht stärker um Empfindungen, die der Text hervorruft.“

Die Inszenierung spielt auf einer nahezu leeren Bühne und Wilson ist der Herrscher über Zeit und Raum. „Meine Arbeiten sind, anders als viele Leute glauben, sehr klassisch, sehr traditionell. Sie haben ein Thema und Variationen“, sagt er. „Sie sind eher wie Musik geschrieben oder wie Choreografen Tanz notieren. Auch ein George Balanchine hat klassisch architektonisch gearbeitet.“ Für Wilson sei Schauspiel per se Improvisation im Sinne eines Agierens im Hier und Jetzt, fügt Isabelle Huppert hinzu.

Vielleicht passt Wilsons Kunst besonders gut in unsere komplexe Zeit – jedenfalls erklärt er, es widerstrebe ihm, wenn der Zuschauer alles verstehe. Dass ihn Worte nicht interessieren würden, sei ein großes Missverständnis, sagt der Regisseur, der etliche Abende zu Heiner Müller und William Shakespeare vorweisen kann.

Keine üblichen Theaterkategorien

Kritiker bescheinigen ihm eine unveränderte Verfremdungs-Perfektion – über die Wirkungsmacht seiner Inszenierungen ist man sich uneins. Das Schaffen des studierten Architekten aus Waco/ Texas, ist historisch zu nennen, auch wenn man mit den üblichen Theaterkategorien bei ihm nicht wirklich weit kommt. Es gibt eben keine Handlung, keine Entwicklung, keinen Höhepunkt, kein Drama. Dafür die Anmutung von Ritualen, das Gefühl von Transzendenz. Wilson-Abende sind Forschungsreisen mit minimalen, kaum wahrnehmbaren Veränderungen und Verschiebungen. Das gilt auch für „Mary Said What She Said“.

Der Abend ist ein großes Solo für Isabelle Huppert. „Ich bin gern allein auf der Bühne sagt sie. Natürlich habe ich Angst, aber ich habe gerne Angst.“ Als sie sich für die gleich anstehende Vorstellung in die Maske verabschiedet, fügt Wilson hinzu: „Sie hat keine Angst, kalt zu sein. Heiß und kalt zugleich. Sie hat begriffen, dass darin ihre Macht liegt.“

„Mary Said What She Said“ 28.9., 16.00 u. 20.00, Thalia Theater, Alstertor, ggf. Restkarten an der Abendkasse