Hamburg. Von vorhersehbar ermüdend bis nachhaltig beeindruckend: Ein Abend mit La Tristura und Kris Verdonck beim Sommerfestival.

Von den Sehnsüchten Jugendlicher bis hin zu den Albträumen im Angesicht der Klima-Apokalypse: Große Themen dominieren zwei Premieren beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel. Künstlerisch allerdings könnten sie kaum unterschiedlicher ausfallen.

In der Deutschlandpremiere von „Future Lovers (Unplugged)“ des spanischen Kollektivs La Tristura blickt eine junge Frau auf einen prägenden Moment ihres Lebens zurück. Und wie ein nebulöser Traum beleben sich auf der Bühne ihre Erinnerungen an die studentische Clique, an rauschhafte Nächte mit Alkohol, Tanzekstase, Sex, dem Verschmelzen mit der Natur.

In der Rückschau haben die jungen Leute immer die Kamera im Anschlag – für das nächste Instagram-Bild. Die typischen Jugendthemen sind spürbar, dieses Drängen, diese Energie, das Ganz-viel-Wollen und Nicht-genau-Wissen-wie. Die sechs jungen Spanierinnen und Spanier performen das mit Inbrunst und erstaunlich luziden Texten, doch warum ausgerechnet ein bestimmter Liebesmoment lebensentscheidend war, bleibt vage. Der Abend ist eine Tourneeversion ohne aufwendiges Bühnenbild und Kostüme. Ästhetisch verharrt er in einem Naturalismus, dem die Überhöhung fehlt. Das macht ihn auf die Dauer etwas vorhersehbar und schließlich auch ermüdend.

Vision eines VÜberlebensversuchs

Alles Attribute, die für die zweite Produktion des Abends nicht gelten. In „Something (Out Of Nothing)“ entfaltet der Belgier Kris Verdonck eine berückende Vision vom Überlebensversuch angesichts der ökologischen Apokalypse. Irritierend schöne, aufblasbare Pflanzen-Skulpturen entfalten sich von der Decke, erst in Weiß, später jedoch in weniger freundlichem massivem Schwarz. Das Zusammenspiel von Tieren und Pflanzen funktioniert nicht mehr – mit noch nicht absehbaren Folgen. Die Reproduktion ist zum Erliegen gekommen. Die Menschen werden zu Unbehausten.

Davon, von verlorenen Illusionen, Unumkehrbarkeit und einem Ende im Müll erzählt zunächst in abgründiger Poesie die seltsam körperlose Stimme Tawny Andersens aus dem Off. Auf der leeren Bühne versuchen sich die Tänzerinnen Sophia Dinkel und Ula Sickle sowie die Tänzer Mark Lorimer und Edward Lloyd in dieser lebensfeindlichen Welt zu behaupten.

Bildende Kunst mit Wirkung

Geisterhaft wirken sie in ihren dunklen Ganzkörperanzügen mit Gesichtsmasken. Die Unbeholfenheit, mit der sie Anlauf zu den immer gleichen Bewegungen nehmen, hat jedoch etwas Präzises, höchst Kunstvolles, zumal sie nur von dem abstrakten Kratzen eines von Leila Bordreuil bedienten Cellos geleitet werden. Das Absurde der Szenerie erinnert in der Ausweglosigkeit an Samuel Beckett.

Kris Verdoncks Arbeiten sind eher in der Bildenden Kunst zu Hause, weshalb der Abend in Teilen etwas statisch wirkt. Er ist durchaus fordernd, gleichwohl erzielt er seine Wirkung. Erst wenn die Angst groß genug sei, handeln wir, sagt die Stimme aus dem Off. Diese Szenerie, in der sich Leben und Natur zum Albtraum gewandelt haben, gibt davon einen nachhaltigen Eindruck.

Internationales Sommerfestival bis 25.8., Kampnagel, Jarrestraße 20–24, Karten unter www.kampnagel.de oder T. 27 09 49 49