Hamburg. Mal schrullig und mit Herz, mal martialisch und dringlich: Das Internationale Sommerfestival geht auf Kampnagel in die nächste Runde.

Manche Botschaften sind verblüffend einleuchtend. „Einfach mal wieder kuscheln“, könnte so eine sein. Weil es halt gut tut, sich ab und an eine dicke Portion positive Energie abzuholen. Der Kanadier Josh Dolgin, Künstlername Socalled, ist Stammgast beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.

Ein offener, ungemein freundlicher Kerl, der es versteht, mit einem anarchischen Flauschpuppenmusical derart gute Laune zu verbreiten, dass er seine kleinen außerirdischen Fuzzie-Wesen nun bereits zum dritten Mal im Gepäck hat. In rot, grün und blau. Nur das gelbe, das ist nicht so nett.

Quer durch die Galaxien zu den Fuzzies

Mit dem so schrulligen wie herzerwärmenden „Space – the 3rd Season“ erzählt Socalled die Geschichte des kleinen Bären vom „großen, doofen Planeten Erde“ weiter, der sich (schon in der ersten Episode) in ein rotes Monsterchen verliebt und mit ihm eine halbaußerirdische Tochter gezeugt hat.

Diesmal reist der Bär quer durch die Galaxien zu den Fuzzies, die eine Königin (Kiran Ahluwalia) nach Farben sortiert hat und nur noch getrennt singen lässt: „Harmonie ist Hochverrat!“ Musical-Apartheit, gegen die Freundschaft, (tolle!) Live-Musik und reichlich Umarmungen helfen.

"Kuscheln ist wie eine Droge"

Die Zeile „Kuscheln ist wie eine Droge“ hat Ohrwurm-Potenzial, die Glücksgefühle sind den dauerlächelnden Zuschauerinnen und Zuschauern vom Gesicht ablesbar. Das Hamburger Kaiser Quartett kollaboriert hier aufs Feinste mit Socalled am Piano, den aus Montréal importierten Puppenspielern, den Sängern/Sprechern und dem New Yorker Underground-Rapper C-Rayz Walz. Das Unfertige, Selbstgemachte der Kulisse trägt eindeutig zum Charme bei. Und ein Solo mit dem Titel „Ich kann nicht singen“ ist ohnehin ziemlich lustig. Schiefe Intonation mit derart viel Emotion, das muss man auch erst einmal hinkriegen.

Weniger reizend, dafür umso dringlicher geht es nebenan in der P1-Halle zu. Martialisch sehen sie aus, die Akteure des russischen Kollektivs Vasya Run mit ihren dunklen Hosen zu weißen T-Shirts, den kahl rasierten Schädeln und vor allem den mit Tüchern vermummten Gesichtern. Ihre Performance „If You Want To Continue“ beginnt als Theater-Rätsel, das sich im Laufe der Aufführung nicht restlos auflöst, den Zuschauer aber in der Intimität der kleinen Halle unmittelbar und wirkungsmächtig konfrontiert. Die sechs Performer im gleichen Look wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, angesiedelt zwischen Straßen-Gang und spirituellem Zirkel.

Kampfkunst-Choreografie auf Kampnagel

Mit finsterem Blick starren sie die Zuschauer regelrecht nieder. Sie beten eigenwillige Mantras, ihre Bewegungen und Gesten sind mal simultan, mal versetzt, fast wirkt es wie eine Kampfkunst-Choreografie. Der düster dräuende Sound tut ein Übriges.

Das Lesen des Programmheftes ist hier Teil der Veranstaltung. Der Besucher erfährt, dass er eines sozialen Helden-Experiments ansichtig wird, in der eine Verbindung mit Vergangenheit und Zukunft hergestellt werden soll. Das wirkt alles zwar ziemlich bedeutungshubernd, kommt aber sehr authentisch rüber. Die Texte bleiben auf raffinierte Weise im Uneindeutigen. Es gehe darum, einen Platz in der Menge zu finden, sich gleichzeitig aber zu verbergen, heißt es da etwa.

Überraschend brechen die Performer nach all der Kontemplation dann doch noch in euphorischen Hip-Hop-Gesang aus. Die russischen Texte dürfte kaum einer verstehen, es zählt die Energie. Und dann sind die Darsteller auch schon verschwunden. Die Enthüllung der anonymen Performer, sie findet nicht statt, vielleicht überschneiden sich (russische) Realität und Theaterwirklichkeit doch sehr stark.

Auch beim Sommerfestival: die erste Ausstellung von Peaches

Positive musikalische Energie entlädt sich wieder, wenn auch ganz anders, in der sehenswerten Ausstellung „Whose Jizz Is This“ von Peaches im Kunstverein, einer Sommerfestival-Kooperation. Ähnlich wie in ihren Bühnenshows thematisiert die in Berlin lebende kanadische Pop-Künstlerin in ihrer ersten Einzelausstellung Stereotype einer noch immer männlich bestimmten Pop-Welt.

Auch diese Ausstellung ist im Grunde eine Musical-Performance. Die Hauptakteure – Doppel-Masturbatoren, genannt „Fleshies“ – erleben darin ihre eigene Revolution. Vom benutzten zum emanzipierten Gegenstand, der sich mit anderen zusammenschließt, singend einen Bühnen-Altar entert und sich in einem Springbrunnen befreit. Eingebettet ist die Geschichte in einen kreativen Mix aus Fetisch-Materialien, Technik, Video und Sound. Matratzen gibt es auch. Ein so erhellendes wie humorvolles Erlebnis.

Einfach mal wieder kuscheln – irgendwie passt das auch hier.

Internationales Sommerfestival bis 25.8., „Space - the 3rd Season“ (auf Englisch), Sa/So 10./11.8., jew. 16.00 und 19.00; Vasya Run Sa 10.8., 19.00 und 21.30; beides auf Kampnagel (Jarrestr.); Peaches im Kunstverein (Klosterwall 23) bis 20.10. tägl. außer Mo; Karten unter kampnagel.de/internationales-sommerfestival