Hamburg. Der amerikanische Autor schreibt über die Auswirkungen der Erderwärmung und ist Teil einer Livereportage auf Kampnagel.
„I want you to panic“ – jene Worte Greta Thunbergs beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos scheinen bei David Wallace-Wells auf offene Ohren gestoßen zu sein. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Der amerikanische Journalist und Autor des „New York Times“-Bestsellers „Die unbewohnbare Erde“, der an diesem Sonnabend zur Kampnagel-Konferenz „3GradPlus“ auf dem Podium sitzen wird, liefert einen furchterregenden Panoramablick auf die globale Erderwärmung. Er nennt sie die zwölf „Elemente des Chaos“, Kaskaden der Zerstörung, die über unser Leben auf der Erde einbrechen werden: Hitzewellen, Hungersnöte, Überschwemmungen biblischen Ausmaßes, Brände, nicht abreißende Migrationsströme, prähistorische Seuchen, die aus dem arktischen Eis schmelzen, Klimakriege, der totale Wirtschaftskollaps ...
Nach nur wenigen Kapiteln wird klar, dass der stellvertretende Chefredakteur des „New York Magazine“ vor allem eines möchte: Alarm schlagen. Und zwar um jeden Preis. Er nennt den Klimawandel eine „Kriegsmaschine“, verbindet den Syrien-Konflikt mit der Erderwärmung und vergleicht die jährlichen Opfer der globalen Luftverschmutzung mit dem Holocaust. Den nationalsozialistischen Völkermord an sechs Millionen Juden mit den Opfern des Smogs über Peking oder Neu-Delhi gleichzusetzen – geschmackloser geht es kaum.
"Plastikpanik" lenke vom Kernproblem ab
„Ich bin kein Umweltschützer und sehe mich auch nicht als Naturliebhaber“, verrät David Wallace-Wells bereits auf den ersten Seiten. Er halte nichts von Selbstverzicht und nachhaltigem Konsumverhalten des Einzelnen. Den Klimawandel könne man nicht mit „Verzichtsstolz unter den Wohlhabenden“ lösen, viel zu groß die Dimension, viel zu schnell sei das Fortschreiten der Erderwärmung. Die sogenannte „Plastikpanik“, das Entsetzen über das Bienensterben und den überhasteten Atomausstieg bezeichnet er außerdem als „Klimaparabeln“, die vom Kern des Problems ablenken würden. Wallace-Wells versteht sich als Sprachrohr der Klimaforscher, deren „wissenschaftliche Zurückhaltung“ er als einen Grund für die weltweite Unterschätzung der Erderwärmung nennt. Er übersetzt die abstrakten Zahlen und Formeln der Wissenschaft in hollywoodreife Horrorszenarien, die aufschrecken sollen, wobei er bewusst übertreibt. Angesichts vieler ungewisser Faktoren sei es „ziemlicher Unsinn“, die zukünftige Erderwärmung vorauszusagen. Es sei besser sich darüber Gedanken zu machen, was passieren könnte.
„Und da“, schreibt Wallace-Wells, „sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.“ Der Mittelmeerraum verwandelt sich in eine Wüste, Saharasand pfeift durch die Luft. Malaria-Moskitos schwirren durch das tropische Kopenhagen. Miami Beach und Amsterdam versinken in den tosenden Fluten und gesellen sich zu Atlantis. Taifune, Tornados, Dürren und Sturmfluten – bald sei nur noch die Rede von „schlechtem Wetter“.
Wallace-Wels dankt tapferen Lesern
„Die unbewohnbare Erde“ ist ein unbequemes, anstrengendes Buch. Streckenweise schießt es über das Ziel hinaus. Nach 160 Seiten gibt Wallace-Wells zu: „Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, sind Sie ein tapferer Leser.“ Doch für ihn heiligt der Zweck die Mittel. Furcht hält er für einen wirksameren Motivator als Optimismus. Er schreckt nicht davor zurück, als Panikmacher abgestempelt zu werden – darauf antwortet er wie Greta: „Das ist in Ordnung, denn ich empfinde Panik.“
„3GradPlus“ Livereportage, Internationales Sommerfestival 2019, Sa 17.8., 15–18.30, Kampnagel