Hamburg. Carsten „Erobique“ Meyer gehört zu den umtriebigsten Musikern in Hamburg. Derzeit probt er auf Kampnagel einen Liederabend.
Eine Kiste am Straßenrand gab den entscheidenden Anstoß: Vor zwei Jahren besuchte Paul Pötsch, Gitarrist der Hamburger Band Trümmer, Carsten „Erobique“ Meyer in Zürich, der dort am Schauspielhaus einen italienschen Liederabend gestaltete. Bei einer Fahrradtour um den Zürisee stießen die beiden auf einen Karton, in dem ein Haufen Schallplatten mit dem Amiga-Label auf dem Cover steckte. Voll mit DDR-Schlagern, für die der Besitzer keine Verwendung mehr hatte. Meyer und Pötsch waren neugierig, hörten die Platten in Meyers Künstlerwohnung und hatten schnell den nächsten Liederabend im Kopf: „Wir treiben die Liebe auf die Weide“ heißt die Revue, uraufgeführt wird sie am 7. August zum Auftakt des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel.
Zurzeit proben Pötsch und Meyer zusammen mit drei befreundeten Musikern auf Kampnagel. Als Sechste im Bunde ist die Regisseurin Lea Connert dabei, die in der Vergangenheit schon häufiger mit Meyer zusammengearbeitet hat und viele Fäden in der Hand hält. Die Temperaturen im Übungsraum sind ähnlich hoch wie in einer Sauna, ohne kurze Hosen oder ein luftiges Kleid ist die Probenarbeit kaum möglich. „Wir proben sechs bis acht Stunden täglich, sonst ist das Programm nicht zu schaffen“, sagt Carsten Meyer.
Immer wieder Verbote
Der Mann mit dem Schnauzbart gehört zu den umtriebigsten Musikern in Hamburg, von ihm stammt der Soundtrack für den „Tatortreiniger“, vor ein paar Wochen hat er im Stadtpark ein großes Solokonzert gegeben, immer wieder sucht er als Musiker die Auseinandersetzung mit Theater oder Film. Eine eigene DDR-Vergangenheit hat Meyer nicht, er stammt aus Westfalen.
Ostdeutsche Wurzeln hat nur Paul Pötsch. Er wurde 1988 in einem Dorf im Süden Brandenburgs geboren und wohnte dort bis zu seinem 14. Lebensjahr, bevor seine Eltern in den Schwarzwald gezogen sind. „Bei uns zu Hause war DDR-Musik sehr präsent, meine Eltern haben viele verbotene Bands und Sänger gehört wie zum Beispiel Holger Biege oder Freygang“, erzählt er. Pötsch kennt viele Details aus der Geschichte der DDR-Popkultur. Er erzählt vom Verbot der Beatbands unter SED-Chef Walter Ulbricht in den 60er-Jahren, der Öffnung in den 70ern unter Erich Honecker und erneuten Verboten.
Sehnsucht nach einer freien Welt
„Müssen wir jeden Mist aus dem Westen kopieren?“, zitiert er Ulbricht und ahmt dabei dessen sächsisches Idiom nach. „Nachdem den Beatbands verboten wurde, auf Englisch zu singen, standen sie unter dem Zwang auf Deutsch zu texten. Das war der Beginn der Rockmusik in der DDR. Mit unserer Revue machen wir umgekehrt das, was DDR-Gruppen mit West-Bands gemacht haben – nachspielen“, sagt er.
„Die musikalische Qualität war im Osten hoch, weil Schlagersänger ein Beruf war. Wie komplex die Songs waren, merken wir jetzt bei den Proben“, sagt Carsten Meyer. „Afroamerikanische Musik wie Blues, Jazz und Soul diente als Vorbild. Viele Songs haben einen wahnsinnigen Groove.“
Auf der Probe studieren die Musiker den Song „Nach Süden“ von der Band Lift ein. „Nach Süden, nach Süden, möchte ich fliegen, um vor dem Winter abzuhauen. Ab-zu-hau-en“, geht der Text mit besonderer Betonung auf dem letzten Schlüsselwort. „Ich bin erstaunt, wie der Song 1979 an der Zensur vorbeigekommen ist“, fragt sich Meyer. „Viele Stücke sind Liebeslieder, in denen eine bessere, freie Welt herbeigewünscht wird. Auch Sehnsucht schwingt in vielen Liedern mit“, erklärt Lea Connert.
Selbstbewusste Frauen
„Auffällig ist auch, wie selbstbewusst Frauen in der DDR aufgetreten sind. Ein Song wie Nina Hagens ,Komm, komm‘ mit eindeutiger sexueller Aufforderung wäre 1975 im Westen kaum denkbar gewesen“, so Paul Pötsch.
Der Revuetitel „Wir treiben die Liebe auf die Weide“ stammt aus Hagens Lied. Andere Nummern, die Meyers und Pötschs Showband gerade einstudieren, sind von Manfred Krug, Veronika Fischer, den Puhdys, Karat oder Uschi Brüning. „Es ging uns nicht darum, ein Best-of-DDR-Hits zusammenzustellen. Wir haben aus dem riesigen Angebot unsere Lieblingsstücke vorgenommen“, so Meyer. „Und uns eine Dramaturgie für den Abend überlegt“, ergänzt Connert.
„Wir wollen mit unserer Revue die DDR nicht ostalgisch verklären oder die DDR erklären. Es geht darum, die Musik zu feiern und wiederauferstehen zu lassen“, sagt Pötsch. Sängerin von „Wir treiben die Liebe auf die Weide“ ist Pola Lia Schulten, die sonst mit der Band Zucker aktiv ist. Am Schlagzeug sitzt Marcel Römer, der unter anderem mit Juli und Boy gespielt hat, als Bassistin ist Polly Lapkovskaja von Pollyester dabei. Überraschungsgäste soll es auch geben. „Aber die verraten wir noch nicht!“
„Wir treiben die Liebe auf die Weide“ Mi, 7.8. bis So, 11.8., jeweils 20.30, Sa, 10.8. 19.00 und 22.15, Kampnagel k1 (Bus 172, 173), Jarrestraße 20, Karten 22,.-