Hamburg. Hilde Leiss, deren Ausstellungsräume nun seit 40 Jahren bestehen, ist eine Ausnahmeerscheinung in der Branche.
Wer die Galerie Hilde Leiss am Großen Burstah 38 erstmals betritt, ahnt nicht, worauf er sich einlässt. Der Blick auf das mit Schmuck dekorierte Schaufenster und in den kleinen Ladenraum mit zahlreichen Vitrinen lässt zwar erkennen, dass hier ein ungewöhnliches Angebot von Goldschmiedearbeiten auf die Kunden wartet - doch ist dies nur das Entree zu einer Wunderkammer des Kunsthandwerks, in der staunende Besucher wie in einem reich bestückten Museum ein wenig die Zeit vergessen können, sobald sie zu erkunden beginnen.
Der Rundgang bis in die Galerieräume, die parallel zum Laden wieder auf den Großen Burstah hinausgehen, eröffnet in mehrfacher Hinsicht neue Perspektiven, hinter jeder Ecke warten Überraschungen. Und es ist nicht allein die barocke Fülle der ausgestellten Unikate, sondern auch deren stilistische Vielfalt und Qualität, die das Ganze zum anregenden Ausstellungsbesuch machen.
Die Kunstkammer verrät viel über das Wesen der Galeristin, über Mut, Offenheit und Großzügigkeit – Eigenschaften, ohne die Hilde Leiss nicht zu einer Ausnahmeerscheinung im deutschen Kunsthandwerk geworden wäre. Am 12. September feiert sie mit der Eröffnung einer Retrospektive von 23 Künstlern (überwiegend Schmuck, inklusive Arbeiten von Hilde Leiss, aber auch Arbeiten aus Porzellan, Keramik, Textil und Holz) den 40. Geburtstag ihrer Galerie, die einst klein in der Mottenburger Schmuckschmiede startete.
Wagemutiger Schritt
Die Entwicklung eines eigenen Stils als Schmuckmacherin wurde in der gemeinsamen Werkstatt mit Gudrun Maaß im Haus für Kunst und Handwerk Koppel 66 in St. Georg fortgesetzt. 1989 folgte dann ein großer Schritt, der in der Szene als wagemutig angesehen wurde: Die Eröffnung der im hinteren Teil räumlich verbundenen Galerien von Hilde Leiss und dem auf Malerei spezialisierten Dirk Rose in einem der ältesten Kontorhäuser der Stadt am Großen Burstah. Es sprach einiges dafür, dass die neue Doppelgalerie mit ihrer überraschenden Liaison von angewandter und freier Kunst ein paar Nummern zu groß hätte sein können.
Das Kunsthandwerk mit seiner zeit- und arbeitsintensiven Fertigung von Einzelstücken ist ein mühsames Geschäft, zumal die zwangsläufig höheren Preise auf Unkundige abschreckend wirken. Der Umsatz unterliegt starken saisonalen Schwankungen, und ohne die Teilnahme an Veranstaltungen wie der Messe für Kunst und Handwerk im Museum für Kunst und Gewerbe könnten selbst bekanntere Akteure der Szene kaum von ihrer Arbeit leben.
Hilde Leiss jedoch hatte das Potenzial des markanten Standorts mit seinen hohen lichten Räumen erkannt. Und folgte trotz des erheblichen Sanierungsbedarfs ihrem Bauchgefühl, ahnend, dass die Zeit reif war für neue Konzepte. Es gab damals viel Bewegung in der internationalen Schmuckszene. Junge, gut ausgebildete und experimentierfreudige Goldschmiede sorgten für Belebung. Hilde Leiss hatte diese Tendenzen schon in St. Georg gezeigt, etwa 1983 mit der Avantgarde-Schau „Jewellery Redefined“. Das Werkstättenhaus in der Koppel war jedoch nicht der ideale Ort für derartige Ausstellungen. Wunschvorstellung der Goldschmiedin war eine Hamburger Galerie für Schmuckkunst nach dem Vorbild der avantgardistischen Electrum Gallery in London.
Hilde Leiss erweiterte das Sortiment
Bereits im ersten Jahr am Großen Burstah konnte sich Hilde Leiss bestätigt fühlen. An der Koppel hatte sie sich mit dem Verkauf sehr aufwendiger Stücke schwergetan. Am neuen Standort war die Nachfrage nach dem Besonderen groß: „Am Burstah wurden auch höhere Preise akzeptiert“, sagt sie.
Hilde Leiss erweiterte das Sortiment schrittweise um andere Gewerke bis hin zu Hutmode und Kleidung. Und sie wirkte stilbildend. „Norddeutschland war ein schwieriger Markt für Neues – Hamburg eine Stadt, wo Sinnlichkeit keine Rolle spielte“, sagt sie und hält sich zugute, dass sie viele Kundinnen dazu ermutigt hat, ihre Persönlichkeit durch auffälligen Schmuck selbstbewusst zu betonen.
Bei der Auswahl ihres Sortiments fördert sie, was ihr gefällt – zum Beispiel die Keramikerin Brigitte Morck, den tschechischen Glaskünstler Jan Adam oder den Holzkünstler Ernst Gamperl, dessen skulpturale Gefäße inzwischen in Korea Höchstpreise erzielen. „Viele, die hier ausgestellt haben, sind international berühmt geworden“, sagt Hilde Leiss. Man müsste es kaum erwähnen: Sie ist so begeistert von allem, was sie ausstellt, dass sie zur Sammlerin geworden ist. Immer spielt ihr Bauchgefühl eine große Rolle, doch zuallererst entscheidet das Niveau: „Handwerkliche Qualität müssen die Stücke haben, sollten gut gearbeitet, aber auch kreativ und innovativ sein.“ Selbstverständlich gilt das auch für ihren eigenen, großformatigen Schmuck, der in der Werkstatt mit sieben Mitarbeitern gefertigt wird.
Sie überstand wirtschaftliche Krisen
Hilde Leiss überstand wirtschaftliche Krisen und permanente Baustellen am Burstah – in einem Geschäft, das mit Luxuswaren handelt, nicht selbstverständlich. Hilfreich sind dabei auch Einladungen als Ausstellerin auf hochpreisigen US-amerikanischen Kreuzfahrtschiffen. „Ohne dieses Engagement hätte ich die schwierige Zeit hier kaum überstanden.“
Das Übersee-Engagement hat sie inzwischen aufgegeben, die Bauarbeiten aber bleiben ihr treu. Rechtzeitig zum Jubiläum sind die neu gelegten Gehwegplatten direkt vor ihren Schaufenstern wieder aufgerissen. Trotzdem ist Hilde Leiss auch mit 70 Jahren zuversichtlich. „Ich bin hier der letzte Mohikaner, so etwas wird’s nach mir nicht mehr geben.“