Hamburg. Die Wahlberlinerin ist Popstar – und Sexrebellin. In Hamburg tritt sie mehrmals beim Sommerfest auf Kampnagel in Erscheinung.

Der Name Peaches klingt niedlich. Nach einer milden Südfrucht. Zu der Sängerin, die bürgerlich Merrill Beth Nisker heißt, mag dieser Künstlername nicht so recht passen. Schon seit 20 Jahren nicht. Denn die seit Langem in Berlin lebende Kanadierin wird von den einen glühend verehrt für ihren kühnen Crossover aus Electro, Punk und Verkleidungslust, in dem sie sich als Rebellin der sexuellen Befreiung und zugleich als universelle Punk-Rap-Schlampe inszeniert.

Das sei Pornografie, Tabubruch, Provokation, stöhnen die anderen. Entsprechend dürfte die Ausstellung, die Peaches zurzeit in langen Nächten im Kunstverein vorbereitet, polarisieren. Peaches ist gleich mehrfach beim diesjährigen Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel vertreten, das am heutigen Mittwoch beginnt und bis zum 25. August dauert. Am 9. August um 19 Uhr eröffnet die Ausstellung „Whose Jizz Is This“, und am 15. August zeigt Peaches mit „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ die Weltpremiere ihrer neuen Bühnenshow. Die Künstlerin hat bei früheren Gelegenheiten Journalisten schon mal unter der Decke eines Hotelbettes liegend empfangen – komplett bekleidet.

An diesem Vormittag trägt sie teilblondierten Irokesenschnitt, ein Muskelshirt mit dem Konterfei des Rocker-Kollegen Marilyn Manson, die Füße stecken in fetten rosafarbenen Sneakers. Peaches, die längst ein internationaler Pop-Star ist und mit Iggy Pop genauso gearbeitet hat wie mit Jean-Michel Jarre, ist geschafft von der Arbeit, aber schnell wieder auf Betriebstemperatur.

Kraftvoll und schrecklich

Am Anfang hatte sie für die Ausstellung an eine Retrospektive gedacht. „Ich habe ein riesiges Archiv mit Kostümen, 8000 Stunden Videomaterial, Möbel, alles aus den vergangenen 20 Jahren“, sagt Peaches, „aber das fühlte sich seltsam an, als würde ich meine eigene Filmbiografie drehen.“ Also macht sie etwas Neues. Das Video eines Mannes, der den Gebrauch eines Sex-Hilfsmittels – das Wort „Spielzeug“ mag Peaches nicht – erläutert, brachte die Idee.

Der Gegenstand ist eine Art fleischfarbenes Gummi-Doppelding, an der einen Seite mit einer Vagina, an der anderen mit einem Mund ausgestattet. Das sei so kraftvoll, aber auch schon wieder so schrecklich, entkörperlicht und entmenschlicht, findet Peaches, dass es sie inspiriert. „Ich bin nicht dagegen, dass Leute so etwas benutzen, aber diese Gegenstände könnten ja auch ihre eigene Lust haben, andere Objekte inspirieren, eine eigene Gemeinschaft bilden.“ Sie nennt sie jetzt liebevoll „Fleshies“, und sie sind die Stars ihrer Ausstellung. 14 Stationen mit Licht- und Soundskulpturen durchläuft der Besucher, bevor er an einen Ort gelangt, einen Brunnen, an dem die „Fleshies“ ihre eigene Befreiung feiern. Ein zugegeben eigenwilliger, spielerischer Akt von Selbstermächtigung. Typisch Peaches.

„Es macht total Spaß, einen Brunnen zu bauen“, freut sie sich. Feminismus ist ein anderes Wort, mit dem sie oft in Zusammenhang gebracht wird, dessen Gebrauch sie aber manchmal stört. „Der Feminismus braucht eine neue Sprache. Wir müssen die richtigen Worte verwenden, um einander zu verstehen“, sagt Peaches. „Der Begriff ist derzeit von der weißen Mittelklasse geprägt. Er müsste intersexueller, inklusiver sein.“

Superheldin im Busenkostüm

Das gelte insbesondere für die Gegenwart, in der eine starke Haltung im Internet sofort eine starke Gegenreaktion hervorrufen könne. Auch Peaches hat ihre Erfahrung mit Anfeindungen gemacht. „Wenn jemand verwirrt ist oder sich angegriffen fühlt, diskutiere ich gern. Aber die meisten Absender von Hassbotschaften können mir das nicht ins Gesicht sagen“, sagt Peaches, „wir leben in sehr ernsten Zeiten. Der weiße Nationalismus erhebt sich. Es gibt viele Missverständnisse und noch viele Ängste.“ Peaches versteht ihre Kunst als politisch. Spaß machen darf und soll sie aber trotzdem. „Provokation ist ein gutes Barometer, um zu sehen, wo die Leute stehen, aber ich lege es nie darauf an.“

Ihren Konzerten, in denen sie sich als eine Art Superheldin im Busenkostüm oder im Vagina-Overall inszeniert und Plastik-Dildos schwenkt, merkt man das an. „Eigentlich ist alles sehr geerdet. Nichts ist Fake. Ich ziehe mich auf der Bühne um. Aber wenn ich Wasser trinke, dann gleich die ganze Flasche“, sagt Peaches. Halbe Sachen sind ihre Sache nicht. Extreme schon eher.

Vor einigen Jahren hat sie damit begonnen, Theaterräume zu bespielen. Das Pop-Musical „Peaches Christ Superstar“ füllte auch in Hamburg große Hallen. Das Theater fasziniert die im jüdisch geprägten Toronto aufgewachsene Peaches, seit sie als Kind in den 1970er-Jahren Barbra Streisand und Liza Minnelli hörte. Ihre neue Show „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle­“ fährt dann auch das große Besteck auf. „Ich wollte all das zeigen, was ich nicht mit auf Tour nehmen kann.“

Das sind 40 Musiker, ein großes Bühnenbild, zwei Schlagzeuger, Streicher, experimentelle Tänzer. Und mittendrin natürlich Peaches selbst, die Songs ihrer Alben performen wird. Den Traum, Regie zu führen, Drama, Bühne, Licht und Musik zu dirigieren, habe sie schon lange. sagt Peaches. Wann, wenn nicht jetzt? Die Retrospektive, sie kann warten.

Peaches: „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ Do 15./Fr 16.8., 19.30, Sa 17.8., 21.00, Kampnagel, Jarrestr. 20–24, Karten unter T. 27 09 49 49;

„Whose Jizz Is This“ 9.8. bis 20.10., Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, geöffnet Di–So 12.00–18.00