Hamburg. Regisseur Ilker Çatak über sein Werk “Es gilt das gesprochene Wort“, sein Verhältnis zur Türkei und die Arbeit mit Autor Nils Mohl.

Kurz bevor Ilker Çatak am Dienstag im Zeise-Kino seinen Film „Es gilt das gesprochene Wort“ vorstellte, kam der Drehbuchautor und Regisseur gewissermaßen mit hängender Zunge in Hamburg an. Ein anstrengendes halbes Jahr liegt hinter ihm. Während er sich um die Fertigstellung dieses Films kümmerte, begann er parallel schon mit den Vorbereitungen für sein nächstes Werk. Es habe etwas Befreiendes, intensiv an einer Geschichte zu arbeiten, dann zu einer anderen zu wechseln, um kurz danach „mit einem frischen Blick“ zurückzukehren, findet Çatak. „Das ist für den kreativen Prozess gar nicht so schlecht, wenn die Zeiten zwischen den Filmen gut aufeinander abgestimmt sind.“ Anstrengend, klar, ist es trotzdem.

In „Es gilt das gesprochene Wort“ erzählt Çatak von der Pilotin Marion, die im Türkei-Urlaub den Türken Baran kennenlernt und ihn mit nach Deutschland nimmt. Sie heiraten, um Baran nach drei Jahren einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen. Und die Gefühle? Die sind in dieser Konstellation schwer unter Kontrolle zu halten.

Idee immer wieder verändert

Fast zehn Jahre hat der 35-Jährige die Idee zu diesem Film mit sich herumgetragen und sie immer wieder verändert. „Ich war zuerst wohl noch nicht in dem Alter, in dem ich so eine Geschichte adäquat hätte erzählen können.“ Aber Çatak ist ein genauer Beobachter. In der Pension seiner Großmutter in Marmaris, in der er als Heranwachsender jeden Sommer verbrachte, gab es Mitarbeiter, die in ähnlicher Konstellation zusammenlebten wie Marion und Baran. „Es war interessant zu sehen, wie diese Paare funktioniert haben. Oft war die Frau verliebt, der Mann nur vielleicht.“ So entstand die erste Idee zum Film.

Die Beziehungsprobleme, die er schildert, gehen auf unterschiedliche kulturelle Rollenverständnisse zurück. „Der Mann ist in der Türkei so sozialisiert, dass er das Sagen hat. Wenn diese Männer in so einer Konstellation wie im Film nach Deutschland kommen, finden sie sich hier oft in einem kompletten Abhängigkeitsverhältnis wieder.“ Bis zum ersten Streit ist es dann nicht weit.

Zentrales Thema ist die Kommunikation

Ein zentrales Thema im Film ist die Kommunikation. Baran versucht, sich die deutsche Sprache anzueignen, Marion bringt ihn zum Optiker, er bekommt mehr Durchblick. „Das sind alles Faktoren der Menschwerdung. Deswegen mag ich auch den christlichen Aspekt des Titels ,Es gilt das gesprochene Wort‘ so gern. Er hat etwas Archaisches.“

Zum zweiten Mal (nach „Es war einmal Indianerland“) schrieb der Regisseur ein Drehbuch gemeinsam mit dem Hamburger Autor Nils Mohl. Ilker Çatak schwärmt: „Das Tolle an ihm ist, dass er so uneitel ist und gleichzeitig so talentiert. Er schreibt schlagfertige Dialoge wie kein anderer und kann Geschichten bauen. Nils ist einfach eine coole Socke, deshalb liebe ich ihn und arbeite gern mit ihm zusammen.“

Ogulcan A. Uslu mit Anne Ratte-Polle in der Elbphilharmonie.
Ogulcan A. Uslu mit Anne Ratte-Polle in der Elbphilharmonie. © X Verleih AG | X Verleih AG

Einen sehr interessanten Charakter haben beide mit der weiblichen Hauptrolle der Pilotin geschaffen, die Anne Ratte-Polle souverän und hinreißend spröde umsetzt. „Marion hat ein Geheimnis und bewahrt es durch den ganzen Film hindurch. Wir haben uns erst relativ spät getraut, ihr das Geheimnis zu lassen. Da merkt man, wie wir alle vom Fernsehen deformiert sind. Dort hätte man das alles erklärt. Es ist stark, wenn eine Figur ihr Handeln von innen heraus betreibt und nicht auf äußere Zwänge reagiert.“ Beim Publikum kommt das bisher gut an, die Kritik reagiert unterschiedlich. „Viele männliche Kritiker hatten Probleme mit Marions Entscheidung, Baran mitzunehmen. Ich habe das Gefühl, dass diese Figur auf Männer einschüchternd wirkt. Frauen feiern sie aber. Und genau so muss es sein.“

Dreharbeiten auch in Elbphilharmonie

Gedreht wurde in der Türkei und in Hamburg, unter anderem auch in der Elbphilharmonie – Studenten-Oscar-Gewinner Çatak war erst der zweite Regisseur, der dort einen Kinofilm inszenierte. Er ist noch immer begeistert: „Das ist eine Architektur, die glücklich macht. Ich habe am Drehtag meinen Anzug angezogen. Vielen Teammitgliedern ging es ähnlich. Es war ein großes Glück, dass wir dort drehen durften.“

Çatak sucht sich für jeden Film neue Vorbilder, diesmal Jacques Audiard, Nuri Bilge Ceylan und Christian Petzold. „Ist man ein Filmemacher mit Migrationshintergrund, will man nicht in die Schublade: Der macht nur Türkei-Filme.“ Sein nächster spielt trotzdem am Bosporus. „Räuberhände“ basiert auf einem Roman des Hamburger Autors Finn-Ole Heinrich. „Es ist eine tolle Liebesgeschichte“, findet Ilker Çatak. Auf die Stimmung im Land seiner Eltern angesprochen, relativiert er: „Uns wird hier in den Medien vorgetragen, dass es dort gerade ziemlich schlimm sei. Das will ich auch nicht bestreiten, aber ich durfte ohne Einschränkungen meine Arbeit machen.“

„Es gilt das gesprochene Wort“ läuft im Passage und Zeise. Eine Kritik lesen Sie in LIVE.